Wertheim. In unserer FN-Serie erzählt Michaela Grund Geschichten über die Wertheimer Zentgerichte, die vor einigen Jahrhunderten für Frieden und Ordnung in den Dörfern sorgten.
Wichtige Informationsquelle
Die Gerichtsprotokolle geben nicht nur Aufschluss über die Ausprägungen von Kriminalität in den Grafschaftsdörfern, sondern sie stellen auch eine wichtige dorfgeschichtliche Quelle dar.
Die Akten enthalten beispielsweise Informationen darüber, wie sich die Gemeinde organisiert hat, welche gemeindlichen Einrichtungen es gab und wie Herrschaft auf der Gemeindeebene umgesetzt wurde. So zeigen die Protokolle unter anderem auf, dass für die Wahrung von Ordnung und Frieden im Dorf nicht nur die Obrigkeit eine wichtige Rolle gespielt hat.
So berichtete im Jahr 1598 Hans Hefner aus Lindelbach, dass er in seinem Dorf am Kirchweihtag als Hüter unterwegs gewesen war, um dort nach dem Rechten zu sehen.
An diesem Tag, so gibt Hefner zu Protokoll, seien zahlreiche Bewohner aus dem benachbarten Dorf Urphar nach Lindelbach gekommen, um dort ins Wirtshaus zu gehen. Hefner selbst sei seinen Nachbarn bei ihrer Ankunft sogleich in die Gaststube gefolgt, um mit ihnen einen „Ehrentrunk“ zu nehmen, da es sich laut seinen Aussagen für einen gewissenhaften Hüter so gehören würde.
Streit im Wirtshaus
In der Folge berichtet Hans Hefner weiter, habe sich im Wirtshaus ein Geschrei erhoben und es sei zu einer Streiterei zwischen den beiden Männern Adam Berg und Klaus Reisig gekommen.
In seiner Funktion als Hüter versuchte Hefner schließlich, zwischen den beiden Kontrahenten zu vermitteln und die beiden Streithähne auseinanderzuziehen.
Mit Gewehr zugeschlagen
Klaus Reisig war indessen offenbar so sehr in Rage geraten, dass er sein Gewehr als Schlagwaffe gegen Adam Berg einsetzte. Daraufhin griff Hefner erneut ein, indem er Klaus Reisig ermahnte, dass er den Anordnungen eines Hüters Folge zu leisten habe und sich Adam Berg nicht noch einmal nähern sollte.
Die Schöffen am Wertheimer Zentgericht verurteilten Klaus Reisig und Adam Berg aufgrund ihrer tätlichen Auseinandersetzung jeweils zu einer Geldstrafe. Des Weiteren verwiesen sie Reisig an die Herrschaft, da er den Aufforderungen des Hüters, Frieden zu halten, nicht Folge geleistet hatte.
Dass Personen als „Hüter“ oder „Wächter“ im Dorf unterwegs gewesen sind, ist auch für andere Grafschaftsdörfer im Gerichtsbezirk der Wertheimer Zent nachweisbar. Leider lassen sich bezüglich der sozialen Herkunft der Wächter und Hüter kaum Aussagen machen.
Im Fall von Hans Hefner klingt an, dass die Aufgabe von ehrbaren und gewissenhaften Dorfbewohnern zu verrichten wäre. Das „Amt“ setzte offenbar ein bestimmtes Maß an sozialem Ansehen voraus und wurde mit großer Wahrscheinlichkeit „ehrenamtlich“ und reihum von unterschiedlichen Personen in den Dörfern ausgeführt. In der Zeit um 1600 organisierte die Dorfgemeinde die Wachaufgaben vor Ort selbst und führte diese auch eigenständig aus.
In vielen Zentgerichtsprotokollen wird erwähnt, dass die Wächter und Hüter sich an zentralen Orten im Dorf, etwa an den Toren oder in der Nähe der Dorflinde, aufhielten, um so nach dem Rechten zu sehen und gegebenenfalls für Ordnung zu sorgen. Zum Teil wurden sie in einem Konfliktfall auch ganz bewusst um Hilfe gerufen. In der Folge brachten sie die Vergehen dann am Wertheimer Zentgericht zur Anzeige.
Mittelbare Kontrolle
Für die Wertheimer Grafen war die Etablierung der Wächter und Hüter insofern von Vorteil, da sie so eine mittelbare Kontrolle über die in den Dörfern begangenen Vergehen hatten. Umso wichtiger war es diesbezüglich, dass es sich hierbei um Personen handelte, die nicht von den Herrschern, sondern auch von den Beherrschten anerkannt waren. Die Wächter und Hüter trugen durch Wahrnehmung ihrer Wachaufgaben dazu bei, dass Ruhe und Frieden in den Dörfern gewahrt wurden.
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