Odenwald-Tauber. Wer hat sie nicht vor seinem geistigen Auge, die zwei umeinander flatternden Schmetterlinge, die schillernde Libelle oder die von Löwenzahnblüte zu Löwenzahnblüte fliegende Biene. Bilder, die einen kurz aus dem Alltag entführen, weil man unweigerlich diesen filigranen, kleinen Geschöpfen nachblicken muss. Doch genau diese geheimnisvolle, komplexe Welt der Insekten ist bedroht. „Wir haben jetzt schon 60, in manchen Gebieten 70 bis 90 Prozent weniger Insekten“, mahnt Diplom-Agraringenieurin Kerstin Lüchow (Eubigheim).
Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, könne jeder Einzelne etwas tun. Mit Beginn der Gartensaison bietet sich an, im Garten, auf Terrasse oder Balkon insektenfreundliche Akzente zu setzen. Keine Angst – man muss aus einer Mücke keinen Elefanten, aus der großen Rasenfläche keine Wildblumenwiese machen, aber da bekanntlich Kleinvieh auch Mist macht, ist bereits eine kleine Ecke, ein schmaler Streifen, ein Totholz- oder Sandbeet effektiv.
Beginnen wir mit dem Garten: Grundsätzlich könne man auf jedem Flecken etwas für die immense Insektenvielfalt tun, sei es im Schatten, Halbschatten, auf mageren oder nährstoffreichen, trockenen oder feuchten Böden. Bevor man zu Hacke und Saatgut greife, müsse man sich gut überlegen, was man umsetzen wolle und könne und wie sich die Pflege gestalte, so Lüchow.
Die Fachfrau rät zum abschnittsweisen Vorgehen, beispielsweise ein kleines Areal der Rasenfläche als Wildblumenwiese einzusäen. Wenn der Rasen mit Sandkasten und Schaukel von Kindern reichlich genutzt werde, habe man mit einem Blumenkräuterrasen eine insektenfreundliche Alternative.
Statt artenarmem Zierrasen sprießen hier Gänseblümchen, Schlüsselblume, Glockenblume und vieles mehr. Er bietet über das Jahr Nahrung und Unterschlupf, ist niedrig, trittfest und strapazierfähig, auch bei mehrmaliger Mahd. Schneeglöckchen, Krokusse, Traubenhyazinthen – die Wildform versteht sich – zaubern im Frühling schöne Farbtupfer, bieten Nektar und Pollen und man schlägt quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Des Weiteren könne man auch im reichen Fundus der Wildblumenbeete das geeignete für sich finden.
Ob Blühpflanzen von 15 bis über 90 Zentimeter Höhe, Schattsäume, essbare Blüten-Beete, Duftpflanzenbeete, bepflanzte Spritzschutzstreifen am Haus entlang, Blumenschotterrasen für Stellplätze, Farbenbeete in lila-weiß, gelb oder rot – die Natur bietet ein Füllhorn an Wildblumen und -gräsern. Wichtig sei, auf ein beständiges Nahrungsangebot zu achten, dass ein Blüh- und Trachtfließband vom ersten Sonnenstrahl im Februar bis in den Oktober hinein gegeben sei und die Made im sprichwörtlichen Speck leben könne.
Doch damit nicht genug. So habe der Insektenfreund die Auswahl zwischen tagduftenden Pflanzen, wunderbar, wenn er sich tagsüber viel im Garten aufhält oder Abendduftern, wie die kräftig lila blühende Nachtviole. Diese locken Nachtfalter an und bereiten damit den Abendbrottisch für Fledermäuse. Die häufig zu findenden Insektenhäuser seien nur sinnvoll, wenn auch Nahrungsquellen in der Nähe seien.
Darüber hinaus erfreuen Wildgehölzhecken mit schönen Blüten, bunten Früchten und unterschiedlichem Laub nicht nur Gartenbesitzer, sondern dienen Insekten und Vögeln als Nahrung und Nistplatz. Auch hier sei die Mischung wichtig, wobei Wildrose und Weißdorn nicht fehlen dürften, denn rund 100 beziehungsweise 60 Insektenarten brauchen deren Blüten.
Im „allergrünsten Bereich“
Die Hagebutten werden im Herbst dankbar von den Vögeln genascht. Die gelb blühende Kornelkirsche ist eine nahrungsreiche Alternative zur Forsythie. Befinde sich noch ein Faulbaum dazwischen, sei alles im „allergrünsten Bereich“, denn der anmutige Zitronenfalter brauche diesen. Seine Raupen fressen nur dessen Blätter sowie die des Kreuzdorns. Für weniger Platz eignen sich niedrige Hecken aus Rosmarinweide, der rotbelaubten Berberitze oder dem gelben Blasenstrauch, den die Große Holzbiene brauche, die hierzulande stark gefährdet ist. Letztere nage sich in unbehandeltes Holz. Mit Stammabschnitten und Wildblumen, die sich ans Totholz anschmiegen, könne man mit einfachen, naturnahen Materialien Unterschlupf bieten und kreativ gärtnerisch gestalten. „Wenn die Wildgehölze richtig ausgesucht sind, muss man sie nicht schneiden“, weiß die Gartenliebhaberin Kerstin Lüchow.
Für Terrasse und Balkon eignet sich die ganze Bandbreite an Wildpflanzen in Töpfen und Kästen, die reifüberzogen im Winter eine schöne Charakteristik bieten. Überhaupt solle im Herbst nicht alles abgeräumt werden. Auf den verblühten Stängeln, unter Blättern oder zwischen den Stauden überwintern Eier, Raupen und Puppen.
Und wenn im Gemüsebeet ein Salat „schießt“ oder ein Lauch durchblüht, brauche man sich nicht gleich ärgern, als sei eine Laus über die Leber gelaufen. Vielmehr könne man die vielen kleinen Kreaturen bestaunen, die sich um solch eine Blüte tummeln.
Bei Sandbeeten aus ungewaschenem Sand, entweder 40 bis 60 Zentimeter tief oder entsprechend aufgeschüttet, reiche eine Pflanze pro Quadratmeter. Diese fungiere als Orientierungshilfe, damit die Sandbienen in der „Wüste“ ihre Niströhren finden. Und damit diese nicht einstürzen, sei ungewaschener Sand, dessen Lehmpartikel für Stabilität sorgen, unerlässlich.
Angesichts der Vielfalt an Pflanzen und Gestaltungsformen kann einem fast das Gefühl beschleichen auf gar keinen grünen Zweig zu kommen. Daher sei eine sorgfältige Planung und Filterung erforderlich. Um die Auswahl etwas zu erleichtern, nennt Agraringenieurin Kerstin Lüchow ihre Top Ten, die in keinem Garten fehlen sollten: Wilde Möhre, alle Arten Glockenblumen, Resede, Natternkopf, Färberkamille, Wiesenmargeriten, Witwenblumen (ein Muss, da eine der schönsten Pflanzen), alle Arten Nelken, Hornklee und Zaunwicke.
Für „Spezialisten“ lebenswichtig
Diese Auswahl ist nicht nur der Optik wegen bedeutsam. Sie ist auch für „Spezialisten“ lebenswichtig. So findet man die schwarz-grün-orangenen Raupen des Schwalbenschwanzes bevorzugt auf der Wilden Möhre, den Bläuling auf dem Hornklee, ebenso wie Rosen-, Bockkäfer, Feuerwanze und die Große Wollbiene. Für Letztere ist er nicht nur Nahrungsquelle, sondern auch Rendezvous-Platz. Das Männchen wartet dort ganz ungeniert auf seine Angebetete. Die Natternkopfmauerbiene besucht nur – richtig erraten – den Natternkopf, die Frühlingslanghornbiene die Zaunwicke, die Scherenbiene die Glockenblume.
Mühelos könnte diese Liste weitergeführt werden, doch soll der geneigte Insektenfreund nicht abgeschreckt werden. Vielmehr wünscht sich Lüchow, dass die Menschen offener den Insekten gegenüberstehen, auch denen ohne „Kuschelcharakter“, denn jedem Krabbeltier komme im Ökosystem eine Bedeutung zu.
Also: Frisch ans Werk. Es ist der richtige Zeitpunkt, denn „vom Eis befreit sind Strom und Bäche“, um es mit Goethes Worten auf den Punkt zu bringen.
Info: Alle Texte und Themen zur FN-Gartenserie „Aufgeblüht“ finden Sie unter www.fnweb.de im Internet.
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