Vortrag

Wallfahrten nach Liebfrauenbrunn auch kunstgeschichtlich wertvoll

Jörg Paczkowski referierte über neugotische Kapelle in Werbach, einer der jüngsten ihrer Art.

Von 
Jens-Eberhard Jahn
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Die Liebfrauenkapelle gilt als eines der letzten Gebäude, die in unserer Region im Stil der Neogotik errichtet wurden. © Jens-Eberhard Jahn

Bronnbach/Werbach. Mit Jörg Paczkowski, dem ehemaligen Leiter des Wertheimer Grafschaftsmuseums, wurde am vergangenen Dienstag in Bronnbach die Architektur des 19. Jahrhunderts eine Stunde lang lebendig. Denn zwischen Werbach und Werbachhausen befindet sich eine der jüngsten neugotischen Kapellen unserer Region.

Die 1902 errichtete Wallfahrtskapelle Liebfrauenbrunn bildet damit den Endpunkt einer baulichen und kulturgeschichtlichen Entwicklung in Nordbaden. Gabriele Maas-Diegeler vom Internationalen Zentrum für Kulturgüterschutz und Konservierungsforschung (IZKK) des Fraunhofer-Instituts begrüßte zu dem Vortrag des in der Region bekannten Kunsthistorikers etwa 40 Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Räumlichkeiten.

Unter der weithin sichtbaren Kapelle im Welzbachtal befindet sich eine Quelle, deren klaren, wohlschmeckenden Wassern heilende Wirkung nachgesagt wird. Dies wusste bereits der Wertheimer Sagen- und Märchensammler Andreas Fries, der um 1845 die Sage zur Quelle niederschrieb und mit einer Zeichnung der damals etwa 100 Jahre alten, kleinen Wallfahrtskapelle ein Denkmal schuf.

Typischerweise aus Buntsandstein gebaut

Ähnliche spätbarocke und klassizistische Kapellen haben sich in unserer Gegend noch erhalten und Paczkowski stellte einige davon vor, insbesondere in der Umgebung von Hardheim. Doch Anfang des 19. Jahrhunderts, vor 200 Jahren, kamen Barock und Klassizismus aus der Mode. Der Referent erinnerte an den badischen Baubeamten und Architekten Heinrich Hübsch und sein 1828 erschienenes Traktat „In welchen Style sollen wir bauen?“. Hübsch prägte in Baden einen neoromanischen Rundbogenstil. Er setzte sich auch dafür ein, dass Gebäude aus regional verfügbaren und typischen Baustoffen errichtet wurden, in unserer Region also aus Buntsandstein.

Sein Schüler August Moosbrugger wirkte von 1836 bis 1858 als Bezirksbaumeister in Wertheim. Er nahm stilistische Anleihen weniger aus der italienischen Architektur, sondern bediente sich im Geist der Romantik und des Nationalgedankens aus dem Schatz mittelalterlicher Hochgotik, wie Paczkowski, ausgewiesener Moosbrugger-Experte, an Beispielen aufzeigte. So entwarf der badische Baumeister 1840 die Sankt Venantius-Kirche in Wertheim und ließ 1841 in Werbach die Sankt Martin-Kirche neugotisch umgestalten, ebenso 1857 die evangelische Kirche in Niklashausen.

Seine Pläne für die Christuskirche in Bettingen wurden nur noch teilweise umgesetzt, denn 1858 starb der umtriebige Architekt. Moosbruggers Neogotik reiht sich in die verschiedenen Spielarten des Historismus des 19. Jahrhunderts ein und hinterließ in der Umgebung Wertheims zahlreiche Zeugnisse.

Diese Kirchen dienten nach dem Tod des Bezirksbaumeisters als Vorbild und Muster für zahlreiche Kapellen, die von wohlhabenden Privatleuten in ländlicher Umgebung errichtet wurden. Paczkowski brachte dies in Zusammenhang mit dem „badischen Kulturkampf“. Mit diesem Begriff werden die Konflikte zwischen protestantischem Adel und Bürgertum einerseits und der katholischen Bevölkerungsmehrheit andererseits im späten 19. Jahrhundert bezeichnet.

Katholischer Widerstand gegen das liberale Baden

Laut Paczkowski seien die Privatkapellen Zeugnisse katholischen Widerstands und Selbstbewusstseins im liberal geprägten Baden gewesen. Die Liebfrauenkapelle im Welzbachtal stelle nun gleichsam den Endpunkt neugotischer Kapellenbauten in unserer Gegend dar. 1902 ersetzte sie den barocken Vorgängerbau und zeigt sich nicht nur von außen als Beispiel für historistische Sakralbauten.

Der neugotische Flügelaltar des Gamburger Künstlers Thomas Buscher dominiert die Apsis der Kapelle. Die Votivbilder im Eingangsbereich zeugen von erlebten Wundern dankbarer Pilgerinnen und Pilger und zeichnen das Kirchlein an der sagenumwobenen Quelle von Liebfrauenbrunn als Wallfahrtsort aus. Paczkowski zeigte zum Vergleich Fotos von Gebäuden in kulturell tonangebenden Städten wie Wien und Berlin.

Während im Welzbachtal noch neugotisch gebaut wurde, war dort der Historismus weitgehend Geschichte und trat zugunsten des Jugendstils mit seinen verspielten Naturornamenten oder gar Vorläuferbauten des funktionalen Bauhaus-Stils in den Hintergrund. In der nordbadischen Provinz hielt man bis ins 20. Jahrhundert an der Neogotik fest. Die Liebfrauenbrunnkapelle, so konnte man von Paczkowski lernen, gibt dafür ein deutliches und landschaftsprägendes Beispiel.

2) Der Kunsthistoriker Jörg Paczkowski veranschaulichte mit seinem Vortrag nordbadische Regionalgeschichte des Kirchenbaus im 19. Jahrhundert. © Jens-Eberhard Jahn

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