Kundgebung

1300 Menschen demonstrieren in Wertheim gegen Rechtsextremismus

Mehr als 1000 Teilnehmer kamen zur großen Demonstration gegen Rechtsextremismus am Samstagmittag auf den Wertheimer Marktplatz. Es gab Appelle für Offenheit, Toleranz und Vielfalt.

Von 
Kai Grottenthaler
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Vollgepackt: Die Stadt Wertheim geht von 1300 Teilnehmern an der Kundgebung gegen Rechtsextremismus auf dem Wertheim Marktplatz aus. © Kai Grottenthaler

Wertheim. Insgesamt waren es gut 1300 Gesichter, die sich nach Angaben der Stadtverwaltung in Wertheim am Samstag für Demokratie und Zusammenhalt zeigten. So viele Menschen waren mittags um „fünf vor zwölf“ zur Kundgebung „Wertheim zeigt Gesicht“ auf den Marktplatz gekommen, um sich für die Demokratie und gegen rechte Tendenzen stark zu machen.

Auch viele Schülerinnen und Schüler nahmen bei der Kundgebung teil. © Kai Grottenthaler

Es war ein beeindruckendes Zeichen aus der Breite der Zivilgesellschaft, um Stellung zu beziehen zu den politischen Entwicklungen der vergangenen Wochen, speziell die Enthüllungen zum Treffen von Rechtsextremen in Potsdam. Den Demonstrationsaufruf der Dekanin Wibke Klomp und des Wertheimer SPD-Kreisvorsitzenden Thomas Kraft unterstützten 114 Organisationen über ein breites Spektrum an Parteien, Vereinen, Verbänden und Unternehmen.

Wertheimer OB Herrera Torrez mit „Gänsehaut“

Dicht an dicht standen die Bürgerinnen und Bürger, teils mit Transparenten oder Schildern ausgestattet, auf dem fast vollständig gefüllten Marktplatz. Der Blick auf das Menschenmeer erfüllte auch Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez mit Stolz. „Ich habe Gänsehaut, wenn ich hier runterschaue“, sagte er in seiner Rede. Noch nie habe er so viele Menschen auf dem Marktplatz gesehen. Das „Leuchtfeuer der Demokratie“ sei nun auch in Wertheim entzündet worden. „Das macht mich als Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Wertheim sehr, sehr glücklich“, so ein stellenweise sichtlich angefasster OB.

BSZ-Schulsprecherin Elisa Spielmann © Kai Grottenthaler

Wertheim sei genau der richtige Ort, um für Demokratie und Vielfalt auf die Straße zu gehen. Denn nur dank der Vielfalt sei die Stadt zu dem geworden, was sie heute ist. Er verwies auf die Aufnahmebereitschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, gegenüber den sogenannten „Gastarbeitern“ oder nach dem Ende des „Kalten Krieges“. Unter großem Applaus rief er: „Wertheim ist eine Stadt der Vielfalt.“

Dies solle man auch in Zukunft als „großes Kraftsymbol“ begreifen. Nun sei die gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieses „Leuchtfeuer der Demokratie“ nicht erlischt. „Denn ‚Nie wieder’ ist genau jetzt!“

Die Teilnehmer der Demonstration brachte zahlreiche Plakate mit. © Kai Grottenthaler

Überwältigt von der großen Resonanz war auch Dekanin Wibke Klomp, die die Aktion vor gut einer Woche initiiert hatte. „Der Marktplatz ist voll, und das ist großartig“, rief sie der Menge zu. „Wir alle leben gerne hier, auch wenn es Dinge gibt, die besser sein könnten.“ Aber Demokratie bedeute das Ausbalancieren von Interessen und ins Gespräch zu kommen: „Zu lange stand das Gemeckere im Vordergrund. Zu lange erhielten jene Raum, die am lautesten geschrien haben und die bewusst polarisieren. Und damit ist jetzt Schluss.“

Miteinander gestalten

Demokratie zeichne sich durch die Achtung der Menschenrechte aus, die man erst recht am Tag des Holocaust-Gedenkens hochhalte. Nie wieder dürfe so etwas wie unter der Herrschaft der Nationalsozialisten geschehen. „Ich stehe hier als eine, die keine Angst vor einer Auseinandersetzung hat“, sprach sie auch mit Blick auf den Tag zuvor, als sie auf dem Marktplatz von einem Mitbürger als Lügnerin angeschrien worden sei. Ihre Rede endete mit einem flammenden Appell: „Nun ist es an der Zeit – und es ist unsere Zeit – sie miteinander zu gestalten. Lasst uns heute miteinander Geschichte schreiben.“

Michael Szabo am Rednerpult. © Kai Grottenthaler

Für Solidarität plädierte auch DGB-Regionsgeschäftsführerin Silke Ortwein: „Wir sind solidarisch und wir lassen uns nicht spalten.“ Die Gewerkschafterin warnte vor den heutigen „Demokratiefeinden und rechten Parteien, die im Grunde gegen alles sind, wofür wir stehen.“

Man dürfe nicht zulassen, dass andere Menschen abgewertet werden. „Gemeinsam sind wir stärker und so können wir die anstehenden Probleme lösen.“ Jeder Einzelne müsse Position im Alltag beziehen, um eine menschlichere, buntere und gerechtere Gesellschaft zu ermöglichen.

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Für die Kreishandwerkerschaft sprach Unternehmer Michael Szabo, der vor 57 Jahren selbst aus Ungarn nach Wertheim geflüchtet war. „Bis hierher und nicht weiter“ müsse das jetzige Signal lauten. Bei aller Kritik an der aktuellen Politik solle man sich nicht an Hetze und Panikmache beteiligen. Er sei dankbar, in Deutschland in Freiheit leben zu dürfen: „Was uns ausmacht, ist Mitgefühl, Menschlichkeit und Liebe.“ Viele Ausländer seien gut integriert und hochgeschätzte Mitarbeiter. „Wenn alle Mitarbeiter mit Migrationshintergrund die Arbeit für einen Tag niederlegen würden, hätten wir ein riesiges Problem. Das Handwerk ist bunt“, machte Szabo deutlich.

Farbe bekennen. © Kai Grottenthaler

Für Offenheit und Toleranz sprach sich auch Elisa Spielmann, Schülersprecherin am Beruflichen Schulzentrum aus. Viele Jugendliche hätten gerade Angst, dass sich die Gesellschaft „zum Rechtsextremen“ verschiebe.

„Aufstehen und Verteidigen

„Wir wollen aufstehen und uns verteidigen“, verdeutlichte Spielmann. Man solle alles dafür tun, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Die Verantwortung für die Gesellschaft dürfe man nicht in die Hände geben von „Leuten, die meinen Freunden oder auch mir schaden können“.

Buntes Wertheim. © Kai Grottenthaler

Aus Angst dürfe man niemals darauf verzichten, seine Stimme zu erheben. Sonst erschienen „die Stimmen derer, die die Dinge radikaler sehen, nur noch mächtiger und zahlreicher“.

Die Bedeutung einer offenen Gesellschaft auch für die Wirtschaft betonte Andreas Reinhardt von der Firma „Seho“. In einer globalisierten Wirtschaft könne man nicht isoliert agieren. Durch internationale Partnerschaften würden Unternehmen nicht nur die eigene Position, sondern auch die gesamte Wirtschaft und die Arbeitsplätze stärken. Fachkräfte aus der ganzen Welt seien eine „enorme Ressource“ für die Unternehmen. Ähnliche Worte fand Wolfgang Stallmeyer von Industronic. Im Nationalismus liege eine große Gefahr für die Wirtschaft. Viel Applaus erhielt er für die Aussage „Von außen betrachtet ist Deutschland viel besser als wir meinen“.

Gespräch soll weitergehen

Die Organisationen waren nach der Veranstaltung sehr zufrieden. Wibke Klomp wünschte sich, dass viele das Thema mit nach Hause, in die Betriebe, Schulen und Vereine nehmen. Vor der im Juni anstehenden Europawahl gebe es Pläne für die Ausrichtung eines Forums, damit man sich über die in den Redebeiträgen thematisierten Inhalte weiter austauschen und über die Unterschiede zwischen den Parteien informieren kann. „Das Gespräch muss jetzt weitergehen“, verdeutlichte Klomp. Thomas Kraft wertete die große Beteiligung als Zeichen für das Bedürfnis vieler Menschen, sich zu äußern und für ihre Werte einzustehen: „Es war ein Fest für die Demokratie.“

Gegendemonstrationen waren weder angemeldet, noch kam es zu anderweitigen Störungen der friedlichen Veranstaltung.

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