Weikersheim. Auffälliges Verhalten bei Babys, Kleinkindern, Schulkindern – Eltern bemerken mitunter einfach: „Mit meinem Kind ist was“. Eine „prominente“ Erstvermutung in vielen Fällen: Es könnte sich um eine Ausprägung der „Hyperkinetischen Störung“ handeln.
Die internationale medizinische Klassifikation beschreibt damit ein Syndrom, das Eltern als „Zappelphilipp“-Phänomen kennen. Es ist eine der bekanntesten Verhaltensauffälligkeiten und wird heute zunehmend als komplexe Entwicklungsverzögerung des Selbstmanagement-Systems im menschlichen Gehirn verstanden.
Weg vom Defiziterleben
Doch der Fokus aufs „Zappeln“ ist zu eng. Im Dunstkreis von „ADHS“ (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) finden sich oft weitere und andere Auffälligkeiten: Konzentrationsdefizite, etwas, das man als Ungeschicklichkeit wahrnimmt, Freudlosigkeit, Lese- und Rechtschreibschwächen und unkoordinierte Bewegungsabläufe.
„Was ist nur los mit meinem Kind?“, fasst die Weikersheimer Erzieherin Erika Weller die grundsätzliche Frage von Eltern zusammen. Sie sieht für ihre Arbeit mit Familien und Erzieherinnen eine gründliche medizinische Anamnese und Diagnose als unabdingbar an.
Dennoch: Ganz am Anfang stehen erst einmal die Feststellung und das Erkennen von „Schwierigkeiten“ und „dass man einfach nicht weiß, wo das Problem liegt.“
Der (verordnete) Griff zum Medikament: Er kann vielleicht Symptome eindämmen, aber nachvollziehbarerweise Verhalten nicht ändern. Eine Form der Therapie, des begleitenden Angebots, eine Methode, mit der Kinder ihre Fähigkeiten entfalten können und weg vom „Defiziterleben“ kommen – das wäre wünschenswert.
So dachte auch Erika Weller. Doch konkrete Handreichungen, griffige Übungsfahrpläne, die auch für Eltern leicht umsetzbar sind, die gab es bisher kaum. So setzte sich die Weikersheimerin eben an ihren Schreibtisch und wurde selbst aktiv. „Konzentriert und selbstbewusst durch neuromotorische Förderung“ heißt das Handbuch für die Förderung von Kindern im Alter von zwei bis acht Jahren. Mit dem Buch kann auf einfache Weise und über konkrete Körperübungen ein neues „Selbst-Bewusstsein“ beim Kind entstehen. Mögliche Bewegungsdefizite der Babyzeit werden quasi nachtrainiert. Der „Kopf“ (bislang durch situativen Stress gehemmt und ausgebremst) kann wieder frei werden und sich so besser konzentrieren.
Erika Weller arbeitet an einer sonderpädagogischen Schule im Haller Nachbarlandkreis. Sie verfügt über eine Ausbildung zur Entwicklungs- und Lerntherapeutin nach „PäPKi“ für Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder. Eine eigene Praxis für Entwicklungs- und Lerntherapie führt sie seit 2005. Außerdem ist sie in der sonderpädagogischen Fortbildung tätig.
Unmittelbar alltagstauglich
Gerade aus der Fortbildungspraxis kam ein wichtiger Impuls für das Handbuch: Kindergärten mit ihrem Kompensationsauftrag sollen kindliche Defizite ausgleichen helfen. Doch die Erzieherinnen stehen oft vor dem gleichen Problem wie die Eltern. Was kann man (alltagstauglich) ganz konkret tun? Wie kann man einem Kind helfen? Und: Spaß und Spiel sollen im Vordergrund stehen, nicht das Problem.
Mit „Nigel, dem Igel“, dem Drehwurm und Matze (einer Katze) werden einfache und später auch komplexe Bewegungsmuster erlernt, dazu gibt es Erzählgeschichten, die die Übungen auch gruppentauglich machen. Das ist nämlich gut für ein „Problemkind“: Ein Defizit kann zu etwas Besonderem werden und am Entwicklungsprozess können – etwa im Kindergarten – alle teilnehmen. Erika Weller kennt die tägliche Praxis in erzieherischen Einrichtungen und setzt unmittelbar dort an. Übungen sind keine Sonderveranstaltungen, sondern können schon im Morgenkreis stattfinden oder in angeleiteten Spielphasen.
Das rund 100 Seiten umfassende Praxisbuch unterstützt Eltern, Erzieherinnen und auch Lehrer durch eine Verlaufsplanung, die einen Zeitraum von zehn Monaten umfasst. Geübt werden sollte am besten täglich, aber nicht zu lange, damit die Motivation erhalten bleibt. Gesetzt wird beim Konzept auch auf die Heilkraft der pädagogischen Beziehung. Hat ein Symptom bisher zu Ablehnung und Abgrenzung vom „Störenfried“ geführt, wird mit der Anwendung und Umsetzung des Handbuchs eine intensive körperlich-soziale Zuwendung in Gang gesetzt. Und: Eltern werden niederschwellig geschult, „genauer hinzuschauen“, sagt Erika Weller. Das ist wichtig, um die Bezugspersonen wieder aus ihrer Abwehrhaltung herauszuholen. Auch sie erleben das Entstehen einer Elternkompetenz im Familiensystem: „Wir“ können gemeinsam etwas für „uns“ tun.
Weitere Informationen und der Kontakt zu Erika Weller sind über die Internetseite www.konzentrier-dich.de abrufbar. Das Buch können Interessierte auch bei der Bad Mergentheimer Buchhandlung Moritz und Lux erwerben.
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