Weikersheim
Auch wenn dies mehr Zufall ist, es hat gepasst, denn Ulrich Tukur – Kind schwäbischer Eltern – ist seit 2021 eigentlich ein adoptierter Taubertäler: Er spielte im Film „Bis zum letzten Tropfen“ von Daniel Harrich an mehren Orten im Main-Tauber-Kreis einen beinharten Wirtschaftsboss und war deshalb immer wieder in den Straßen von Weikersheim auch ganz privat zu entdecken.
© Michael Weber-Schwarz
Zur Show: Ulrich Tukur ist sein eigener Conférencier, eine Kunstfigur im braunen Anzug mit zweifarbigen Brogues und Oberlippenbärtchen. Die Hose mit Bügelfalten und Aufschlag geht bis über den Bauchnabel – erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts.
Haarsträubende Querbezüge
Warum ausgerechnet die musikalischen Perlen aus dieser Zeit so ziehen, das ist ein kleines Wunder: Unterhaltungs- und Tanznummern mit oft merkwürdigem Witz, die die Zuhörer ja nur noch über die Schallplattensammlungen ihrer Eltern oder aus alten Filmen kennen können. Wie auch immer: Musical-Komponist Cole Porter, Posaunist Glen Miller oder Film- und Operetttenmusiker Peter Kreuder, sie haben großartige Werke hinterlassen, die man sich auch in Quartett-Arrangements gerne anhören mag.
Tukur moderiert sich minutenlang selbst an, teils mit haarsträubenden Querbezügen und einer gewissen Kenntnis der lokalen Historie: Graf Wolfgang von Hohenlohe-Weikersheim ist deshalb eine immer wiederkehrende Figur; Tukur wähnt sich im Rittersaal des Schlosses samt Elefantenwandschmuck und vermischt geschichtliche Fakten mit scheinbarer Spontanfiktion. Das ist äußerst lustig und schrill-clownesk, denn eine Viermanncombo halbseniler Musiker auf der Bühne, das hat schon an sich was. Zugaben, die will man gar nicht machen, denn das ist ja „alles Lebenszeit“; Tukur ist Jahrgang 1957. Inkontinent, das sei man zwar mittlerweile, aber noch nicht impotent – Bühne frei für den gepflegten Herrenwitz, haarscharf jenseits des guten Geschmacks.
Eine prima Tanzkapelle
Auch den Krieg kommentiert die Boy-Band mit bizarren Bonmots: „Puttin’ on the Ritz“, jenes US-amerikanische Jazzstandard aus dem Jahr 1929 (von Irving Berlin geschaffen) wird zu „Putin on the Riz“. Berlin war Jude – es ist schon ein wenig makaber das alles, aber man lacht. „Der Lächerlichkeit preisgeben“ – seit Bertolt Brecht ein approbiertes Stilmittel, um Dämonisches wieder auf das (wenn auch unangenehme) Menschliche herunter zu brechen.
„Dream a Little Dream of me“ – die Nummer stammt eigentlich von 1931, wurde bekannt über die atmosphärische Aufnahme von Cass Elliott und „The Mamas and the Papas“. Doris Day hat’s ebenfalls gesungen, Bing Crosby, der deutsche Bariton und Arrangeur Max Raabe und (aus dem Jazz kommend): Silje Nergaard und Diana Krall. Ulrich Tukur und seine Männer setzen es in wunderschönen, vierstimmigen Gesang. Das gibt anhaltenden Applaus, wie so oft an diesem Sommerabend. Prima Tanzkapelle insgesamt, man fragt sich immer wieder, warum man nur brav „konzertant“ auf dem Stuhl sitzen bleibt, denn Vieles fordert Körperbewegung mit Partner(in) förmlich heraus. Wäre doch auch mal was, ein Sommerball mit dieser Kapelle samt Kanapees und Pfirsich-Sektchen.
Die Band tritt in der Besetzung Tukur (Gesang, Piano, Borsini-Akkordeon), Ulrich Mayer (Gitarre, Gesang), Kalle Mews (Schlagzeug, Tierstimmen) und Günther Märtens (Kontrabass, Gitarre, Gesang) auf. Jeder hat dabei auch ein ausgefuchstes Solo zu bieten oder eine zugkräftige Klamauk-Nummer. Langweilig wird’s jedenfalls nie.
Am Ende dann doch mehrere Zugaben, die ein begeistertes Publikum auch vehement fordert. Ein Abend, der entspannter nicht hätte sein können und Lust auf weitere Auftritte macht. Ein rundes Erlebnis.
Hörtipps: „In the Mood“ (https://youtu.be/6vOUYry_5Nw) in der 1941er Version – Glen Miller hat das Stück bei dieser Aufnahme extremst auf den Punkt gebracht. Lohnenswert auch Millers „Tuxedo Junction“ in der Quartett-Version von Manhattan Transfer (youtu.be/wwL9xf3YQ-4) – und natürlich die diversen Alben von „Ulrich Tukur und Die Rhythmus Boys“.
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