Main-Tauber-Kreis. „Ich will gar nicht im Mittelpunkt stehen – der Verein ist wichtig“, sagt Martina Grumbach. An diesem sonnigen Morgen sitzt sie auf ihrer Terrasse, vor ihr steht eine Tasse mit dampfendem Tee. Sie genießt den Augenblick. Denn momentan hat die 54-Jährige neben ihrer Aufgabe als Mutter und ihrer Tätigkeit in der Uniklinik Würzburg viel zu tun. Gemeinsam mit Iris Pfister aus Boxberg bereitet sie den „Mut-mach-Gottesdienst“ und einen Informationsstand in Bad Mergentheim vor.
Zwei Veranstaltungen für Angehörige von Suizidopfern
„Dieser ’Gedenk- und Mut-mach-Gottesdienst’ in Bad Mergentheim ist eigentlich kein reiner Gedenkgottesdienst für Angehörige von Suizidopfern. Er soll sich auch an Menschen richten, die selbst oder deren Angehörige mit mentalen Erkrankungen zu kämpfen haben“, sagt Grumbach. Ein Zusammenhang liege auf der Hand: Oft gehe einem Suizid eine mentale Erkrankung voraus. Die schmerzliche Erfahrung musste auch die Wenkheimerin machen. Ihr Mann nahm sich im Januar 2020 das Leben, nachdem er lange Zeit an Depressionen litt. Über solch einen besonderen Gottesdienst und einen Vortrag zum Thema Suizid im September 2020, bei der die gläubige Christin Hilfe suchte, lernte Martina Grumbach Iris Pfister und „Trees of Memory e.V.“ kennen. „Ich weiß, was es heißt, einen Partner mit psychischen Erkrankungen zu haben. Deshalb war mir eigentlich sehr schnell klar, dass ich mich in diesem Bereich engagieren will“, so Grumbach.
Jede Stunde ein Suizid
Prof. Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde: „Im Jahr 2021 starben über 9000 Menschen in Deutschland durch Suizid – die meisten im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. Auf jeden Suizid kommen zehn bis 20 Suizidversuche. In Deutschland geschieht jede Stunde ein Suizid, jeden Tag, an 365 Tagen im Jahr. Mit rund einem Prozent aller Todesfälle stellt der Suizid keine unbedeutende Todesursache dar.“
Im Jahr 1980 erreichte die Selbsttötungsrate in Deutschland ihren Höchststand. Beim Statistischen Bundesamt wurden insgesamt 18 451 Suizide registriert, davon wurden 11 789 von Männern begangen. Der bisherige Tiefststand wurde 2019 mit insgesamt 9041 Suiziden registriert, davon waren 6842 Männer. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der Suizide auf 10 119 leicht an. 2023 wurden 10 304 Suizide erfasst.
Bundesländer mit den wenigsten Fällen 2021 waren Nordrhein-Westfalen (7,4 %) und Bremen (8,9 %) und Brandenburg (10,1 %). Die höchsten Werte fanden sich in Sachsen-Anhalt (13,5 %), Sachsen (13 %) und Hamburg (12,7 %).
In Baden-Württemberg wurde im Jahr 2018 mit 2024 Suiziden der Höchststand erreicht. Im Jahr 2023 lag die Zahl der Selbsttötungen bei 1378.
„Trees of Memory e.V.“ will Menschen, die einen Angehörigen oder Freund durch Suizid verloren haben, ein Ort für Trost sein und Wege zum Umgang mit dem persönlichen Schmerz bieten.
Die Veranstaltungen im Main-Tauber-Kreis: Am Freitag, 6. September, findet um 19 Uhr in der Klosterkirche in Bad Mergentheim ein ökumenischer Gedenk- und Mut-mach-Gottesdienst für Angehörige von Suizidopfern und Personen mit mentalen Erkrankungen statt. Er wird von Pastoralreferent Jens Jörgensmann und Pfarrer Matthias Widmayer geleitet. Anlässlich des Internationalen Tags der Suizidprävention präsentiert sich am Samstag, 14. September zwischen 10 und 15 Uhr der Verein „Trees of Memory“ mit einem Infostand auf dem Marktplatz in Bad Mergentheim.
Mehr Informationen unter:
Hilfe für suizidgefährdete Menschen gibt es unter anderem bei der Telefonseelsorge unter Telefon: 0800/1110111. hei
Im Jahr 2021 trat sie dem Verein bei und ist inzwischen nicht nur Mitglied, sondern hat neben ihrer Funktion als Kassenprüferin eine aktive Rolle inne.
Der Verein will Hinterbliebenen von Suizidopfern Hilfe bieten. Das Pflanzen von Bäumen der Erinnerung die dem Gedenken an die Suizidopfer und zur Sensibilisierung dienen sollen, ist jedoch nur ein Teil der Arbeit. Ein wichtiges Anliegen des Vereins ist es, vor allem Jugendliche für das Thema Depression und Selbstmordmordgefahr zu sensibilisieren. „Wir wollen ihnen zeigen, dass Suizidgedanken ein Symptom für eine Depression sein können und bei verschiedenen Krisen aufkommen können – vor allem aber auch, dass es Hilfe gibt, die man in Anspruch nehmen kann“, sagt Grumbach.
Gerade Inhalte und Bilder, die über die sozialen Medien verbreitet werden, sorgen für immensen Druck auf die noch nicht gefestigten Jugendlichen, indem sie sich mit retouchierten Idealen vergleichen. „Viel wichtiger wäre es, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, so dass sie zu sich stehen können und ihnen zu vermitteln, dass jeder Mensch wertvoll ist“, findet Grumbach. Die Wenkheimerin verweist in diesem Zusammenhang auf den christlichen Glauben, der den Wert jedes einzelnen Menschen hervorhebt, dessen Botschaft aber immer seltener gehört wird.
Mentale Gesundheit: Workshop an Schulen
Aus diesem Grund gehen Iris Pfister und Martina Grumbach mit einem Workshop zum Thema „Mentale Gesundheit“ im Rahmen des Religionsunterrichts an die Schulen im Main-Tauber-Kreis. Schüler ab der Jahrgangsstufe neun erfahren dabei etwas über die Funktion und Aktivierung von Glückshormone, psychische Erkrankungen und vor allem etwas über Suizidprävention. Pfister und Grumbach standen bereits mehrfach in Bad Mergentheim und in Lauda vor Schülern. „Die Vorträge kamen immer gut bei den Schülern an“, sagt Martina Grumbach. Aus diesem Grund tragen sich die beiden Frauen mit dem Gedanken, den Workshop regelmäßig für Schulen anzubieten.
Ein abgehaltener Workshop zum Thema „mentale Gesundheit“ wurde von Eltern, Erziehern und Lehrern besucht, die als Multiplikatoren wirken können.
Ein Teil von Grumbachs und Pfisters Aufgabe ist es auch, Betroffenen und ihren Familienangehörigen Halt zu geben. Um für diese schwierigen Gespräche richtig vorbereitet zu sein, absolvierte Martina Grumbach spezielle Kurse in seelsorgerischer Gesprächsführung und zum Thema Trauerbegleitung. Ein Teil ihrer Fortbildung drehte sich auch um Eigenfürsorge und Abgrenzung. „Man lernt, Stopp zu sagen, wenn es zu viel wird oder es einem in dem Moment nicht gut geht.“
Mit Blick auf den Verein sagt sie: „Wir haben zwar viele Mitglieder, aber bis jetzt nur eine relativ kleine Gruppe, die sich intensiv engagiert“. Iris Pfister ist eine von ihnen. Die Boxbergerin ist Schatzmeisterin des Vereins und sie ist die „Anlaufstelle“ für Hinterbliebene im Main-Tauber-Kreis. Aktuell zählt der Verein deutschlandweit 14 Anlaufstellen. Das Gefühl, dass immer mehr Menschen an Depression erkranken, will Grumbach nicht so ohne weiteres bestätigen. „Ich weiß nicht genau, ob die Zahlen steigen – es wird zumindest häufiger und freimütiger darüber geredet. Früher haben die Menschen ganz sicher auch unter Depressionen und Suizidgedanken gelitten. Sie waren aber stärker in Arbeit eingebunden, mussten funktionieren, konnten sich einen Ausfall nicht leisten. Dadurch wurde vieles überdeckt. Außerdem war es nicht üblich, über den eigenen seelischen Zustand zu sprechen.“ Oft seien die Menschen im Umkreis aus Unwissenheit dann sehr erschrocken gewesen, wenn sich jemand das Leben nahm.
Mehr Offenheit für ddas Thema Depression
Aus genau diesem Grund plädieren Grumbach und Pfister für mehr Offenheit. „Depression ist eine tückische Krankheit, bei der der Betroffene oft starke Zweifel hat, wieder gesund werden zu können. Er hat Angst vor dem Leben, welches für ihn durch die Erkrankung so viel Schwere in sich birgt und das macht die Krankheit so gefährlich“, erklärt Grumbach.
Ihr Tipp lautet deswegen: Die betroffene Person ansprechen, zuhören, immer wieder für sie da sein und auch über ihre mögliche Suizidgedanken sprechen. „Oft wirkt das Reden darüber für den Betroffenen schon befreiend. Wichtig ist auch, denjenigen ins Tun zu bringen.“ Helfen könne neben der Familie vor allem ein stabiler Freundeskreis. Martina Grumbachs wichtiger Hinweis geht am Ende des Gesprächs an alle: „Jeder sollte sich darüber im Klaren sein, Depression ist eine Erkrankung und keine Faulheit!“
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