Bronnbach. Mit einem hybriden Vortrag über die „Kriminalität und dörfliche Gesellschaft in der Grafschaft Wertheim“ eröffnete Dr. Michaela Grund am Dienstagabend das Jahresprogramm des Historischen Vereins im Archivverbund Main-Tauber.
FN-Leser mögen sich an die sechsteilige Serie erinnern, in der die Referentin im Herbst bereits einige Artikel über die Wertheimer Zentgerichte veröffentlicht hat. Für ihre im vergangenen Jahr publizierte Dissertation hatte die aus Bütthard stammende Würzburger Gymnasiallehrerin im Staatsarchiv Wertheim den Aktenbestand des Zeitraums 1589 bis 1611 ausgewertet.
Aus dem Zentbuch und besonders den sogenannten Rügeprotokollen könnten nicht nur Erkenntnisse über die Konfliktart, sondern auch die Sozialstruktur und Organisationsformen und damit über die Lebenswelt der frühen Neuzeit gewonnen werden.
„Vielleicht treffen Sie heute auf den einen oder anderen Vorfahren“, kündigte Grund anfangs an. Nicht nur die örtliche Nähe, sondern auch die heute noch in manchen Ortschaften präsenten Familiennamen ermöglichten in der Tat einen plastischen und lebensnahen Zugang zu dem Thema.
Als Zent bezeichnete man im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen eine Gerichts- oder Verwaltungseinheit. Das Wertheimer Zentgericht war eines von drei Gerichten der Grafschaft. Es war damit für Delikte in 14 Dörfern zuständig, die zum großen Teil heute zur Großen Kreisstadt gehören.
Das Gericht tagte vierteljährlich unter dem Vorsitz des von der Herrschaft eingesetzten Zentgrafen und behandelte Fälle aus allen Dörfern. Die wichtigsten Personen jedoch waren die Schöffen, in der Regel Bauern. Denn sie fällten die Urteile in den Verhandlungen. Sie waren zwar meist analphabetische Untertanen, hatten durch ihre Urteile aber eine zentrale Funktion bei der Erhaltung von dörflichem Frieden und Ordnung. Grunds Recherchearbeit konzentrierte sich auf niedergerichtliche Fälle, die besonders auf die Friedenserhaltung achteten. Mittels einer Rüge konnten sich auch dritte Personen an das Gericht wenden.
Die anschauliche Unterlegung des Vortrags mit konkreten Fällen, teils mit Originalzitaten vorgetragen, entlockte dem Publikum nicht nur einige Schmunzler, sondern ließ so manche Szenerie vor dem inneren Auge fast schon lebendig erscheinen. Wenn die Referentin beispielsweise eine Wirtshausschlägerei in Bettingen schilderte, konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass nicht wenige Verhaltensmuster der Menschen vor 400 Jahren den heutigen doch sehr glichen.
Drei Viertel der insgesamt gut 800 erfassten Fälle hätten Delikte zu Gewalt und Ehre betroffen, so Grund. Diese beiden Hauptkategorien waren eng miteinander verbunden. Denn Gewaltdelikten wie Schlägereien sei häufig eine als Ehrverletzung interpretierte Situation vorausgegangen. Um seine Ehre wiederherzustellen, konnte man vor Gericht ziehen oder aber sie durch Gewalt verteidigen.
„Ehre spielte damals eine große Rolle, um nicht ins soziale Abseits gedrängt zu werden“, erläuterte Grund. Daher geschahen Ehrdelikte – sei es durch Worte, Gestik oder Mimik – immer in der Öffentlichkeit. Ihre Auswertung habe zutage gebracht, dass sich 42 Prozent der zuordenbaren Gewaltdelikte in Wirtshäusern abgespielt haben. Ein kleinerer Anteil der Delikte umfasste Eigentumsdelikte und „über Frieden schlagen“. Lediglich sechs Delikte seien religiösen Gründen zuzuordnen, so auch eine Gotteslästerung.
Mit einem Drittel entstammten die meisten Täter der Bauern- und Handwerkerschaft, die allerdings aufgrund ihres Untertanenstatus’ auch mehr in der Öffentlichkeit präsent waren. Lediglich acht Prozent dagegen waren Frauen, was auch auf deren gesellschaftliche Stellung vor allem im häuslichen Bereich zurückzuführen sei. Dahinter folgten Gesinde und Schultheiße. Fast die Hälfte der Täter sei unbekannt. Die Vorstellung, dass die Täter besonders aus unteren Schichten kamen, treffe explizit nicht zu. „Es waren Vertreter aller dörflichen Schichten“, fasste Grund zusammen. So sei auch der Prior von Bronnbach 1593 in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Ortsfremde Personen wurden ebenso bestraft, um ein Zeichen nach außen zu setzen.
Um den Frieden zu wahren, habe die Dorfgemeinschaft versucht, ihre Konflikte sehr ritualisiert zunächst zu lösen. Streitigkeiten und Normen seien zunächst innerhalb des Dorfs und in der Nachbarschaft behandelt und nicht zuerst durch die Obrigkeit bestimmt worden. Oft seien sogenannte „Hüter“ und „Wächter“ als neutrale Autoritätspersonen zur Deeskalation um Hilfe gerufen worden. Es habe somit „Momente gegeben, die auf Friedensstiftung ausgelegt waren“. Überging ein Kontrahent ihren Schlichterspruch, indem er „über den Frieden schlug“, also erneut Gewalt anwandte, sei die Strafe durch die Schöffen jedoch umso härter ausgefallen.
Der Erfolg eines „Wächters“ habe nicht von seiner sozialen Stellung abgehangen. Wichtiger als das Amt sei die Autorität dieser ehrbaren Personen gewesen. Zumindest im Wertheimer Raum seien die „Wächter“ auch sehr angesehen gewesen. Den Dorfbewohnern sei es nicht darum gegangen, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen oder andere zu denunzieren.
Der Zent und die Urteile der Schöffen stießen daher auch auf eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft. Das Vorgehen sei nicht repressiv, sondern mit dem Ziel verbunden gewesen, den innerdörflichen Frieden zu wahren. Dafür hätten sich die Untertanen gleichermaßen verantwortlich gefühlt. „Die Arbeit des Zentgerichts war deshalb erfolgreich, weil die Bewohner aus den dörflichen Lebenswelten dazu beigetragen haben“, betonte Michaela Grund abschließend. Der Wunsch nach innerer Ordnung und Frieden im Dorf habe die Einwohner vereint.
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