Zum Musikfest „Europa! – Musikalisch grenzenlos“, dem Höhepunkt des Hohenloher Kultursommers 2022, strömten rund 1500 Besucher zu einem von sechs parallel stattfindenden Konzerten in die Räume des Weikersheimer Schlosses.
Weikersheim. Anschließend ging es dann zum Festkonzert mit der Donau Philharmonie Wien in den Schlosspark. Vorher ließen sich die Besucher vom Kunsthandwerkermarkt auf dem Marktplatz, vor dem Schloss und der Tauberphilharmonie (wir berichteten) zusätzlich von ästhetisch ansprechenden Skulpturen der Bildhauerin Małgorzata Chodakowska inspirieren.
Das erlebnisreiche Kulturprogramm in Weikersheim rundete die Faszination eines Feuerwerks ab, das die unterschiedlichsten Formen und Farben in den wolkenfreien Nachthimmel zauberte. Den besten Überblick über den gepflegten Park hatten wie in den Jahren zuvor die Stelzenläufer aus Frankfurt, die in fantasievollen, in der Dunkelheit beleuchteten Kostümen meterhoch über allen Köpfen schwebten.
Starke Kontraste
Einen voll besetzten linken Orangerieflügel rockte das fünfköpfige Ensemble „Foaie Verde“ mit dem künstlerischen Leiter Sebastian Mare und der temperamentvollen Sängerin Katalin Horváth, die ungarische und osteuropäische Gypsy Musik im Blut zu haben schien. Mit Steffen Hollenweger, Vladimir Trenin und Frank Wekenmann sorgten sie für einen umwerfenden Drive, der vor allem durch ständig wechselnde Rhythmen mit Anklängen an die Klezmer-Musik erreicht wurde.
Der Kunst der Minnesänger widmeten sich Jule Bauer (Nyckelharpa und Gesang) und die mit vielen Preisen ausgezeichnete „Capella Antiqua Bambergensis“ im rechten Orangerieflügel.
Prof. Dr. Wolfgang Spindler moderierte das Programm des auf mittelalterliche Musik spezialisierten Ensembles. Spindler hat eine eigene Werkstatt, in der eine große Zahl an spielbaren Instrumenten des Mittelalters und der Renaissance nachgebaut wurden.
Musikalische Farbenpalette
„Geschichten aus dem Süden“ erzählte Ricardo Volkert, den Jost Hecker mit dem Violoncello beim Auftritt in der Schlosskapelle begleitete. Der Flamenco-Gitarrist, Liedermacher, Dichter und Komponist aus Herrsching am Ammersee traf auf ein aufgeschlossenes Publikum, das sich nicht nur von der Vertonung des Gedichts „Tu risa“ von Pablo Neruda oder von Garcia Lorcas Poem „Verde“ sehr beeindruckt zeigte.
Mit der Violinsonate Nr. 3 a-Moll von George Enescu und der Violinsonate Nr. 10 G-Dur von Ludwig van Beethoven interpretierten die Geigerin Rebekka Hartmann und der Pianist Yannick Rafalimanana zwei anspruchsvolle Werke, die 1812 und 1926 entstanden. Während Enescu das reichhaltige Spiel der musikalischen Farben in dynamischen Abstufungen mit überwiegend warmen Tönen herausstellte und sich dabei von rumänischer Volksmusik inspirieren ließ, verwendete Beethoven Ländler-Töne, die reizvoll in eine vorwiegend schlicht und kantabel gehaltene Sonate eingebettet waren.
Nur konsequent war es dann, auf ein virtuoses Geigen-Finale zu verzichten. Ein Werk von Beethoven stand auch beim Konzert des Hamburger Bläserquintetts im Rittersaal im Mittelpunkt. Das Quintett Es-Dur op. 103 wurde von Ulf-Guido Schäfer bearbeitet und an diesem Abend von Anton Reichas Quintett Es-Dur op. 88 Nr. 2 und dem Quintett g-Moll op. 59 von Paul Taffenet eingerahmt.
Der böhmische Komponist Reicha, der als der Erfinder des Bläserquintetts gilt, wurde wie Beethoven 1770 geboren. Beim Hören war man geneigt, Ähnlichkeiten in beiden Kompositionen herauszuhören. Beide Musiker waren miteinander befreundet und spielten beide in der Bonner Hofkapelle. Eher besinnlich, doch nicht weniger gehaltvoll gestalteten die aus Bad Mergentheim stammende Luise Enzian (Harfe) und Tehila Nini Goldstein (Gesang) mit originellen und tiefgründigen Ausgrabungen von Schätzen aus dem 17. Jahrhundert ihr Programm, das sie mit dem Motto „Über die Sehnsucht nach dem anderswo“ überschrieben. Beste Unterhaltung bot das den musikalischen Streifzug durch Europa abschließende Festkonzert im Schlosspark. Wie schon einen Tag zuvor beim gefeierten Konzert der „Höhner“ konnten sich Dirigent und Moderator Manfred Müssauer und die Donau Philharmonie Wien auf die ausgezeichnete Tonanlage mit angenehmer Klangatmosphäre verlassen.
Hochdramatische Ouvertüre
Volle Aufmerksamkeit verlangte gleich zum Auftakt die hochdramatisch gespielte Ouvertüre zur Oper „Der Vampyr“ von Heinrich a. Marschner. Im Zenit ihres Könnens scheint die ungarische Geigerin, Sängerin und Theremin-Spielerin Katica Illényi zu stehen, die mit dem Orchester die „Danses roumaines für Violine und Orchester“ von Béla Bartók mit großer Leidenschaft darbot. Eine wunderbare Ausgrabung war die Originalfassung von Jules Massenets Meditation aus der Oper „Thais“ für Violine und Orchester. Fetzig bis munter-sprudelnd gelangen der 54-jährigen Vollblutmusikerin die „Ungarische Rhapsodie Nr.2 für Violine und Orchester und „Zwanzinette“ von Franz Lehár.
Eine Sensation ersten Ranges bot die aus einer bekannten Musikerfamilie stammenden Ungarin mit dem Theremin, dem ersten elektronischen, von dem Russen Lew Termen 1920 entwickelten Musikinstrument. Wer die Augen schloss, sah plötzlich Szenen aus dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“, für den Ennio Morricone die Musik schrieb. Den schicksalhaften Ohrwurm spielte aber nicht mit der Mundharmonika Charles Bronson, bevor er endlich Rache am Mörder seines Bruders nehmen kann, sondern wie von Zauberhand Katica Illényi. Denn allein mit den Bewegungen ihrer Hände in einem elektromagnetischen Feld erzeugte sie die nahezu mystischen und bedrohlich klingenden Töne. Weltweit ist es das einzige Instrument, das ohne Berührung gespielt wird. Die Ungarin spielte es meisterlich noch bei drei weiteren Stücken wie bei Puccinis „O mio babbino caro“, gefühlsselig mit „O Sole Mio“ von Eduardo Di Capua und dem Intermezzo aus „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascani. Die Lacher auf ihrer Seite hatte Illényi, als sie die Bedienung des Instruments mit dem markigen Sound eines startenden Motorrades als ihrem „Lieblingsgeräusch“ untermalte. Das bestens aufgelegte Wiener Orchester ermöglichte der vielseitigen Künstlerin, ihr Gesangstalent und tänzerischen Qualitäten mit dem Chanson von Edith Piaf „A quoi ça sert l’amour?“ und mit dem jiddischen Lied „Bei mir bistu shein“ von Sholom Secunda auf die Bühne zu bringen. Das Publikum war hingerissen und bekam als Zugabe ein paar Wiederholungen und so eine perfekte Überleitung.
Mit den letzten Beifallskundgebungen setzte zum krönenden Abschluss des Musikfestes der bunte Lichterzauber ein.
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