"Bronnbacher Archivalien" - Einblick in die Situation in Wertheim am Vorabend der Reformation (Teil 2)

Im Kirchenwesen lag manches im Argen

Von 
Robert Meier
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Bronnbach. Wie es dem im Sommer 1520 als Stadtpfarrer eingesetzten Hans Götz erging, wird im heutigen zweiten Teil der "Bronnbacher Archivalie" zur kirchlichen Situation in Wertheim am Vorabend der Reformation geschildert.

Der neue Pfarrer geriet in einen Streit mit dem Senior des Chorstifts, mit Daniel Hofmann, der damals schon fast 20 Jahre Chorherr war. Hofmann schwärzte den Pfarrer bei Graf Georg an. Götz verfasste zu seiner Verteidigung ein Schreiben, das Einblicke in die kirchliche Situation in Wertheim gewährt.

Festtage ohne Stiftsherren

Im Wertheimer Kirchenwesen lag manches im Argen, fand Götz. Die Stiftsherren kamen ihren Aufgaben nicht nach. Auch an hohen Festtagen waren sie oft abwesend, statt die Messe zu feiern. Wie aber könne man vom Volk Fleiß beim Besuch des Gottesdienstes erwarten, wenn man ihn selbst nicht aufbringt, fragte Götz.

Unter der Woche fand in Wertheim tagsüber gar keine Messe statt, "als wäre unsere Stadt ein Dorf". In allen Städten gebe es eine Tagesmesse, schreibt Götz, und in einer Stadt mit einem Stift sollte es erst recht eine geben. Die Anwesenheitspflicht der Geistlichen, überhaupt ihre oft laxe Pflichterfüllung, das war ein oft gehörter Kritikpunkt am Klerus in den Jahrzehnten vor der Reformation. Bei Götz verband er sich mit einer Person: Senior Daniel Hofmann. Denn ausgerechnet dieser gehörte zu denen, die oft fehlten.

Dann wurde Götz auch richtig persönlich. Graf Georg wisse ja, was Daniel für einer sei, und was für ein Leben er führe. In Gegenwart von gelehrten Leuten tue der "Grobpuffel" seinen Mund nicht auf, schreibt Götz. Das war natürlich eine feine Herabsetzung des Seniors durch den Magister Götz, der frisch von der Universität Ingolstadt gekommen war. Weniger fein deutet Letzterer an, dass Daniel Hofmann mindestens einen Sohn hatte, und zwar in Bestenheid.

Die inoffiziellen Priesterehen und Priesterkinder trotz offiziell geltenden Zölibats wurden viel kritisiert. Das galt also auch für Wertheim. Götz schreibt, wenn er drei Kinder und eine schöne Metze hätte und predige, dass dies keine Sünden seien, dann würden ihn "etliche Pfaffen und Leute" erst als rechten Pfarrer ansehen. Das spielte wohl wieder auf Daniel Hofmann an.

Schließlich hatte es wohl auch noch Streitigkeiten über die Gestaltung der Messe gegeben. Götz hatte deswegen an den Weihbischof und die Universität Ingolstadt geschrieben, aber Hofmann unterstützte ihn nicht. Die Chorherren "lassen Messe lesen (und) singen wie sie wollen", beschwert sich Götz, und Senior Hofmann greift nicht ein. Außerdem waren sich an Weihnachten der Stadtpfarrer und die Stiftsherren bei den Zeiten ihrer Gottesdienste in die Quere gekommen.

Gut vorstellbar, dass die alteingesessenen Herren sich von dem Neuankömmling, der auch noch schlechter besoldet war als sie, nichts sagen lassen wollten. Dahinter stand aber auch ein grundsätzlicher Konflikt: "Wenn die Menschen die Messe (bei Hofmann) gehört haben, so kommen ihrer gar wenig zu den Evangelien oder Predigt", beschwerte sich Götz.

Kraftausdrücke

Die Kirchenmänner schreckten im Streit auch vor kräftigen Ausdrücken nicht zurück: "Darf man nit mit dir reden du alter Narr, ich darf dir ein Mal eins in das Maul geben", zitiert Götz einen von ihnen. Sich selbst schilderte der Mann aus Ingolstadt als jemanden, der seine Aufgabe ernst nahm und versuchte, danach zu leben. Das Gute lehren und die Laster strafen, sei sein Ziel. Es gehe auch um seine Seele, wenn der Herr einst Rechenschaft von ihm verlangen werde. Deswegen wolle er seinen Schäflein mit gutem Beispiel und guter Lehre vorangehen.

Zuviel zu tun hat er übrigens auch. Götz muss die Frühmesse alleine ausrichten. Ohne Kaplan könne er das auf Dauer nicht leisten, stellte er fest. Als Vorbild für seine Predigten gibt er noch Johann Geiler von Kaisersberg an, den 1510 gestorbenen Straßburger Domprediger, einen weithin berühmten Mann, dessen Predigten auch gedruckt worden waren. Und auf die Frage, wie der Mensch selig werden könne, empfiehlt er ihm unter anderem "die Gemeinschaft und Verdienung aller lieben Heiligen" - ein sehr katholischer Gedanke.

Viele Schwierigkeiten

Es kamen wohl viele Schwierigkeiten zusammen für diesen Wertheimer Pfarrer in schwieriger Zeit. Persönliche Animositäten und Probleme eines Neugekommenen mit alten Strukturen vermischten sich mit den Eigenarten der Lebensführung des damaligen Klerus, der Pfarrorganisation und theologisch-pastoralen Aspekten.

Wie lange Götz in Wertheim blieb, ist nicht recht klar. 1523 wollte Graf Georg wieder einen Chorherrn zum Stadtpfarrer machen und wandte sich deswegen an Würzburg. In der Zwischenzeit hatte nicht nur der Wertheimer Graf Luther persönlich kennengelernt, sondern Luther war durch das Wormser Edikt zum Ketzer erklärt worden. Die Entwicklung, die zur Reformation wurde, hatte Fahrt aufgenommen.

Die von Götz geschilderte Situation in Wertheim 1520 dürfte recht typisch für die damalige Zeit gewesen sein. Die Ereignisse um den Pfarrer Götz zeigen uns aber auch einen Zustand, in dem noch offen war, wohin die Reise in der Main-Tauber-Stadt gehen würde.

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