Bestsellerautorin Ulrike Herrmann im Weikersheimer club w71

Lösung im Verzicht: Wieder lernen, sich einzuschränken

Großer Andrang bei einem eher unbequemen Thema. „Warum Wachstum und Wohlstand nicht vereinbar sind“

Von 
Dilan Salatan
Lesedauer: 
Ulrike Herrmann, Wirtschaftsexpertin der „taz“. © dpa

Weikersheim. Wohlstand, Bildung, Gleichberechtigung, Demokratie, eine doppelt so hohe Lebenserwartung – der Kapitalismus ist ein höchst segensreiches Übel. Er generiere Wachstum bis zum Überfluss, benötige diesen aber auch zwingend und stetig, damit das System nicht in sich zusammenfällt. Als auf Konsum aufbauende Wirtschaftsordnung ist er ohne Expansion nicht denkbar. Und genau hierin liege das Kernproblem, erklärt Ulrike Herrmann, denn „in einer endlichen Welt kann man nicht unendlich wachsen.“

Die taz-Journalistin und Bestseller-Autorin, die auch aus Talksendungen wie Markus Lanz bekannt ist, war mit ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus: Warum Wachstum und Wohlstand nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“ Gast im club w 71.

Trotz des eher unbequemen Themas war der Andrang groß, so war die Bühne des Club kurzerhand für das Publikum freigeräumt worden, während Ulrike Herrmann lässig mit angewinkeltem Arm gegen den Tresen lehnend in heiterer Ernsthaftigkeit vom Untergang des Kapitalismus erzählte (nicht zu verwechseln mit dem Untergang der Welt).

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Man dürfe sie aber nicht falsch verstehen, sie sei keineswegs eine Kapitalismuskritikerin – ganz im Gegenteil. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung als ein totales System habe den Menschen sowohl auf materieller als auch auf immaterieller Seite viel Gutes gebracht. „Ohne die industrielle Revolution“, die ab 1760 in England einsetzte und mit der das kapitalistischen Wirtschaftssystem seinen Anfang nahm, „säßen die meisten nicht hier in diesem Raum – denn die durchschnittliche Lebenserwartung lag gerade mal bei 35 Jahren“, eröffnet Herrmann den Abend humorvoll. Nach ein paar Lachern geht es dann aber wieder in ernsterem Ton weiter.

Der Kapitalismus habe keine Zukunft, denn die Umweltgrenzen seien längst ausgereizt, die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise für einen jeden spürbar. Man denke nur an Silvester 2022, „hier kann man mit 20 Grad und Sonnenschein bereits von einer tropischen Situation sprechen“, so Herrmann. Vorhergesagt wurden derartige Wetterverhältnisse in Deutschland übrigens erst für das Jahr 2050, womit die Prognosen bereits jetzt in der Vergangenheit liegen. Ein Blick auf die Industrieländer zeige zudem, wie prekär die Lage für die Umwelt ist, wenn weitergemacht werde wie bisher: „Die Deutschen konsumieren im Moment, als könnten sie drei Planeten verbrauchen“ – schlimmer noch sähe es in den USA aus, dort seien es nach aktuellem Stand fünf, im Kleinstaat Katar sogar mehr als 30 Planeten.

Politiker und sogar die meisten Ökonomen würden – in der Hoffnung, Klimaschutz und Wirtschaft vereinbaren zu können – auf „grünes Wachstum“ setzen. „Das bedeutet, man vertraut auf die Technik. Symbol ist das E-Auto – alles bleibt, wie man es kennt, nur der Motor soll sich ändern. Diese Idee, bekannt unter Stichworten wie ‚Green New Deal’, vertritt jede Partei.“ Doch dies sei eine Illusion, meint Herrmann, denn der Ökostrom würde nicht ausreichen, auch wenn es an physikalischer Energie nicht fehle: „Die Sonne schickt 5000-mal mehr Energie zur Erde als alle Menschen weltweit benötigen würden.“ Die Schwierigkeit liegt vielmehr in der Speicherung, denn Strom über Windräder und Solarpaneele ist nur dann verfügbar, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Für die Expertin steht fest: „Wenn die grüne Energie reichen soll, bleibt nur „grünes Schrumpfen – wir müssen zurück in die Grenzen der Natur.“ Das klingt radikal und mag insbesondere den Technikgläubigen zu deterministisch erscheinen. Doch in ihrem Vortrag, in dem die Wirtschaftsjournalistin komprimiert Kernelemente ihres Buchs darlegt und komplexeste Sachverhalte prägnant, eindringlich und leicht verständlich formuliert, zeigt Herrmann in einer detailscharfen Analyse, dass es keine Alternative gibt.

Die Lösung liegt für sie im Verzicht. Der Mensch müsse lernen, sich einzuschränken. Mit Blick auf die Geschichte sieht sie in der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 ein mögliches Alternativmodell zum bestehenden Wirtschaftssystem. Die Briten mussten angesichts des drohenden Angriffs durch die Deutschen ihre Wirtschaft innerhalb kürzester Zeit drastisch herunterfahren, um Militärgüter herzustellen, es entstand ein völlig neues Wirtschaftssystem – eine demokratische, private Planwirtschaft, in der man anstatt auf Verstaatlichung auf Steuerung und Rationierung setzte. Obwohl der Konsum um ein Drittel sank, sei die Bevölkerung sehr zufrieden gewesen, „weil alle dasselbe hatten.“

Um die Klimakatastrophe abzuwenden, brauche es eine ökologische Kreislaufwirtschaft, daher müsse die heutige Wirtschaftsleistung sogar um mindestens fünfzig Prozent heruntergefahren werden, damit der Ökostrom ausreiche, sagt Herrmann. „Das heißt, wir würden leben wie im Jahr 1978. Und die Menschen waren damals genauso glücklich wie heute.“

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