Einmalige Film-Vorführung im Igersheimer Bürgerhaus - Hugo Kistner präsentierte sein Werk "Auf den Spuren der jüdischen Vergangenheit"

Vergebung kommt aus der Erinnerung

Von 
Hans-Peter Kuhnhäuser
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Im Bürgerhaus gab es einen besonderer Film. Der Igersheimer Hugo Kistner präsentierte sein jüngstes Werk, Veranstalter waren Heimatverein und Gemeindeverwaltung.

Igersheim. Heimatgeschichte kann böse aufstoßen, denn es gibt eben nicht nur schöne Erinnerungen. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 wurde lange totgeschwiegen. Die Sprachlosigkeit und das Verdrängen sind glücklicherweise überwunden - auch in Igersheim.

"Wir bitten Sie, nicht zu verzagen", lasen die letzten Igersheimer Juden - Rosa, Schmay und Sofie Hartheimer sowie Max und Gertraud Rosenheimer in einem Schreiben, das sie Anfang November 1941 von der jüdischen Kultusvereinigung Stuttgart erhielten - die Nazis zwangen die Kultusvereinigung, diese Briefe abzusenden. Darin wurde den Empfängern mitgeteilt, dass sie in den Osten evakuiert werden sollen. "Was mögen sie wohl gedacht haben", fragte Ulrich Dallmann zu Beginn. Die "Evakuierung" - die Juden mussten die Fahrkarten selber kaufen - war aber nur eine Facette dieses Films, zu dessen Premiere und wohl auch letztmaliger öffentlicher Vorführung Dallmann mit dem ehemaligen Schuldekan Eggert Hornig und Hartwig Behr zwei engagierte "Mit-Macher" begrüßte. Beide unterstützten den Film mit ihren Wissen und mit Bilddokumenten.

"Wir wollen keine Schuldgefühle wecken", betonte Dallmann. Schließlich "seid Ihr nicht schuld daran, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht wieder geschieht", zitierte er Max Mannheimer. Das dokumentarische Film-Feature hat seine ganz eigene Qualität und brachte den mehr als 40 Zuschauern im Bürgerhaus die Geschichte der Juden in Igersheim nahe. Rund 600 Bilder hat Hugo Kistner verwendet und mit Ton unterlegt, mit Bewegt-Szenen, darunter Aussagen von Zeitzeugen ergänzt, zu einem 90-minütigen Film gemacht. Das Drehbuch umfasst knapp 30 Seiten, rund zwei Jahre hat Kistner an dem Projekt gearbeitet. Als Sprecher wirkt Uli Dallmann.

Markelsheim Filialgemeinde

Seit dem 13. Jahrhundert lebten Menschen jüdischen Glaubens in Igersheim, zeitweilig war Markelsheim sogar eine Filialgemeinde der jüdischen Gemeinschaft Igersheims. Pogrome gab es auch im Taubertal, stets waren die Auslöser erfundene Ritualmorde, Brunnenvergiftung oder Hostienschändung. Beim "Rintfleisch"-Pogrom von 1298 wurden 21 Röttinger Juden erschlagen.

Der Deutsche Orden sah die Juden als Bereicherung, denn sie mussten Schutzgeld zahlen und kurbelten die Wirtschaft an. Im 30-jährigen Krieg wuchs die Igersheimer Gemeinde auf 30 Personen an - einige christliche Igersheimer fürchteten, dass sie bald den Juden weichen müssten. Das klingt bekannt.

Im Februar 1674 kam es in Igersheim zu gewaltsamen Ausschreitungen. Ein Teil der Judenhäuser wurden geplündert, die Inneneinrichtung der Synagoge wurde zerstört. Einquartierte Soldaten des kaiserlichen Heeres sollen die Urheber gewesen sein, bestraft wurde niemand. Die jüdische Gemeinde blieb mit sechs Familien und zusammen 30 Personen konstant. Da die Juden kein Handwerk erlernen und ausüben durften, verlegten sie sich schon im Mittelalter auf den Handel mit Vieh, Tuch, Leinwand und Landesprodukten oder verliehen Geld (was den Christen verboten war). Das zu zahlende Schutzgeld wurde 1705 von zehn auf 15 Reichstaler erhöht, die Zahl der in Igersheim lebenden Juden stieg. Nach der Übernahme des Ordensstaates durch das Königreich Württemberg lebten 1812 schon 53 Juden in Igersheim, 1824 hatten elf Familien eigene Häuser. Schließlich mussten die Juden einen deutschen Nachnamen annehmen, und viele wählten dafür den Ort ihrer Herkunft.

Der Film erklärt religiöse Bräuche und Geboten, die Funktion und das Wirken der Rabbiner und auch den Neubau und die Lage der Igersheimer Synagoge (Burgstraße 22). Das Bauholz gab es von der politischen Gemeinde unter der Auflage, die armen Juden dort unterzubringen. Kein Wunder, dass die Igersheimer Juden nicht mehr für den Armenverein spenden wollten. Die Gleichstellung mit den anderen württembergischen Untertanen ging einher mit der Bewegungsfreiheit und dem Ende der Schutzgeld-Zahlungen.

1832 entstand die "Israelische Religionsgemeinschaft Igersheim", sie ging aus der Synagogengemeinschaft mit Markelsheim hervor. 1841 gab es in Igersheim noch zwei jüdische Familien.

1886 gab es 22 jüdische Igersheimer, die gut integriert waren. Bis 1933 kann von einem harmonischen Zusammenleben ausgegangen werden, wenngleich die Nazis auch hier aktiv waren und unermüdlich ihre Hetze verbreiteten. Am 27. März 1933 trieben SA- und Parteimitglieder Schmay Hartheimer mit seinen Söhnen Julius und Arthur zur Tauberbrücke und verprügelten sie. Der Druck auf die deutschen Juden wuchs. Lina Klages konnte auswandern - und überlebte.

Der Film schildert die - soweit bekannt - letzten Tage der Igersheimer Juden vom schmachvollen Gang zum Bahnhof bis hin zur Zugfahrt zur Zwischenstation Killesberg und dem Transport nach Riga. Letztmals gesehen wurde Rosa Hartheimer bei der Zwangsarbeit im Rigaer Bahnhof vom Igersheimer Wehrmachtssoldaten Heinrich Riegler. Das Hab und Gut der Igersheimer Juden wurde versteigert, die Igersheimer boten eifrig. Die Erinnerung daran und an die jüdischen Mitbürger wurden jahrzehntelang totgeschwiegen. Die Stolperstein-Aktion war ein zweiter Anlauf, nachdem Anfang der 1980er Jahre ein Antrag zur Errichtung eines Mahnmals im Gemeinderat kläglich scheiterte - immerhin wurde eine Broschüre in Auftrag gegeben, die die jüdische Geschichte Igersheims in Worte fasste.

Das Schulprojekt mit der Familie Igersheim aus den Vereinigten Staaten läuft seit Jahren erfolgreich an der Johann-Adam-Möhler-Schule und soll mit neuen Partnern fortgesetzt werden. Hugo Kistners Film ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Vergebung nur aus der Erinnerung kommen kann.

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