„Die schönste Bohème, die ich je gesehen habe“ – eine Opernbesucherin ist völlig hingerissen. Die Puccini-Produktion der „Jungen Oper“ kam bei Publikum und Kritik extrem gut an.
Weikersheim. Eigentlich ist Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ ein musikalisches Trauerspiel: Beziehungen scheitern, die weibliche Hauptperson stirbt am Schluss in bester spätromantischer Tradition unter anrührendem Klagegesang an Schwindsucht. Trotz dieses bitteren Endes gab es nach sämtlichen Aufführungen im Weikersheimer Schlosshof begeisterten Schlussapplaus – laute Bravorufe in den Szenen waren keine Seltenheit.
Auch Dr. Ulrich Wüster, Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), blickt mit Stolz auf die runde Inszenierung zurück. Selten habe er über die ganze Produktionsphase hinweg so viel Harmonie unter Darstellern und Orchester erlebt. Dieser positive Geist habe ich ganz offensichtlich auf das Publikum übertragen.
Wüster erinnerte im Gespräch mit der FN-Redaktion daran, dass die Opernaufführungen trotz professionellen Backups keine Festspiele seien, sondern ein „Ausbildungsprojekt“ der JMD. Junge Künstler werden an ihre künftige Berufspraxis an Opernhäusern herangeführt, aber ohne die späteren Zeitgrenzen und mit der Möglichkeit, sich stärker persönlich und „wahrhaftig“ einzubringen, als dies im professionellen Alltag möglich sein wird.
„Auch die Nebenrollen sind von Regisseur Patrick Bialdyga schlüssig inszeniert worden“, hebt Wüster hervor. Sämtliche Sänger haben also etwas von ihren „acht Wochen Weikersheim“. Wichtig sei auch das Einbinden von örtlichen jungen Darstellern gewesen: Als Kinderchor sind Schüler des Weikersheimer Gymnasiums samt ihrer Lehrerin Edith Wolf aufgetreten. Dieses Binnenensemble war übrigens kein dekoratives Beiwerk, sondern ein echter Hingucker in der großen Inszenierung – die Schüler agierten als wichtiger und hinreißender Teil des Stücks.
„Regen-Taufe“ für Philharmonie
Auch die neue Tauberphilharmonie erlebte bei „La Bohème“ ihre Feuertaufe; genauer gesagt eine Regentaufe. Auf bestimmten Kartenkontingenten fanden sich bereits Sitzplatz-Hinweise für das Konzerthaus, das als Ausweichbühne für den Regen-Fall fest eingeplant war. Bei einer Aufführung begann es tatsächlich zu regnen. Rund 600 Zuschauer, die Sänger, das Orchester, zogen in die Philharmonie um. „Das Bühnenbild wurde dort per Videoprojektion dargestellt“, erklärt Wüster. Die wichtigsten Möbel wurden ebenfalls ins Konzerthaus geschafft; die zweite Hälfte der Oper konnte dort weiterlaufen.
Die JMD hat einen ganzen Strauß an Pressestimmen über die Inszenierung zusammengetragen: „So geht Oper: (...) das Publikum feierte die Junge Oper Schloss Weikersheim“, „ein geniales Paket voller Einfälle“, brachten es die Fränkischen Nachrichten auf den Punkt. „Nahezu professionelles Können“, „ergreifendes Bühnengeschehen“, „packend, mitreißend, berührend“, so reagierten Kritiker anderer Medien. Hohes Lob zollten die Kulturjournalisten der intelligenten Regie und der aufmerksamen wie fordernden musikalischen Leitung (Fausto Nardi).
Für Ulrich Wüster gibt es ein „Außenziel“ (wie kommt eine Inszenierung beim Publikum an) und ein pädagogisch-inneres (wie ist die Akademiephase verlaufen). Für beide Aspekte der Jungen Oper kann der Generalsekretär 2019 einen großen Erfolg verbuchen. Selten war ein Ensemble so homogen, selten die Publikumsreaktionen so euphorisch.
2021 kommt „Carmen“ zurück
Obwohl jeder Opernkurs auch ein Experiment ist: Experimentieren will die JMD nicht. Sie setzt stark auf Opernklassiker, die als bekannte Zugnummern einen gewissen Grunderfolg schon in sich tragen. Das hat – natürlich – finanzielle Gründe, ist aber vor allem den Repertoire-Anforderungen der Nachwuchssänger geschuldet.
Apropos Finanzen: Unter den Geldquellen ist der Kartenverkauf noch immer die wichtigste. Zahlreiche Partner aus der Wirtschaft tragen das Sommerprojekt aber mit. Besonders charmant ist dabei das „Rollensponsoring“ durch örtliche Firmen. Denen werden für ihre Unterstützung Blicke hinter die Kulissen ebenso ermöglicht, wie der persönliche Kontakt zu „ihrem“ Sänger, z.B. bei Firmenevents. „Das ist immer ein tolles Erlebnis für beide Seiten“, sagt Wüster.
Ein Blick voraus aufs Jahr 2021: Dann wird es eine Wiederbegegnung mit „Carmen“ geben. Georges Bizets beliebtes (und oft gespieltes) Meisterwerk gab es in Weikersheim zuletzt 2003 unter der musikalischen Leitung von Yakov Kreizberg und Amy Andersson.
Wer die Regie und das Dirigat jetzt übernimmt, steht aktuell noch nicht fest, wohl aber der instrumentale Klangkörper: Es spielt das Bundesjugendorchester – das nationale Jugendorchester der Bundesrepublik Deutschland.
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