Wertheim. „Hören Sie mal – das klingt doch nicht.“ Bezirkskantor Carsten Wiedemann-Hohl schlägt an der Orgel in der Stiftskirche zwei Tasten gleichzeitig an. Zugegeben, als Laie würde man mitten in einem Konzert diese Unstimmigkeit nicht feststellen. Noch einmal schlägt Wiedemann-Hohl die Kombination an. Jetzt klingt es tatsächlich eher wie die Hupe auf einem Kinderkarussell als nach großem Musikinstrument. Auch Amtsnachfolger Professor Carsten Klomp muss über die Bemerkung schmunzeln. Beide Organisten waren sich von Anfang an einig, hier muss etwas passieren. Denn die Rensch-Orgel weist aktuell noch weitere deutliche Schwachstellen auf, geben sie zu bedenken.
Erbaut wurde das Instrument 1982 von der Orgelbaufirma von Richard Rensch aus Lauffen am Neckar. Sie löste eine Mann-Orgel ab. Diese wiederum war Nachfolgerin eines Instruments des bedeutenden Orgelbauers Stumm. „Die Kirche ist fast 650 Jahre alt, da liegt es auf der Hand, dass hier schon einige bedeutende Instrumente standen“, sagt der zukünftige Bezirkskantor Carsten Klomp. Der scheidende Bezirkskantor, Carsten Wiedemann-Hohl, erinnert an eine Schwalbennest-Orgel, die wie ein Schwalbennest direkt an eine Wand montiert war, inzwischen nicht mehr existiert und durch ein Gemälde an jener Stelle ersetzt wurde. Nur ein Schild weist noch auf deren Existenz hin.
Das größte Problem
„Schon bei unserem ersten Gespräch im Stiftshof, als ich meine Arbeit als Kantor hier antrat, habe ich darauf hingewiesen, dass beispielsweise das Pedal der Orgel aufgebohrt und aufgerüstet werden müsste“, erinnert sich Carsten Wiedemann-Hohl. Auch Carsten Klomp hat bei seinem ersten Spiel auf der Rensch-Orgel – als er übergangsweise die Kantorenstelle ausfüllte – deren Schwachstellen sofort ausgemacht und angeregt, dass es Maßnahmen geben müsste.
„Das größte Problem der Orgel ist die Windversorgung, die sehr instabil ist. Für große Werke, die viel Wind benötigen, ist das Instrument aktuell nicht optimal“, so Wiedemann-Hohl. Was man unter Windversorgung versteht, erklärt Klomp so: „Die Pfeifen werden mit bewegter Luft zum Orgeln gebracht. Der Motor pumpt die Luft in einen Blasebalg, von dem aus die Luft über eine Art Adersystem verteilt wird. Insgesamt haben wir hier an der Orgel 3500 Pfeifen, und die brauchen eben sehr viel Wind.“
Anstatt nur einzelne Fehler auszumerzen, wurde recht schnell in den beteiligten Gremien darüber diskutiert, eine komplette Renovierung der Orgel in Angriff zu nehmen. Dabei soll eine Um-Intonierung stattfinden. „Das heißt, die Klangfarbe soll verändert werden, damit die Orgel einfach fülliger klingt. Auch die Zungenstimmen sollen mehr Fundament bekommen. Im Schwellwerk, also dem obersten Manual, soll ein Register ausgebaut und durch ein kräftigeres ersetzt werden.“
Die Liste der angestrebten Veränderungen, die Wiedemann-Hohl aufzählt, ist lang. So soll auch das Spielgefühl (Traktur) nach der Renovierung noch differenzierter ausfallen. „Durch den Einbau von elektrischen Koppeln können in Zukunft alle Stimmen überall anzusteuern sein.“ Die Schwergängigkeit werde durch diese elektrischen Koppeln behoben.
Wie bei allen großen Vorhaben, so fand auch für diese Orgelrenovierung eine Ausschreibung statt, an der sich auch jene Firma Rensch beteiligte, die vor über 40 Jahren die Orgel erbaute. Carsten Wiedemann-Hohl, Carsten Klomp und der Orgelsachverständige der evangelischen Landeskirche, Dr. Martin Kares, bewerteten die Angebote und entschieden sich für eine Ausführung durch die Firma Mühleisen aus Leonberg.
„Früher wurde die Kirche simultan genutzt und es gab immer viele Auseinandersetzungen darüber, wer für die Kosten aufkommen müsse“, sagt Klomp.
Die anstehende Renovierung der Orgel werde voraussichtlich 213 000 Euro kosten. Wiedemann-Hohl spricht von einer Investition, die langfristig gesehen absolut sinnvoll sei. „Billiger wird es bestimmt nicht. Ob es etwas teurer wird, wird man sehen. Denn manche Schwachstellen erkennt der Orgelbauer erst, wenn er das Instrument auseinandergebaut hat“, ergänzt Klomp.
3500 Pfeifen
Für die Renovierung werden alle 3500 Pfeifen ausgebaut und aufgearbeitet. Klomp vermutet, dass 98 Prozent der Teile wiederverwendet werden können. Mühevoll wird unter anderem die Nachintonierung sein, bei der jede Pfeife einzeln gespielt und der Ton angepasst werden muss. „Und das bei 3500 Pfeifen“, Klomp schüttelt den Kopf.
Wie Klomp und Wiedemann-Hohl versichern, werde es äußerlich keine Änderungen geben. „Zwei Drittel der Veränderungen wird niemand bemerken, wenn er nicht gerade selber Orgel spielt.“ Vom ursprünglichen Plan, die Renovierung innerhalb von drei Monaten durchführen zu lassen, ist man inzwischen abgekommen. Voraussichtlich wird es bis zu fünf Monate dauern. Teilweise werden bis zu drei Mitarbeiter der Orgelbaufirma in der Stiftskirche arbeiten. Parallel dazu finden weitere Arbeiten in deren Werkstatt in Leonberg statt. „Da kann man die Dimensionen des Projekts erahnen“, sagt Klomp.
Die Kostenbeteiligung
Die nicht unerheblichen Finanzmittel von 213 000 Euro sollen über verschiedene Kanäle zusammenkommen.
Die Landeskirche wird 70 000 Euro beisteuern. Der Förderverein der Stiftskirche habe einen größeren fünfstelligen Betrag in Aussicht gestellt. Über 100 000 Euro müssen jedoch durch Spenden und Sponsorengelder aufgebracht werden. Im Juni begeisterte Professor Carsten Klomp mit den Goldberg-Variationen und konnte Spenden in vierstelliger Höhe während des Konzerts einnehmen. Beim Silvesterkonzert, das Wiedemann-Hohl und Klomp gemeinsam bestritten, kam die erste vierstellige Spendensumme zusammen. Auch die Kollekte, die bei der „Orgelmusik zur Marktzeit“ gesammelt wird, geht in den „großen Topf“ für die Sanierung des Instruments. „Die Arbeiten sollen nun im August 2025 starten. Ich hoffe, dass wir bis dahin den größten Teil an Spendengeldern bereits zusammen haben“, sagt der dann zuständige Bezirkskantor Klomp.
Groß sei seine Hoffnung, dass zum ersten Advent 2025 die Orgel wieder einsatzbereit sei. In der Zwischenzeit wolle man sich mit dem Flügel in der Kirche und Klomps Cembalo behelfen. Auch eine kleine Orgel soll ausgeliehen werden. „In der Zeit kann es natürlich keine Orgelkonzerte geben“, weist Klomp hin. Wichtig ist ihm auch, zu erwähnen, dass der Kirchengemeinderat das Vorhaben von Anfang an unterstützt und alle Entscheidungen mitgetragen habe. „Letztendlich trägt dieses Gremium ja die Verantwortung“, so Klomp.
Einig sind sich die Kantoren darin, dass es richtig ist, mit einem großen Vorhaben alle Schwächen des Instruments beseitigen zu lassen und nicht nur „Flickschusterei“ zu betreiben. Doch so eine große Renovierung dauert eben und kostet.
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