Konzert in der Tauberphilharmonie

Klang-Desaster trotz Star-Power: Warum das Konzert von Anika Nilles nicht zündete

Energie verpufft: Der Auftritt von Schlagzeugerin Anika Nilles und „Nevell“ in Weikersheim litt an schwachem Sound und enttäuschte musikalisch.

Von 
Michael Weber-Schwarz
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Anika Nilles und ihre Band hätten richtig rocken können – wenn nur der Sound gestimmt hätte. © Michael Pogoda

Weikersheim. Hoch energetisch, aber unterm Strich enttäuschend: der Auftritt von Schlagzeugerin Anika Nilles mit ihrer Band „Nevell“ in der Weikersheimer Tauberphilharmonie. Das Konzert litt nicht nur am teils katastrophalen Sound, sondern auch am musikalischen Konzept des Abends. Die Schichtung von musikalischen Layern (statt songorientierten Motiven) ermöglicht es, eine reiche Textur zu schaffen, in der verschiedene Rhythmen, Akzente und Klangfarben gleichzeitig stattfinden und sich gegenseitig verstärken. Potenziell entsteht ein komplexer, dynamischer Sound, der sowohl technisch anspruchsvoll als auch musikalisch spannend ist. Aber genau daran hakte es schon aufgrund der suboptimalen Tontechnik – und die wenigen im unglücklichen Gesamtsound erkennbaren Themen trugen den Auftritt auch nicht.

Es hatte etwas Tragisches: Wenn man sich die Onlinevideos von Nilles anhört, stehen die gefälligeren Stücke quasi naturgemäß weit oben. Da gibt’s selbst im klangreduzierten Streaming einen extrem durchlässigen Sound, die Musiker sind mit Verve bei der Sache und lassen es mit höchster Spielfreude auch krachen.

Bunter Mix an Musikinteressierten

Im Grunde hätte das auch in Weikersheim so sein können (oder müssen). Schlagzeugerin Nilles, der Shootingstar der zeitgenössischen Fusion-Musik, kommt mit eigenen Kompositionen, holt das Schlagwerk aus der Begleit-Ecke heraus und schafft auf erfrischende Weise etwas Neues. Das macht neugierig und zugewandt. Das spricht Musikinteressierte aus ganz unterschiedlichen Richtungen – sozusagen von Hardcore bis Jazz – an. Entsprechend bunt war das Weikersheimer Publikum. Das Altersspektrum reichte von sehr jung bis zur Seniorin. Prinzipiell also der Traum eines jeden Veranstalters.

Ein kleiner Blick zurück zur Orientierung: Miles Davis‘ legendäres Album Bitches Brew (1970) war ein Wendepunkt, der den Jazz in neue Richtungen lenkte und das Genre Fusion prägte. Die Mischung aus elektronischen Instrumenten, freien Improvisationen und genreübergreifenden Einflüssen eröffnete neue Klangwelten, die bis heute von Musikern weltweit erforscht und weiterentwickelt werden.

Aus einer Zeit des Aufbruchs heraus

In dieser Spur hat sich über die Jahrzehnte viel getan. Die einen mochten diesen Aufbruch. Andere – aus den beiden Lagern Jazz und Rock – verabscheuten die gefühlte Verwässerung ihrer Lieblingsrichtung. Zu kommerziell, zu glatt, zu technisch: Joe Zawinul, die Brecker Brüder, Chick Corea – in traditionalistischen Jazzerkreisen erwähnte man Ende des vorigen Jahrhunderts besser nicht, dass man Platten von den Musikern hörte.

Heute ist der Crossover weitgehend etabliert und auch ein rockgeprägter „Kuttenträger“ geht in die Weikersheimer Philharmonie, wenn jemand wie Nilles kommt. Hintergrund: Im Jahr 2022 begleitete Anika Nilles Gitarrenlegende Jeff Beck auf seiner letzten Welttournee. Dabei spielte sie Schlagzeug in der Band des Grammy-Preisträgers, die auch phasenweise Johnny Depp als Rhythmusgitarrist und Sänger umfasste. Und, ganz neu: Nilles ist als Schlagzeugerin bei der Reunion-Tour von „Rush“ 2026 gesetzt. Die Progressive-Rock- Band gilt als eine der einflussreichsten Gruppen des 20. Jahrhunderts mit hohem Anspruch an technische Präzision und konzeptionelle Tiefe.

Wie mit dem Autoradio an der Sendergrenze

Nilles eigene Band Nevell kombiniert Elemente aus Jazz, Funk, Progressive Rock und Pop zu einem einzigartigen und eigenwilligen instrumentalen Sound – Fusion eben in einer eigenen Form. Doch wenn man das Piano trotz eigenem Tontechniker nicht hört, wenn man das Klangspiel (Chimes) des Perkussionisten zwar gestrichen sieht, aber vom Elfenklang des Instruments nichts im Publikum ankommt, dann muss man sein rekonstruktives Gehör schon ziemlich bemühen. Es ist dann so, wie wenn man mit dem Autoradio an einer Sendergrenze herumfährt und sich die Geigen der Mozartoper dazu denken muss. Das Problem reicht aber auch noch in die Tiefe, gerade wenn ungerade Taktarten, metrische Modulationen und komplexe Fills eine wichtige Rolle spielen – müssten.

Also abhaken, einen Wein trinken, alles ein wenig schade finden und hoffen, dass beim nächsten Mal alles besser wird. Und dann lieber gleich Ohrstöpsel benutzen, denn laut wird es auch in Zukunft sein.

Hartgesottene Fans ließen sich von den Schwächen des Konzerts nicht aus dem Konzept bringen. © Michael Pogoda

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

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