Wertheim. Der Wertheimer Orthopäde Dr. Karten Braun ist Spitzenkandidat des Medi-Verbunds für den Chefposten bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg. Ende Juli wählen die Ärzte und Psychotherapeuten des Landes die Delegierten für die KV-Vertreterversammlung. Dieses Gremium wiederum wählt am 5. Oktober den zweiköpfigen Vorstand. Brauns Chancen gelten als sehr hoch, da der Medi-Verbund bisher die stärkste Organisation im KV-Parlament ist. Im Interview mit den FN spricht er über die Herausforderungen bei der medizinischen Versorgung vor allem im ländlichen Raum und die Arbeitsschwerpunkte, die er in Stuttgart beackern möchte.
Zur Person: Dr. Karsten Braun
Dr. Karsten Braun (Jahrgang 1968) entstammt einer Wertheimer Mediziner-Famile. Schon seine Eltern betrieben eine Orthopädie-Praxis.
Seit 21 Jahren ist er in Wertheim als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie niedergelassen.
Braun studierte Medizin an der Universität des Saarlandes und Medizinrecht an der Universität Münster mit Abschluss als Magister Legum.
Neben seiner medizinischen Tätigkeit engagierte er sich bisher schon berufspolitisch unter anderem bei der (Bezirks-) Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg.
Karsten Braun ist Mitgründer des Ärztezentrums in der Wertheimer Bahnhofstraße. wei
Herr Braun, wenn alles klappt, arbeiten Sie ab dem nächsten Jahr in Stuttgart als Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg. Statt mit Patienten haben Sie es dann eher mit Leuten aus dem Umfeld der Gesundheitspolitik zu tun. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Karsten Braun: Für einen Arzt ist Behandlung von Patienten etwas Wunderschönes. Man wird ja Arzt, um Menschen etwas Gutes zu tun. Gesundheitsversorgung muss aber auch organisiert sein. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Darum müssen sich Leute kümmern. Hier in Baden-Württemberg geht es um die Versorgung von 11 Millionen Menschen – mit ungefähr 70 Millionen Behandlungsfällen im Jahr. Da gibt es eine Menge zu regeln und zu steuern, insbesondere in Zeiten von Ärztemangel und knapper Kassen. Es geht darum, die Interessen der Ärzte zu vertreten. In diesem Job kann man Patienten auch etwas Gutes tun. Ich bin zudem seit vielen Jahren in verschiedenen Funktionen bei Ärztekammer, KV und bei der lokalen Ärzteschaft in Wertheim und dem Landkreis engagiert. Zudem habe ich außer meinem Medizinstudium auch ein Studium in Medizinrecht absolviert. Das spielt im KV-Umfeld eine große Rolle. Insofern kamen Leute auf mich zu und haben mich gefragt, ob ich bereit wäre, den Job zu machen und zu kandidieren. Der Herausforderung stelle ich mich gerne.
Sie kandidieren für den Medi-Verbund. Können Sie den FN-Lesern in wenigen Worten beschreiben, was diese Organisation macht?
Braun: Die Kassenärztliche Vereinigung ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Etwa 25.000 Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten des Landes wählen demokratisch ihr Parlament, die sogenannte Vertreterversammlung mit 50 Sitzen. Dieses Parlament wählt einen zweiköpfigen Vorstand. Und wie in der Politik gibt es auch hier Parteien, die verschiedene Interessen wahrnehmen. Eine davon, in Baden-Württemberg im Moment die bedeutendste, ist der Medi-Verbund, für den ich kandidiere. Es gibt weitere Gruppierungen: Hausärzteverband, Marburger Bund und andere. Das Besondere des Medi-Verbunds ist, dass er beispielsweise nicht nur Fachärzte oder Hausärzte repräsentiert. Medi ist eine fachübergreifende, integrierende Gruppierung, die versucht, diese Interessen unter einen Hut zu bringen.
Auch in Wertheim gibt es Mängel in der medizinischen Versorgung. Niedergelassene Ärzte, die ihre Praxen aus Altersgründen schließen, finden oft keine Nachfolger. Werden Sie sich mit dieser Herausforderung beschäftigen, falls Sie gewählt werden?
Braun: Das Thema Ärztemangel ist die zentrale Herausforderung für die nächsten Amtsperioden. Es wird zwar bisher schon viel darüber gesprochen, in der Praxis ist das Problem aber nur vereinzelt aufgetreten, an der einen oder anderen Stelle auch in Wertheim. Mit voller Wucht kommt es später: Im Jahr 2035 werden in Deutschland 11000 Hausärzte fehlen. Das steht jetzt schon fest. Wir müssen uns dringend damit beschäftigen. Es ist die Aufgabe der KV, Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Was Wertheim angeht: Natürlich tut es den Leuten weh, wenn auf einmal der bisherige Hausarzt seine Praxis auf der Ortschaft oder dem Stadtteil schließt. Nach den offiziellen Bedarfszahlen, über die man immer wieder diskutieren kann, ist die Versorgung angemessen. Demnach gibt es noch keine Unterversorgung. Ganz sicher wird sich die Bevölkerung daran gewöhnen müssen, dass es in Zukunft flächendeckend in der Großen Kreisstadt weniger Arztpraxen gibt. Man wird längere Fahrstrecken in Kauf nehmen müssen. Die medizinische Versorgung wird sich eher tendenziell konzentrieren und in größeren, kooperativen Einrichtungen stattfinden.
Wie sieht die medizinische Versorgung in zehn, fünfzehn Jahren in Wertheim aus? Bis dahin werden etliche niedergelassene Ärzte im Ruhestand sein. Und die Bevölkerung altert stetig weiter. Der Bedarf dürfte also eher steigen.
Braun: Es wird definitiv schlechter werden. Mehrere Ärzte werden sich in größeren Einrichtungen zusammenschließen. Auch mehr medizinische Versorgungszentren (MVZ) dürften bis dahin entstehen. Das hängt damit zusammen, dass vermehrt Frauen den Arztberuf ergreifen und deshalb die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch wichtiger wird. Faktisch steigt die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, aber eben nicht in Form von vollen Versorgungsaufträgen, die tatsächlich zur Verfügung stehen. Junge Frauen möchten beispielsweise ihren Beruf nicht in Selbstausbeutung betreiben.
Was verstehen Sie unter Selbstausbeutung?
Braun: Schauen Sie sich mal ältere Kollegen an, die 60 Stunden und noch länger pro Woche in ihren Praxen alleine gekämpft haben. Der medizinische Nachwuchs möchte sich verständlicherweise diesen Zuständen nicht mehr aussetzen. Insofern wird es – wenn es gut läuft – Strukturen geben, in denen Ärztinnen und Ärzte ihre Tätigkeit je nach Lebensabschnitt anpassen können. Das ist ein Thema, für das wir uns auch starkmachen.
Immer mehr MVZ sind in den Händen von Kapitalinvestoren. Die interessiert vor allem Rendite, also möglichst viel Gewinn. Was halten Sie davon?
Braun: Nichts. Wie erzielen diese Investoren denn ihre Rendite? Sie sparen beim Personal. Das knappe Geld, das dort erwirtschaftet wird, kommt nicht den Ärztinnen und Ärzten und dem anderen medizinischen Personal, das tatsächlich die Leistung erbringt, zu Gute. Oder es wird bei der Qualität der Patientenversorgung geknausert. Manchmal werden mit den MVZ andere Strukturen bedient. Hier ein paar Beispiele: Es gibt große Krankenhauskonzerne, die ihre MVZ nur nutzen, um die Betten in den Kliniken zu füllen. In den Krankenhäusern werden dann teure Leistungen erbracht. Oder Laborkonzerne nutzen ein MVZ, um möglichst viel Blut abzunehmen, das dann im eigenen Labor analysiert wird. Oder, in Baden-Württemberg ein großes Thema: Augen-Laser-Zentren kaufen die kleinen Augenarzt-Praxen auf, um dort die Fälle einzusammeln und das Augen-Laser-Zentrum in der Großstadt mit Kunden zu versorgen. Aber auf dem Land verschreibt kein Augenarzt mehr dem Kind eine Brille, weil sie die Leistung gar nicht mehr anbieten. Hier picken sich die Unternehmen nur die Rosinen heraus. Diese Unternehmen befriedigen das Renditeverlangen ihrer Investoren, sparen am Personal und der Qualität. Das Geld fließt nicht zurück in die Versorgung, sondern sozusagen systemfremd ab.
Sollten auch Kommunen wie Landkreise oder Städte solche MVZ betreiben? Diese müssten ja nicht einem renditeorientierten Auftrag folgen, könnten also qualitätsorientierter arbeiten.
Braun: Das ist schwierig, weil die derzeitigen Vergütungssysteme nicht in der Lage sind, so etwas finanziell zu tragen. Das komplette Honorarsystem im kassenärztlichen Bereich ist von gedeckelten Budgets und Fallzahlbegrenzungen geprägt. Die einzelnen Leistungen werden so bewertet, als würde sie ein selbstständiger Arzt erbringen, der in Selbstausbeutung arbeitet. Die Erfahrung zeigt: Wenn man heute die Arbeit eines selbstständigen Arztes in einem MVZ durch Angestellte ersetzen will, benötigt man faktisch etwa zwei bis zweieinhalb solcher Mediziner, welche die gleiche Arbeit erledigen, wie sie vorher der selbstständige Freiberuflicher geleistet hat. Im MVZ gibt es eine 40-Stunden-Woche, ein festes Gehalt. Keiner schleppt sich mit Fieber in die Praxis. Wenn ein MVZ Leistungen erbringt, das über dem Budget liegt, wird es nicht honoriert. Es würde nur funktionieren, für Kommunen und Freiberufler nicht anders, wenn die Honorarbedingungen angepasst würden. Leistungen, die erbracht werden, müssten honoriert werden.
Aber die Kapitalinvestoren bekommen es hin?
Braun: Weil sie sich die Rosinen herauspicken. Es gibt kaum Allgemeinarzt-MVZ in Investorenhand, aber eben oft für ganz bestimmten Leistungen wie jenen von Augenärzten, in der Zahnmedizin, bei Radiologen und so weiter.
Wenn Sie gewählt werden: Gibt es schon einen Nachfolger für Sie im Ärztezentrum in der Bahnhofstraße?
Braun: Es gibt einen Nachfolger, das ist schon geregelt. Er kommt und wird uns verstärken, egal ob ich gewählt werde oder nicht. Die orthopädisch-unfallchirurgische Versorgung in Wertheim wird sich dadurch nochmals verbessern.
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