Wertheim. Es mutet paradox an, wenn die katholische Kirche die Konkurrenz der Messe fürchten muss. Aber so etwas kann vorkommen, wenn am letzten Abend der Wertheimer Michaelismesse in der Sankt-Venantiuskirche das dritte diesjährige Orgelkonzert stattfindet. Allerdings war die Kirche mit etwa 150 Musikinteressierten gut gefüllt.
Dem Kirchenkantor und Organisator der Reihe, Gerhard Maier, war das Wagnis gelungen, mit Antonín Dvoráks selten aufgeführte „Biblische Lieder“ (Opus 99) Neugierige anzulocken. Maier selbst begleitete dabei die Wertheimer Mezzosopranistin Beate Riedel an der Klais-Orgel.
Riedel ist Musiklehrerin in Marktheidenfeld und der Gesang ist ihre Leidenschaft. „Viel zu selten gebe ich solche Konzerte“, bedauert sie gegenüber den Fränkischen Nachrichten. Der 1973 in Heidelberg geborene und später in Wertheim aufgewachsene Maier ist studierter Kirchenmusiker und seit Ostern 2023 in St. Venantius festangestellter Organist und Kantor.
Pfarrer Jürgen Banschbach sprach ein kurzes Grußwort. Dann nahm Maier das Publikum in einer Konzerteinleitung mit auf die Reise in das kirchenmusikalische Schaffen Dvoráks. Der Schöpfer strahlender und bis heute überaus populärer Werke wie der kraftvollen „Symphonie aus der neuen Welt“, der temperamentvollen „Slawischen Tänze“ oder der sagenhaften Oper „Rusalka“ hatte in seiner Jugend nach dem Erlernen des Geigen- und Klavierspiels mit großem Erfolg eine Orgelschule besucht. Ihm gelang es jedoch nicht, eine Stelle als Organist zu bekommen. Stattdessen spielte er mehrere Jahre als Bratschist in einem Kaffeehausorchester, ehe ihm der internationale Durchbruch als Komponist gelang.
Seine Erfolge brachten ihm 1892 die Stelle des Leiters des New Yorker Konservatoriums ein. 1894 entstanden dort die „Biblischen Lieder“, zehn Psalmenlieder.
Gerhard Maier betonte, dass Dvorák selbst einzelne Verse aus Psalmen ausgewählt habe, sodass mitunter „eine Mixtur aus Psalmtexten entstanden“ sei. Dabei habe sich Dvorák vor allem der Verse bedient, die die Natur beschreiben, und in einer „außergewöhnlich tollen Tonsprache“ verbunden. Maier unterstrich: „Dvoráks ,Biblische Lieder’ sind in Kunst gefasste persönliche Gebete und aus dem liturgischen Kontext herausgelöst. Sie sind ein persönliches Vermächtnis seines Glaubens.“ Und seiner Verzweiflung, möchte man ergänzen.
Heimweh und persönliche Trauerfälle hatten ihn zu dieser Musik inspiriert, der Tod seines Vaters ebenso wie der des Allround-Musikers und Star-Dirigenten Hans von Bülow. Von Bülow war auch einer der führenden Antisemiten im Deutschen Kaiserreich, was sein Gedenken in Form israelitischer Psalmen ein wenig als musikgeschichtlichen Treppenwitz erscheinen lässt. Louis Lewandowski, der Meister der reformjüdischen Synagogalmusik, hatte kurz zuvor einen Psalmenzyklus komponiert, mit dem er zu christlich-jüdischer Verständigung beitragen wollte.
Doch Dvoráks Psalmvertonungen sind eigentlich an kein Publikum gerichtet. Sie kommen familiär, innig, fast pietistisch als Gebet daher. Und als ganz persönliche Botschaft an seine Frau, für die er die Gesangsstimme in Alt schrieb.
Zu Beginn des Konzerts erklangen jedoch zunächst drei geistliche Stücke für Gesang und Orgel aus der Feder des böhmischen Meisters (Opus 19b), die er bereits Ende der 1870er Jahre komponiert hatte, und die somit einen gewissen Kontrast zu den späteren „Biblischen Liedern“ bildeten. Die lateinischen Texte sang Riedel originalgetreu in süddeutscher Aussprachetradition. Das „Ave Maria“ (andante con moto), „Ave maris stella“ (largo) und „o sanctissima“ (andante) wirkten getragen, konventionell und somit auch ein wenig abgetragen.
Danach folgte die eigens für diesen Abend von Gerhard Maier ersonnene „Improvisation einer Introduktion“ als Überleitung zum Herzstück des Konzerts. Maier begann sein Orgel-Solo ohne Stilbruch eher affirmativ, ließ dann über gurgelnden Triolen eine helle Kantilene erklingen, um nach wenigen Minuten in optimistischem, ruhigen Ton zu enden. Maier erklärte gegenüber unserer Redaktion: „Ich habe hier auch Motive aus den ,Slawischen Tänzen’ einfließen lassen als kleines weltliches Intermezzo.“
Beunruhigend und tröstlich
Dann schließlich die „Biblischen Lieder“: Der naturverbundene Tscheche lässt seinen Zyklus mit eher beunruhigenden Bildern aus der fantastisch-mythologischen Bildsprache des 97. Psalms beginnen. Darauf antworten einige Verse des Lobgesangs auf Gottes Wort in Psalm 119. Auf den Klagepsalm 55 lässt Dvorák sogleich die Rettungsgewissheit des hundertfach vertonten 23. Psalms folgen: „Gott ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Es folgen Bitt-Psalmen und Klage-Psalmen aufeinander, in einigen der Lieder werden Verse gleich mehrerer Psalmen von Dvorák vertont. Nach den Bitten um Leitung und Segen aus den Psalmen 25 und 121 enden die „Biblischen Lieder“ fröhlich und tröstlich mit Versen aus dem 98. Psalm „Singet dem Herren“.
Dvoráks persönlich stimmiger Folge von Versen konnten Riedel und Maier entsprechen und die filigrane Abstimmung der Pianissimi von Orgel und Gesang brillant meistern. Der Mezzosopranistin gelang es in jeder Tonstärke, die Kirche stimmlich zu füllen. In den mittleren Lagen überzeugte sie besonders.
Die „Biblischen Lieder“ sang Riedel nicht in der tschechischen Originalfassung, sondern auf Deutsch, allerdings in ihrer ganz eigenen Version, berichtet sie unserer Zeitung: „Ich habe mir die verschiedenen existierenden Übersetzungen ins Deutsche angeschaut und aus mehreren Fassungen neue Wortschwerpunkte geschaffen“. Das heißt, die Textform des Konzerts war somit einzigartig.
Begeisterter Applaus wurde durch eine begeisternde Zugabe an der Orgel belohnt. Mit Schwung und Präzision spielte Maier die Toccata aus der Fünften Symphonie von Charles-Marie Widor und wagte damit diesmal durchaus einen Stilbruch. Er begründete dies überzeugend: „Diese Toccata mit ihrem Kirmescharakter passt doch gut zur Messwoche. Mit dieser beliebten und fröhlichen Orgelmusik wollte ich einen feierlichen Schlusspunkt setzen.“
Nach insgesamt einer Konzertstunde dankte das Publikum mit stehenden Ovationen sowohl für die verhaltenen als auch die extrovertierten Töne dieses intensiven Orgelabends.
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