Reicholzheim. Ist der Wettergott parteiisch? Am Sonntagabend hätte man durchaus auf die Idee kommen können. Pünktlich zu Beginn der Veranstaltung „Wein und Brückenschlag“ schloss er die Wasserschleusen und ließ sogar kurz die Sonne durchblitzen.
Die Reicholzheimer jedenfalls hat es gefreut. Sie hatten sich an ihrer Brücke zusammengefunden, um ihren Unmut über das geplante Vorhaben des Straßenbauamtes des Landkreises deutlich zu machen.
Bei einem Gläschen Wein wollte man miteinander ins Gespräch kommen, Informationen zum Thema austauschen, die Petition unterschreiben und vor allem der Öffentlichkeit zeigen, dass man mit dem Vorhaben nicht einverstanden ist. Rund um die vor kurzem aufgestellte Holzhütte, in der alle Artikel aushängen und die Unterschriftensammlung parat liegt, hatten sich etwas mehr als 150 Bürger eingefunden, darunter auch etliche Wertheimer und eine große Abordnung aus Gamburg, inklusive Ortsvorsteher Roland Johannes und Werbachs Bürgermeister Georg Wyrwoll. Wyrwoll bezeichnete die Teilnahme der Gamburger an der Reicholzheimer Veranstaltung als „wichtigen Brückenschlag“, der zeige, wie bedeutsam ein gemeinsames Vorgehen sei.
Vor einer Woche hat die Kreisverwaltung alle Vorhaben für das Anbringen von Geländern auf sechs Brücken im Kreis „auf Eis“ gelegt und Gespräche mit den Bürgern angeboten hat.
Gespräch mit Landrat
Ein erstes Gespräch wird an diesem Mittwoch auf Drängen des früheren Reicholzheimer Ortsvorstehers stattfinden. Rolf Sommer hat sich mit Nachdruck um einen Termin bei Landrat Christoph Schauder bemüht. „Diese Brücke wurde 1989 bis 1992 vom Landratsamt generalsaniert. Die Straße ist dabei 50 Zentimeter höher gekommen, damit sie 60 Tonnen Tragkraft aufweist. Im Zug dieser Maßnahme wurde die Mauer aufgrund der geltenden Vorschriften damals erhöht. Diese Bestimmungen sind heute noch gültig. Also hat das Landratsamt entweder damals gegen die Rechtsvorschriften gehandelt oder es wurden alle Vorschriften eingehalten. Das würde jedoch bedeuten, dass die Brücke heute nicht verändert werden muss“, sagte Sommer.
Soll: 1,30 Meter
Von einer möglichen Änderung der Vorschriften weiß auch an diesem Sonntag in Reicholzheim niemand. Die Vorschriften für Geländerhöhen dagegen sind allseits bekannt und richten sich nach der Fallhöhe. Inzwischen wurde jedoch bekannt, dass das Straßenbauamt des Landkreises nicht nur eine Höhe von 90 Zentimetern, sondern eine Gesamthöhe der Brüstung (also inklusive Geländer) von 1,30 Meter anstrebe. Grund dafür sei der Radverkehr auf den Brücken. Das würde für die in der Regel 80 Zentimeter hohen historischen Brücken ein Stahlgeländer von 50 Zentimetern bedeuten.
Zufrieden mit der Veranstaltung ist Reicholzheims Ortsvorsteher Sebastian Sturm. „Ich freue mich, dass so viele Menschen da sind, die Veranstaltung annehmen und uns unterstützen.“ Noch immer ist er erstaunt über die generelle Vorgehensweise. „Wir haben über die Wertheimer Stadtverwaltung von diesem Vorhaben erfahren, dass zwischenzeitlich vom Landesdenkmalamt abgelehnt wurde. Als eine ganz ähnliche Situation im Gamburg entstand, wurde bekannt, dass das Landesdenkmalamt dem Entwurf für Reicholzheim zugestimmt hat. Aus diesem Grund haben wir uns jetzt zusammengetan, mit Gamburg solidarisiert und das heute gezeigt.“
In knapp zehn Tagen habe man allein in Reicholzheim über 600 Unterschriften gegen das Vorhaben gesammelt. „Daran sieht man doch eindeutig, dieses geplante Geländer braucht keiner“, sagt Sturm mit Nachdruck.
Unterschriftensammlung läuft
In Abstimmung mit den Gamburgern wolle man gemeinsam die Unterschriftenlisten dem Straßenbauamt oder dem Landrat übergeben, um noch einmal mit Nachdruck zu fordern, vom Anbringen der Geländer auf den historischen Brücken Abstand zu nehmen und sie nicht nur „auf Eis“ zu legen.
Direkt am Brückenzugang stehend stimmte plötzlich jemand nach der Melodie von Queens Welthit „We will rock you“ den Ruf an: „Wir wollen kein Geländer.“ Plötzlich sangen und klatschten alle 150 Anwesenden mit.
Einer von ihnen war Konrad Schlör: „Wie alle hier finden wir es total daneben, dass auf unsere historische Brücke ein Geländer bekommen soll. Wenn man die Entwürfe anschaut, wie es werden soll, dass sieht nicht nur nicht schön aus. Das ist auch kontraproduktiv, weil auf dem vorgesehenen Geländer Kinder gut rumturnen könnten. Dann wird es ja noch gefährlicher.“
Schlörs Vorschlag: Die Fahrradfahrer dazu bringen, dass sie absteigen, ihr Rad über die Brücke schieben und somit ein Geländer unnötig wird. „Oder man baut einen schönen Aufsatz aus Sandsteinen, so dass die Brücke nicht anders aussieht, aber die Sicherheitsvorkehrungen wären gegeben. Und wenn das zu teuer ist, wäre ein Schild auch eine Lösung.“
Seiner Meinung nach sollte man bei historischen Brücken deutlich mehr Wert darauf legen, dass der geschichtsträchtige Eindruck erhalten bleibt. „Die Historie sollte im Vordergrund stehen und deshalb muss man behutsam umgehen.“
Schlör forderte eine Entscheidung, an der mehrere Gremien beteiligt werden, darunter auch der Ortschaftsrat.
Wormser Lösung
Wie einer der Anwesenden wusste, musste die Verwaltung in Worms ein ganz ähnliches Problem lösen. Auch dort sollte das Geländer von mehreren Brücken auf 1,30 Meter erhöht werden. Das teure Unterfangen konnte durch Proteste und vor allem den rührigen Bundestagsabgeordneten Jan Metzler gestoppt werden. Der hatte nämlich herausgefunden, dass es laut Gesetz eine Art Bestandsschutz geben würde und nur für neu gebaute Brücken die vorgeschriebenen 1,30 Meter gelten würden.
Die Stadt Worms stellte als Schutzmaßnahme an die nicht umrüstbaren Brücken Schilder auf, die vor einer möglichen Absturzgefahr warnen.
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