Tauberphilharmonie Weikersheim - Igor Levit und die Berliner Barock Solisten präsentierten Johann Sebastian Bach und seine Söhne virtuos

Tauberphilharmonie Weikersheim: Der Beifall will gar nicht mehr enden

Der Abend war ein Doppel-Debüt: Für die Tauberphilharmonie brach er die 268 Tage währende sinfonische Stille – und für Igor Levit und die Berliner Barock Solisten war es der erste gemeinsame Auftritt.

Von 
Inge Braune
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Igor Levit und die Berliner Barock Solisten bescherten dem atemlos lauschenden Publikum ein erlesenes Musikerlebnis. © Inge Braune

Weikersheim. Die Zusammenarbeit glänzte mit einer Welt-Uraufführung und einem Konzert, das es so genau nur an diesem Abend gab – wenn auch in doppelter Ausführung, um im coronabedingt nur dünn besetzten Zuschauerraum möglichst vielen Gästen das besondere Erlebnis zu ermöglichen.

Drei mal Johann Sebastian Bach – mit dem Konzert d-Moll für zwei Biolinen, Streicher und b.c., seinem Konzert für Klavier, Streicher und b.c. d-Moll und „Ricercare a sei“ aus „Ein musikalisches Opfer“. Und dazwischen Carl Philipp Emanuel Bachs Sinfonie für Streicher in Es-Dur und Johann Christoph Friedrich Bachs Sinfonie für Streicher in d-Moll: ein echtes Bach-Fest.

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Von
Felix Röttger
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Und eine Streicher-Eröffnung zum Niederknien. Das dreisätzige, im BWV unter der Nummer 1043 geführte Konzert für 2 Violinen, Streicher und b.c. Entstanden sein dürfte das Doppelkonzert wohl um 1730 in Leipzig, wo Bach sich wohl auch durch die Möglichkeiten, die das Studentenorchester bot, inspirieren ließ. Vivace – Largo ma non tanto – Allegro (d-Moll, F-Dur, d-Moll): die perfekte Akustik des Tauberphilharmonie-Konzertsaals ermöglichte es dem Publikum, die Feinheiten bis ins letzte zu erspüren, mit denen die Berliner Barock Solisten das Werk unter der künstlerischen Leitung von Willi Zimmermann interpretieren.

Auch wenn die Auflistung der Künstler 13 Künstler durch die Benennung der 2. Solo-Violine eine erste implizit voraussetzt: Wie Zimmermann und Dorian Xhoxhi die perfekte Ausgewogenheit, die Bach gestaltete, zum Klingen bringen, ist faszinierend. Es sind tatsächlich 13 Solisten, die sich in diesem Ensemble zu einem atmenden, schwingenden Ganzen finden. Großartig. Der begeisterte Applaus ist auch ein Dank für das so lange herbeigesehnte, eigentlich bereits für den Saisonabschluss 20/21 vorgesehene Konzerterlebnis.

In dichten Wechseln

Ein ebenso großer Genuss war es, Carl Philipp Emanuel Bachs Es-Dur-Streichersinfonie zu lauschen. Über die Taufe hob Georg Philipp Telemann den zweiten überlebenden Sohn Johann Sebastian Bachs aus dessen erster Ehe. Rund 150 Sonaten und über 50 konzertante Stücke für Cembalo stammen aus seiner Feder, dazu Orgelwerke, Kantaten, Liederbände. Sehr agil, in ganz dichten Wechseln entwickelt sich der erste Satz – fröhliche Heiterkeit in Moll, ein Funkeln, das über die hoch dynamische Präsenz der Bass-Akzente im zweiten Satz zum Jubel des dritten Satzes führt. Das Publikum klebt mit den Blicken förmlich an Saiten und Bögen, schlicht hingerissen.

Für die kleine sechsstimmige Formation, die Johann Sebastian Bach für die „Ricercera a sei“ (BWV 1079) angibt, muss die Akustik des Aufführungsortes perfekt stimmen. Hier: auch nicht der Hauch eines Zweifels. König Friedrich II. hatte, so wird es berichtet, dem Gast bei einem Besuch im Potsdamer Stadtschloss 1747 ein Thema vorgespielt, Bach aufgefordert daraus zunächst eine dreistimmige, dann eine sechsstimmige Fuge zu improvisieren. Dreistimmig gelng die Improvisation sofort, sechsstimmig gestaltete er sie im Nachgang. Mit der Interpretation der Berliner Barock Solisten wären zweifellos sowohl Friedrich II. Als auch Bach selbst glücklich gewesen.

Ganz anders der Klang des d-Moll-Streicher-Sinfonie von Johann Christoph Friedrich Bach, dem zweitjüngsten, vom italienischen Streicherstil geprägten Sohn Bachs. Ein fast düster-stürmisches Wogen der erste Satz in Allegro, dann ganz zart der zweite, Andante amoroso überschriebene mit Dämpfern gespielte heitere Satz und zum Schluss der fast an Cncerti grossi gemahnender dritter Andante assai-Satz - und stürmischer Beifall für dieses Ensemble, dem man schlicht einzelne Note abzulauschen gewillt ist.

Und dann – ja, jetzt! – rückt der Flügel nach vorn: Weltpremiere für das Zusammenspiel von Igor Levit mit den Berliner Barock Solisten. Dem Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo (BWV 1952) gab Bach im Rahmen der nicht ganz vollendeten Niederschrift des Cembalo-Zyklus den letzten Schliff. Es ist ein regelrecht kongnialer Streich, den Lewit und das Ensemble der Berliner Barock Solisten am vergangenen Freitag den in zwei Aufführungen insgesamt rund 400 Gästen zu Gehör brachten.

Mit dem Instrument verwachsen

Wie eigens für Lewit komponiert erscheinen die Sechzehntelläufe, mit denen Bach den Cembalo-Part des allegro-Satzes eröffnet. Wie kein anderer setzt er den Drive dieses Satzes um, lässt die Finger über die ganze Klaviatur so schnell tanzen, dass sie sich den Blicken entziehen. Levit kriecht regelrecht hinein in den Flügel, wie es kein Klavierlehrer je einem Schüler gestatten würde, verwächst förmlich mit dem Instrument, lässt die Dramatik des Satzes nur so flirren. Streicher und Pianist scheinen einander immer mehr zu beflügeln. Dann atemlose Stille vorm zweiten, in Moll geführten Adagio-Satz, den die Streicher aus tiefster Tiefe in fast monochromem Seuzfen anstimmen. Die zu Herzen gehende, still schreitende Passage schwebt weit hinaus in den Raum. Es ist ein Klang, ein Atem, ein Musikverständnis bei Passagen, die fließen wie Tränen, bei der wie für die Hochwasseropfer geschöpften Totenklage der Streicher. Und im beschließenden dritten Satz, erneut ein Allegro, entfachen Lewit und die Berliner Barock Solisten einen wahren musikalischen Wirbelwind. Kaum noch verfolgbar sind die sirrenden Handüberkreuzungen und -überlagerungen, die Lewit mit höchster Virtuosität meistert.

Der Beifall will gar nicht enden, wächst sich aus zu einer Ovation, die auch aus einem komplett besetzten Auditorium kaum stärker zu formulieren sein würde.

Ganz klar: Die Tauberphilharmonie und die Sinfonik sind wieder zurück. Gut so – und hoffentlich erzwingt die Pandemie keine weiteren Zeiten der Stille.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

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