Geschichte - Polnischer Kriegsgefangener Boleslaw Galus als Zwangsarbeiter in Bronn / Einheimische wird schwanger / Kind einer Pflegefamilie übergeben

Tod am Galgen wegen „Rassenschande“

Von 
Hartwig Behr
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Im Jahr 1941 wurde Boleslaw Galus, der als polnische „Zivilarbeiter“ in Bronn eingesetzt war, gehängt. Grund: Eine Beziehung zu einer Einheimischen. Die Kindsmutter kam ins KZ.

Bronn/Honsbronn. In einem Schnellbrief Heinrich Himmlers vom 8. März 1940 über die Pflichten polnischer Zivilarbeiter und -arbeiterinnen heißt es: „Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt oder sich ihnen sonst unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft.“

Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ging unerbittlich vor, wie das Schicksal von Paula N. und Maria L. aus Bronn sowie des polnischen Landarbeiters Boleslaw Galus zeigt.

Galus, der 1939 als Kriegsgefangener nach Deutschland kam, war auf einem Bauernhof in Bronn beschäftigt. Er fing mit Paula und Maria, die zu Besuch in Bronn weilte, ein Techtelmechtel an, das bei Paula nicht ohne Folgen blieb: Sie wurde schwanger. Der Bronner Ortsgruppenleiter meldete die Schwangerschaft der NSDAP-Kreisleitung in Bad Mergentheim, die wiederum die Gestapo informierte.

Mantel des Schweigens

Die Ereignisse, über die viele Bescheid wussten, aber auch nach dem Krieg lange den Mantel des Schweigens deckten, nahmen ihren unheilvollen Lauf.

Am 19. August 1940 verhaftete der Gendarmerie-Meister B. in Bronn den polnischen Arbeiter. Galus wurde zunächst ins Ellwanger Gefängnis gebracht, dann ins Gestapo-Gefängnis Stuttgart, schließlich ins Konzentrationslager Welzheim. Dort musste er in einem Steinbruch körperlich schwere Arbeit verrichten.

Galus bekam keine ordentliche Gerichtsverhandlung. Das Reichssicherheitshauptamt verfügte administrativ, Boleslaw Galus wegen Verstoß gegen das Rassegesetz mit dem Tode zu bestrafen.

Im Auftrag der Gestapo Stuttgart baute der Weikersheimer Ortsgruppenleiter H. – ein gelernter Zimmermann – einen Galgen, der nach Bronn geschafft wurde. Am 26. Juni 1941 brachte man Boleslaw Galus vom KZ Welzheim in das Gefängnis von Bad Mergentheim. Ein Gestapomann eröffnete ihm um 22 Uhr, dass er am nächsten Tag beim Morgengrauen gehenkt werde.

Boleslaw Galus bekam vom Hilfspolizisten G. seine letzte Mahlzeit: Angeblich auf seinen Wunsch hin Schinkenwurst und Brot, dazu alkoholische Getränke und Zigaretten. Bis morgens gegen 4 Uhr rauchte er eine Zigarette nach der anderen. Er habe sein Schicksal ruhig und mit großer Fassung getragen, berichtete der Hilfspolizist später.

Am Tag vor der Exekution wurden die Zwangsarbeiter aus Polen und anderen Ländern, die in Bronn, Honsbronn und Umgebung lebten, zunächst ohne Angabe von Gründen angewiesen, sich am nächsten Morgen um 4 Uhr in Bronn einzufinden. Es sickerte aber durch, dass sie zu einer Hinrichtung zitiert wurden.

Arbeiter mussten zusehen

Am Nachmittag des 26. Juni war – von zwei Gestapo-Männern kontrolliert – der Galgen am Bergwald in der Nähe des alten Schützenhauses auf Honsbronner Gemarkung aufgerichtet worden. Diese verlangten die Anwesenheit der Zwangsarbeiterinnen am nächsten Morgen bei der Hinrichtung. Doch der Bronner Bürgermeister E. wehrte sich beharrlich gegen dieses Ansinnen und hatte Erfolg: Den Frauen blieb es erspart, die Exekution anzusehen.

Um 4.30 Uhr mussten die in Bronn versammelten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen zur Hinrichtungsstätte marschieren. Kreisleiter Seiz und verschiedene Kreisamtsleiter trafen dort ein, ebenso die Ortsgruppenleiter aus Weikersheim, aus Bronn, aus Honsbronn, aus Laudenbach und weitere NSDAP-Funktionäre wie auch Zuschauer aus der Umgebung. Gendarmerieleutnant D. und sechs weitere Polizisten sicherten den Platz ab. Landrat Dr. Wanner erschien nicht, obwohl auch er geladen war. Er schob auswärtige Dienstgeschäfte vor und sah sich später heftigen Vorwürfen des Kreisleiters und der Vorgesetzten ausgesetzt.

Gegen 5.15 Uhr fuhr das Auto mit Boleslaw Galus vor. Eskortiert von zwei Gestapo-Männern musste er mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen unter den Galgen treten. Dann wurde das Todesurteil in deutscher und in polnischer Sprache verlesen. Galus wurde auf ein Podest gehoben und gehenkt. Die polnischen Zwangsarbeiter mussten nach der Hinrichtung – zur Abschreckung – an dem Galgen mit dem Toten vorbeigehen. Die Vollstreckung des Urteils war für sie ein Schock. Noch Wochen danach seien sie kaum ansprechbar gewesen, wurde berichtet.

Der Leichnam wurde nach der Feststellung des Todes um 5.45 Uhr abgenommen und mit einem Leichenwagen in die Anatomie der Tübinger Universitätsklinik gebracht. Im Sterberegister von Honsbronn erfolgte erst am 4. Juli der Eintrag des Todes von Boleslaw Galus, und zwar ohne die Angabe der Todesursache; so verlangten es die Durchführungsbestimmungen. Allerdings fällt der Hinweis des Honsbronner Bürgermeisters auf: „Eingetragen auf schriftliche Anzeige der Geheimen Staatspolizei Stuttgart vom 30. Juni 1941.“

Beteiligung heruntergespielt

In den Spruchkammerverfahren nach dem Krieg spielten alle Beteiligten ihre Mitwirkung an der Hinrichtung herunter. Ortsgruppenleiter H. gab zu Protokoll: „Zur Herstellung des Galgens für den Polen, der da seinerzeit aufgehängt worden ist, wurde ich bestellt. Die Rechnung ging damals an die Staatsanwaltschaft, es waren ca. 16 Mark. Mehr habe ich mit der ganzen Sache nicht zu tun. Ich habe der Prozedur nur beigewohnt wie viele andere auch.“ Auch die Polizisten betonten, dass sie durch Befehl dorthin beordert worden seien, um die erforderlichen Absperrungen vorzunehmen.

Erst 1965 eröffnete die Staatsanwalt Stuttgart ein Ermittlungsverfahren. Die Tatverdächtigen waren entweder verstorben oder namentlich nicht zu ermitteln. Deshalb wurde das Verfahren eingestellt und die Akten vernichtet.

Bereits am 20. August 1940 waren Paula N. und Maria L. in Bronn festgenommen und in einem Gefängniswagen nach Ellwangen und von da ins Gefängnis der Stuttgarter Gestapo gebracht worden. Das Sondergericht Stuttgart verhandelte den Fall in Ellwangen. Paula und Maria wurden wegen des verbotenen Umgangs und Geschlechtsverkehrs zu einer Gefängnisstrafe mit anschließender unbefristeter Unterbringung in einem KZ verurteilt. Nach der Urteilsverkündung stellte man die beiden in Ellwangen am Markt zur Schau. Paula wurde die eine Kopfhälfte, Maria die andere kahlgeschoren.

Man entließ Paula am 1. Dezember 1940 vorübergehend aus den Gefängnis. Sie brachte in Bronn ihren Sohn zur Welt. Acht Monate später, am 20. August, wurde sie wieder ins Stuttgarter Gefängnis eingeliefert. Sie musste also aus der Nähe erleben, dass der Vater ihres Sohnes gehenkt wurde. Das Kind wurde einer Pflegefamilie in Creglingen übergeben.

Mehr als vier Jahre Leid

Am 20. September 1941 findet sich folgende Notiz in allen württembergischen Zeitungen: „Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei (d. i. Himmler) teilt mit: „Am 25. 8. 1941 wurden … Paula N. und Maria L., beide aus Bronn, Krs. Mergentheim auf längere Zeit in eine Konzentrationslager überführt. Sie haben sich in ehrvergessener Weise mit Polen eingelassen.“ Paula und Maria wurden in das Frauen-KZ Ravensbrück (Brandenburg) gebracht, in dem Paula mehr als vier Jahren leiden musste. Maria ist nach Angaben ihres Bruders im KZ gestorben.

Es gab mehrere Versuche, die Entlassung Paulas aus dem Konzentrationslager zu erreichen, aber ein dafür zuständiger NS-Funktionär aus Weikersheim wollte die Eingaben lange Zeit nicht unterschreiben. Erst kurz vor Endes des Kriegs, im Februar 1945 hatte ein Gesuch des Weikersheimer Bürgermeisters und des Kreisleiters Erfolg.

Gnade war im NS-Deutschland selten, Unrecht häufig. Rechnet man nach, wann Paulas Sohn gezeugt wurde, so kann man zu dem Schluss kommen, dass der uralte Rechtsgrundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ – wie viele andere Regeln – keine Gültigkeit mehr hatte.

Mahnung vor Folgen von Rassismus und Diktatur



Auf eine private Initiative hin wurde am Freitag hinter dem Kugelfang des ehemaligen Honsbronner Schützengeländes – dem Ort der Hinrichtung von Boleslaw Galus – eine Gedenktafel eingeweiht. Mit dabei: der Sohn des Ermordeten, Heinz Paczkowski.

Rolf Mailänder, ein gebürtiger Weikersheimer, hatte bereits als junger Mensch in seinem Elternhaus von den Vorkommnissen gehört. Der Nachbar von Mailänders Familie hatte damals den Galgen errichtet. 2006 besuchte Mailänder einen Vortrag der Autoren Claus Peter Mühleck und Hartwig Behr. Nach Recherchen konnte Mailänder auch den genauen Ort der Hinrichtung ausfindig machen. „Es konnte doch nicht sein, dass eine solche Unmenschlichkeit nur auf einigen Seiten einer bis jetzt unveröffentlichten Dokumentation steht und ansonsten darüber hinweg gegangen wird. So entstand die Idee der Gedenktafel für Boleslaw Galus. Sein Schicksal darf nicht in Vergessenheit geraten.“ Der Fall solle „mahnen, wozu Rassismus und Diktatur führen können.“

Im heutigen Besitzer des Geländes, dem Honsbronner Hans Kreuser, fand Rolf Mailänder einen Unterstützer für die jetzt eingeweihte Gedenkstätte.

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