Wertheim. Nach jahrelanger Hängepartie ist der Baupfuschfall im Wertheimer Stadtteil Hofgarten (wir berichteten mehrfach) abgeschlossen. Jens Müller, der Bauherr, erhält von den Versicherungen des beteiligten Architekten und der Handwerksfirma sowie vom Architekten selbst rund eine Million Euro. Wäre der Wasserschaden an dem Gebäude rechtzeitig fachgerecht beseitigt worden, hätte die Schadenssumme lediglich 5000 Euro betragen, schätzt Jens Müller. Der Fall ist ein Lehrstück dafür, was bei einem Bauvorhaben alles schief gehen kann, und wie sich der finanzielle Schaden in astronomische Höhen schraubt, wenn die Verantwortlichen den Kopf in den Sand stecken und Versicherungsunternehmen auf Zeit spielen (siehe auch Hintergrund).
„Ich halte durch! Bis zum Schluss! Acht Jahre, wenn es sein muss“, rief Jens Müller der gegnerischen Seite vor dem Landgericht Mosbach im April 2021 zu. Da lag das Schadensereignis schon zweieinhalb Jahre zurück. Jetzt, nachdem ein weiterer Zivilprozess vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe drohte, gab er doch nach. Mit Unterstützung seines Anwalts Bernd Kober schloss er Anfang März einen Vergleich. Der ausgehandelte Schadensersatz von rund einer Million Euro liegt zwar weit unter der von ihnen errechneten Summe von 1,9 Millionen Euro, doch die Unwägbarkeiten waren ihm zuletzt zu groß, wie er im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten sagt.
„Restrisiko“
Ein weiterer Zivilprozess in Karlsruhe hätte ein gewisses „Restrisiko“ mit sich gebracht. Selbst wenn er dort Recht bekommen hätte, könne er nicht sicher sein, alle Kosten erstattet zu bekommen. Das Mosbacher Landgericht habe ihm im Oktober 2021 zwar dem Grunde nach Recht gegeben, doch die komplette Schadenssumme sei nicht beziffert worden. Er hätte sich mit den gegnerischen Parteien im weiteren Verlauf „über jede Kleinigkeit streiten müssen.“ Zudem stehe in Frage, inwieweit die Gegenseite überhaupt in der Lage sei, dann Zahlungen zu leisten. Unternehmen oder Architekt könnten Insolvenz anmelden, wenn der Schaden die Haftungssumme ihrer Versicherungen weit übersteigt.
Jetzt – nach über 1000 E-Mails und zwei Wäschekörben voll mit Akten – bleibt Müller auf einem Teil des errechneten Schadens sitzen. Der beinhaltet neben den eigentlichen Baumängeln und deren Folgekosten, entgangene Mieten sowie Umsatzerlöse (abzüglich Betriebsaufwendungen) der geplanten Wohngemeinschaft mit sieben Beatmungspatienten. Bis zu einer Entscheidung hätte der Betrag auf über drei Millionen Euro anwachsen können, schätzt Müller.
Das Projekt im Hofgarten war für ihn strategischer Natur, sollte helfen, neue Geschäftsfelder zu erschließen, denn die reine ambulante Pflege sei betriebswirtschaftlich ein „Ritt auf der Rasierklinge“. Mit dem Stillstand auf der Baustelle „war letztendlich die Existenz meines Unternehmens gefährdet, weil plötzlich auch Corona hinzukam“.
Neuer Standort
Um die Expansion seiner Firma gewährleisten zu können, habe er entschieden, sich „auf etwas Neues zu konzentrieren und mit dem Hofgarten abzuschließen“. Das neue Projekt ist derzeit in Planung. Standort: Bestenheid. Wo genau, will Jens Müller nicht sagen, denn noch sind die Formalien für den Kauf des Geländes nicht abgeschlossen. Zunächst müsse er aber das Bau-pfusch-Projekt im Hofgarten abschließen und dort unterm Strich mit so wenig wie möglich Verlust herauskommen. Je nach Szenario würde dieser zwischen 100 000 und 200 000 Euro betragen.
Bitter: Jens Müller muss eine sechsstellige Summe abschreiben, obwohl er weder für die Ursache noch für die daraus folgenden Fehlleistungen verantwortlich ist. Bitter auch, so Müller, „weil ich den Architekten darauf hingewiesen habe, dass die Angelegenheit eskalieren kann“. Immer wieder habe er darauf gedrängt, dass die Versicherung des Architekten den Schaden regulieren soll, um eine Kostenexplosion zu vermeiden.
Jetzt sagt er: „Haken dran, nach vorne schauen, weitergehen.“ Unter diesem Motto habe er einen Schlussstrich gezogen und will in die Zukunft schauen. Jens Müller betrachtet die Angelegenheit nicht als Niederlage, obwohl er unverschuldet in die Situation geraten ist. Im Grunde hatte er auch den Vorteil, dass er mit einem langen Atem seine Ansprüche geltend machen konnte. Anderen, weniger gut aufgestellten Leuten, geht schnell die Puste aus.
Versicherungen spielen auf Zeit
Jeder müsse für sich selbst entscheiden, welches Risiko er eingehen kann, sagt Müller. Komme es zum Konflikt mit großen, finanzkräftigen Gegenspielern, wie den Haftpflichtversicherungen, solle man die Öffentlichkeit ins Spiel bringen. Ohne die Berichterstattung – vor allem der Fränkischen Nachrichten – wäre sein Rechtsstreit noch viel schlechter ausgegangen, so Müller.
Die Versicherung des Architekten habe nur weitere Zahlungen geleistet, „weil der öffentliche Druck da war“. Denn Versicherungsgesellschaften scheuten negative Nachrichten wie der Teufel das Weihwasser.
Über das Verhalten der Assekuranzen verliert Müller kein gutes Wort. „Wenn man ihnen als Anspruchsteller im Streit gegenüber tritt, merkt man, dass wir im Kapitalismus leben – wer das Geld hat, sagt, wo es langgeht.“ So könnten sich diese Unternehmen einen Rechtsstreit über Jahre leisten, „in der Hoffnung, dass der Gegenüber den Schwanz einzieht und umfällt“. Trotzdem sollten Baupfuschopfer keine Scheu vor der Auseinandersetzung haben.
Sollte Müller selbst noch einmal ein ähnliches Projekt angehen, werde er die Beteiligten vorab gründlich unter die Lupe nehmen und „von Anfang an mit einem Rechtsbeistand zusammenarbeiten“. Alle Verträge müssten geprüft werden, auch die Haftpflichtpolicen von Architekten und Unternehmen, damit im Schadensfall eine ausreichend hohe Deckungssumme vorhanden ist.
Für das Objekt im Hofgarten sucht Müller jetzt einen Käufer. Hier könnten sieben kleinere Wohneinheiten entstehen. Weil viele Vorarbeiten erledigt sind, glaubt Müller, dass er trotz der derzeit widrigen Umstände einen Investor findet.
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