Tauberbischofsheim. Die Wahlrechtsreform soll erreichen, dass der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag wieder kleiner wird. Über die Möglichkeiten dafür berät derzeit eine extra eingesetzte Kommission unter dem paritätischen Vorsitz derr Tauberbischofsheimer Politikerin und Rechtsanwältin Nina Warken (CDU) und Johannes Fechner (SPD). Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart: „Wir werden innerhalb des ersten Jahres das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Bundestages zu verhindern.“ Allerdings sieht der Fahrplan der Kommission vor, dass sie spätestens bis zum 30. Juni 2023 ihren Abschlussbericht vorlegt.
Der Vorschlag von drei Abgeordneten der Ampel-Parteien und das Modell der CDU/CSU sind jedoch so gegensätzlich, dass es zwischen ihnen keinen Kompromiss geben kann. Sie stimmen nur darin überein, die Zahl der Mandate auf 598 zu beschränken, indem Überhang- und Ausgleichsmandate, die regelmäßig zur Aufblähung des Bundestags führen, künftig wegfallen.
Frau Warken, Sie sind Vorsitzende der Wahlrechtskommission des Bundestages. Gemeinsam mit Ihrem Kollegen von der SPD, Johannes Fechner, leiten Sie dieses Gremium, das unter anderem das Wahlrecht reformieren und Vorschläge für eine gleichberechtigte Repräsentanz von Männern und Frauen im Bundestag erarbeiten soll. Das hört sich nach sehr viel Arbeit an . . .
Nina Warken: Das ist absolut richtig. Die Arbeit in der Kommission stellt einen großen zusätzlichen Arbeitsaufwand dar. Es werden hohe Erwartungen an uns gestellt.
Diese Kommission soll sich auch mit Themen wie der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, der Begrenzung der Amtszeit der Kanzler und einer Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre befassen. Ist es denn nicht utopisch, das jetzt alles auf einmal neu regeln zu wollen beziehungsweise zu müssen?
Warken: Die Verkleinerung des Bundestages treibt die Menschen am meisten um. Hier ist auch die größte Erwartungshaltung spürbar. Allerdings stellt das zugleich die größte Herausforderung dar. Manche von den anderen Themen sind rechtlich „einfach“ zu regeln, manche nicht. Für wiederum andere braucht man eine verfassungsändernde Mehrheit, zum Beispiel beim Wahlalter ab 16. Wir haben es mit einem ganzen Potpourri an Aufgaben zu tun. In der Kommission haben wir Gelegenheit, uns umfassend mit den Punkten zu befassen. Fest steht: Die Arbeitsweise des Bundestages muss moderner und transparenter werden, und wir wollen eine größere Beteiligung der Bürger erreichen. Ob es in allen Bereichen auch zu Ergebnissen kommen wird, das ist allerdings offen.
Wie viele Mitglieder hat diese Kommission?
Warken: Wir sind 26 – 13 Bundestagsabgeordnete und 13 Sachverständige – und tagen in den Sitzungswochen in Berlin jeweils drei Stunden in Hybridform. Die Sitzungen werden live auf der Webseite des Bundestages übertragen. Die Sachverständigen haben das gleiche Rede- und Fragerecht wie die Abgeordneten.
Sie machen Vorschläge, stellen verschiedene Modelle vor und diskutieren mit. Wir haben vorab Leitfragen zu den einzelnen Themenbereichen entwickelt, die wir dann abarbeiten – aber es wird auch darüber hinaus diskutiert.
Wie ist der aktuelle Stand?
Warken: Bis August müssen wir einen Zwischenbericht vorlegen. Bereits in der vergangenen Woche haben wir die Eckpunkte dazu diskutiert. Zu den Themen Verkleinerung des Bundestages, Wahlalter ab 16 Jahren und Parität werden erste Empfehlungen im Zwischenbericht stehen. Allerdings werden diese Empfehlungen nicht alle einvernehmlich beschlossen – meist setzen die Koalitionsfraktionen mit ihrer Mehrheit ihre Vorstellungen durch.
In den vergangenen zwei Legislaturperioden war eine Reform vor allem auch daran gescheitert, dass CSU und CDU eine Reduzierung der Wahlkreise ablehnten.
Warken: Wir haben bereits in der letzten Wahlperiode eine Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 beschlossen. Diese tritt ab der nächsten Bundestagswahl in Kraft. Leider war keine umfassende Reform möglich. Es sind eben viele unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen – innerhalb der Parteien, aber auch innerhalb von Landesverbänden. Alle miteinander haben sich nicht ausreichend bewegt und tragen ein Stück weit Verantwortung dafür. Jeder muss sich jetzt bewegen. Man darf nicht immer nur nach den eigenen Interessen schielen. Allerdings ist es wichtig, innerhalb aller Fraktionen eine breite Zustimmung zu erzielen.
Zur Verkleinerung des Bundestages liegen zwei konkurrierende Modelle vor.
Warken: Die Regierungskoalition hat die Mehrheit in unserer Kommission und kann somit ihren Vorschlag durchbringen. Wir als Opposition können nur unser Votum abgeben. Uns ist es wichtig, ein Wahlrecht, das vom Wähler aus gedacht ist, zu bekommen. Ein Wahlrecht also, das der Wähler versteht, das klar geregelt ist und den Ausgang der Wahl absehen lässt. Wir schlagen daher das echte Zwei-Stimmen-Wahlrecht vor, das die Erst- und Zweitstimme nicht miteinander verrechnet, das Prinzip der Wahlkreise stärkt, für mehr Bürgernähe sorgt und das bei einer festen Größe von 598 Abgeordneten „landet“.
Die Ampel-Fraktionen sprechen sich für das Prinzip der Zweitstimmendeckung aus. Demnach würden direkt gewählte Abgeordnete nur dann in den Bundestag einziehen, wenn ihr Mandat durch Zweitstimmen gedeckt ist.
Warken: Diesen Vorschlag betrachten wir als verfassungsrechtlich bedenklich. Ein im Wahlkreis mit Mehrheit gewählter Abgeordneter würde künftig gegebenenfalls nicht in den Bundestag einziehen können. Das widerspricht unserer Meinung nach dem Demokratieprinzip. Außerdem ist dann nicht mehr gewährleistet, dass jeder Wahlkreis mit einem Abgeordneten vertreten ist. Wenn die Ampel-Fraktionen sich dazu entschließen, werden wir das vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen.
Was halten Sie persönlich vom Wahlalter ab 16?
Warken: Grundsätzlich ist es wichtig, Jugendliche mehr für Politik zu interessieren. Das Senken des Wahlalters kann da eine Möglichkeit sein. Allerdings gibt es Studien zum Beispiel aus Österreich, die besagen, dass dies nicht automatisch auch zu mehr Interesse an der Politik führt. Ich komme oft mit Schulklassen zusammen und stelle fest, dass auch die Jugendlichen eine unterschiedliche Meinung zu diesem Thema haben. Das muss man sehr sorgfältig abwägen. Auch meine Fraktion sieht das eher skeptisch.
Wenn das Wahlalter gesenkt wird, muss es auch Anpassungen in anderen Bereichen – etwa auf rechtlichem und strafrechtlichem Gebiet – geben. Wir brauchen ein Gesamtkonzept.
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