Weikersheim. Die „Pilzreich“-Ausstellung vor den Toren der Stadt Weikersheim zieht derzeit viele neugierige Blicke auf sich.
Der Ortsverband Oberer Bezirk von Bündnis90/Die Grünen wollte genauer wissen, was es mit den Lebewesen auf sich hat, für die sich nicht nur Feinschmecker interessieren, sondern auch zahlreiche Forschende aus den Bereichen Biologie, Chemie, Ökologie – und auch der Industrie. Die Pilzfachleute des in der Naturschutzgruppe Taubergrund (NSG) verankerten Arbeitskreises Pilze fanden in den rund 20 Interessierten, die sich auf auf der Stadtmauer-Grünfläche beim Wasserrad einfanden, ein wissbegieriges Publikum, das natürlich auch mehr über die NSG und den Arbeitskreis erfahren wollte. Aktuell über 400 Mitglieder gehören der seit 44 Jahren aktiven NSG Taubergrund an. In 16 aktiven Arbeitskreisen kümmern sie sich, wie Vorstandsmitglied Peter Mühleck erläuterte, um vielfältigste Naturschutzfragen. Sie widmen sich fliegenden, schwimmenden und an Land lebenden Lebewesen, kümmern sich um Feld, Flur, Wasser, Wald, Stadtökologie, Verkehr sowie um Energie und Umwelt; und das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Tätigkeitsfeldes. Das umfasst allein im Arbeitskreis Pilzkunde bereits Bereiche wie Ausstellungen, Beratung, Forschung, Sammeln und Kartieren sowie vielfältige Führungs- und Vortragstätigkeit in Zusammenarbeit unter anderem mit Forstämtern, Naturschutzbehörden, Schulen und Kindergärten, so die AK-Ansprechpartnerin und Pilzsachverständige Monika Schmid. Schnell verlagerte sich das Thema von Fragen nach Lamellen- und Röhrenpilz auf spannende Details der von Hochgebirgsgipfeln bis in die tiefsten Tiefsee-Gräben heimischen Lebensform, die alle Größen zwischen einfach riesig und selbst unterm Mikroskop kaum aufspürbar einnehmen kann. Ein mutmaßlich 1200 Fußballfelder großer, 400 000 Kilo schwerer Hallimasch in Oregon gilt als das weltweit größte Lebewesen, mit über 8000 Jahren uralt dazu. Die kleinen Sorten, so konnte man erfahren, wirbeln wir Menschen mit jedem Atemzug hinein und wieder raus...
Andreas Strupp, Pilzsachverständiger und ein wahres Lexikon bezüglich des weder zu den Tieren noch zu den Pflanzen zählenden Pilzreichs, berichtete von der ur-urzeitlichen Abspaltung der Lebensform Pilz vom Erd-Stammbaum des Lebens, von zellulären Unterschieden zu Fauna und Flora: Zellulär eher den Tieren als den Pflanzen nah, ist der fädige Aufbau der Pilze zum sehr langstreckigen Transport von Informationen und Stoffen geeignet – sehr zum Leidwesen von Hauseigentümern, die sich mit Hausschwamm-Befall herumschlagen müssen. Vom Fundament bis hoch zum Dachstuhl befördert der die Feuchtigkeit. Pumpspezialisten könnten neidisch werden. Zugleich macht die Fadenbauweise in oder an Formgerüsten gezüchtete Pilzfäden für verschiedenste Werkstoffhersteller bis hin zur Bauindustrie interessant. Start-ups der Lebensmittelindustrie sind ebenso neugierig auf den Baustoff Pilz, der sich ersten Forschungsergebnissen zufolge auf vielfältigste Geschmacksrichtungen hin züchten lässt. Ob Werkstoff- oder Lebensmittelforschung: Beides dürfte aus Umwelt- und Klimaschutzgründen langfristig von größtem Interesse sein. Dringend dürfte eine neue Bewertung der engen Verzahnung zwischen Pilzbeständen und Wäldern sein: Hier wirken Pilze einerseits als Zersetzer, die beispielsweise Totholz bis in seine kleinsten Bestandteile zerlegen und damit den Boden regenerieren. Eine Fähigkeit, die Forschende hoffen lässt, sie auch gegen die von der Menschheit im Übermaß geschaffenen Müllberge und Giftstoffe einsetzen zu können. Nicht zu unterschätzen ist die gegenseitige und lebenserhaltende symbiotische Abhängigkeit von Bäumen und spezialisierten Pilzen. Fällt ein Symbiosepartner aus, Bäume etwa durch Abholzung, Waldbrände oder andere Einflüsse, schlägt auch für den unterirdischen Symbiosepartner das letzte Stündlein. Es dauert unter Umständen Jahrhunderte, bis aufgeforstete Flächen wieder durch passende und dann wieder mitversorgende unterirdische Symbiosepartner besiedelt werden. „Sterben die Pilze, sterben auch die Bäume“, warnten die Pilzsachverständigen Monika Schmid und Erne Münz.
Zu schaffen mache den Pilzen nicht nur der hohe von Menschen verursachte Stickstoffeintrag in die Natur, sondern auch die insbesondere durch schweres Forstgerät verursachte Bodenverdichtung, warnte Thomas Lehner, ebenfalls Mitglied im AK Pilze. Einig war man sich nach gut anderthalbstündigem intensiven Gespräch über das weite Themenfeld Pilze, dass es beim Naturschutz immer um „uns alle“ geht – und dass Naturschutz damit auch eine Aufgabe für alle ist.
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