Interview

VS: Mit Nachhaltigkeit und Design zum Erfolg

Das Unternehmen VS steht nicht nur für Schulmöbel, sondern mittlerweile auch für das digitale Klassenzimmer. Die FN sprachen mit Dr. Thomas und Philipp Müller über die 125-jährige Tradition der Firma.

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Heike von Brandenstein
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Dr. Thomas Müller (hinten) und sein Sohn Philipp Müller in einer Rettig-Bank im nachgestellten Klassenzimmer im VS-Schulmöbelmuseum. © Heike von Brandenstein

Tauberbischofsheim. Von den Vereinigten Schulbankfabriken über die Vereinigten Spezialmöbelfabriken bis zur Kurzformel VS reichen die Firmennamen des Tauberbischofsheimer Familienunternehmens. Dr. Thomas Müller steht für die dritte, sein Sohn Philipp für die vierte Generation. Im Interview beziehen sie Stellung zu den Themen Verantwortung, Prinzipien, Innovation und künftige Herausforderungen.

125 Jahre VS. Das ist ein beachtliches Jubiläum für ein familiengeführtes Unternehmen in vierter Generation. Welche Tugenden und Prinzipien werden von Generation zu Generation weitergegeben?

Dr. Thomas Müller: Aus meiner Perspektive würde ich sagen, dass wir als Familienunternehmen eine ganz andere Verbundenheit zu unserem Betrieb, unserer Belegschaft und auch zu unseren Produkten und zu unseren Zielen haben als das möglicherweise in Firmen der Fall ist, die reine Kapitalgesellschaften sind. Wenn ich als Geschäftsführer etwas anstoße, dann betrachte ich das nicht unter kurzfristigen Aspekten für die nächsten drei oder vier Jahre, sondern ich denke auch an viele, bei denen eine solche Entscheidung erst in der nächsten Generation zum Tragen kommt. Auch bei den Mitarbeitern zeigt sich eine riesige Kontinuität und Verbundenheit. Da, glaube ich, unterscheiden sich gut geführte Familienunternehmen von Unternehmen, die als reine Aktiengesellschaften agieren.

Philipp Müller: Prinzipien und Tugenden sind sehr schwerwiegende Worte. Aber wie schon mein Vater beschrieben hat, verfolgen wir hier einen sehr nachhaltigen Ansatz in Bezug auf den wirtschaftlichen Erfolg. Was die VS im Vergleich zu anderen Unternehmen in ganz besonderem Maße ausmacht, ist die Integrität mit der hier gearbeitet wird. Für unsere Kundschaft ist es unglaublich wichtig, dass wir die Möbel, die bestellt worden sind, zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge liefern. Diese Termintreue ist bei uns sehr ausgeprägt und wird wahnsinnig geschätzt. Damit wir das immer punktgenau hinbekommen, müssen wir hier in der Firma gewährleisten, dass wir optimal zusammenarbeiten und jeder seinen Beitrag leistet, damit die Lieferungen pünktlich rausgehen.

Die Möbel ihres Unternehmens sind nicht einfach nur Bänke, Tische oder Stühle. Sie haben Standards in der Branche gesetzt und sich immer auch pädagogischen und ergonomischen Prinzipien verpflichtet gefühlt. Wie sehr haben Ihr Unternehmen pädagogische Erkenntnisse oder Strömungen durch über ein Jahrhundert beeinflusst?

Dr. Thomas Müller: Es war seit meines Großvaters Zeiten Markenzeichen der VS, dass wir nicht nur Möbel fertigen wollten, sondern auch die Pädagogen, die Lehrer und natürlich auch die Schüler im Unterricht unterstützen wollten. Und da war am Anfang die Rettig-Bank, die es erstmalig ermöglichte, auf der gleichen Fläche eines Klassenzimmers Schüler nicht in Vierer- oder Fünfer-Bänken, sondern in Zweier-Bänken zu platzieren. So hatte jeder Schüler die Chance, zu jeder Zeit auf den Gang herauszutreten. Mein Vater hat dann nach dem Zweiten Weltkrieg an den Erfolg der Rettig-Bank angeknüpft als er mit Professor Nothhelfer den Holzkufenstuhl entwickelt hat. Ich habe in meiner Zeit weiter mit führenden Pädagogen und Designern zusammengearbeitet, so dass die VS vom Produkt her schon immer der Marktführer war. Allerdings haben wir im Laufe der Zeit wirtschaftlich mehr Erfolg gehabt als in den ersten Jahrzehnten. Die Herausforderung für meinen Sohn Philipp und seine Mannschaft ist es jetzt, am Puls der Zeit zu bleiben und den pädagogischen Erfordernissen der Zukunft zu begegnen. Wir müssen nicht nur den Wunsch des Kunden erfüllen, sondern nach Möglichkeit noch einen Schritt vorausdenken, so dass wir den Kunden sogar mit Ideen, die er selbst noch gar nicht gedacht hat, überraschen können.

Was sind die kommenden Hausforderungen?

Philipp Müller: Es geht natürlich darum, die Geschichte weiterzuschreiben. Wir befinden uns beim Thema Schule in einem enormen Spannungsfeld. Unsere Produkte müssen zum einen enorm robust und langlebig sein, zum anderen haben wir den Anspruch, dass es gestalterisch ein ansehnliches Produkt ist und zusätzlich gewissen pädagogischen Anforderungen genügen muss. Das alles bei jeder neuen Produktentwicklung unter einen Hut zu bekommen, ist eine große Herausforderung. Ansonsten ist ein Luxusproblem, dass wir stark gewachsen sind. Wir haben immer mehr Mitarbeiter, ein immer größeres Produktportfolio und wir sind auf der Welt immer weiter verteilt. All das koordiniert in eine Richtung zu bewegen, ist eine Herausforderung, mit der ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe und die mich weiter beschäftigen wird.

Montage der ersten Generation der Nothhelfer-Kufenstühle bei den VS. Das Bild entstand 1953. © VS

Wo sehen Sie Chancen?

Philipp Müller: Die Digitalisierung sehe ich als Chance für uns , weil sie in die Schule Einzug hält. Aber auch intern stellen wir uns die Frage, was unsere Kunden für eine Erwartungshaltung mit Blick auf die Digitalisierung haben - ob sie etwa einen Online-Shop wünschen. Und auch wir selbst überlegen, wie wir unsere internen Prozesse durch Digitalisierung vereinfachen.

Sie setzen auf Nachhaltigkeit bei ihren Produkten und in der Produktion. Was tun Sie genau?

Philipp Müller: Nachhaltigkeit spielt weiter eine große Rolle. Bei unserer Produktion haben wir die gesetzlichen Anforderungen schon immer übererfüllt, unsere Produkte wurden schon immer nach den höchsten Standards zertifiziert. Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine beschäftigen wir uns mit dem Thema, woher wir künftig Energie beziehen können, um unseren Betrieb aufrechterhalten zu können. Momentan wird unsere alte Photovoltaikanlage durch eine neue ausgetauscht. Das alte Kesselhaus, in dem die Späne verbrannt werden, wird in den nächsten Jahren komplett ersetzt. Darüber hinaus schauen wir uns unsere Lieferketten genau an und übertreffen auch hier Standards.

Was treibt Sie an?

Philipp Müller: Ich habe in der vierten Generation ein hohes Interesse, dass meine Kinder oder die von Mitarbeitern in 10, 20, 30 oder 40 Jahren hier noch in einer schönen, angenehmen Umgebung arbeiten können. Dass das Anstrengungen von der ganzen Gesellschaft erfordert, ist jedem in den letzten ein oder zwei Jahren noch einmal so richtig klar geworden.

Angefangen haben sie mit der Rettich-Bank und dem Tintenfass mit Schwanenhals. Heute sind sie zwar auch noch bei Schulmöbeln, aber eben auch bei Activ- und SmartBoards. Wie hat die zunehmende Digitalisierung ihr Geschäft verändert und wie wird sie es noch verändern?

Philipp Müller: Bildung wird nicht mehr nur in der Schule stattfinden, sondern ist eine lebenslange Aufgabe. Das können wir als VS abbilden wie kein zweites Unternehmen, weil wir Möbel für die Schule und fürs Büro samt digitaler Infrastruktur bieten. Das ist neben einer größeren Flexibilisierung der ganz grundsätzliche Trend.

Dr. Thomas Müller: Man kann das an einem Beispiel illustrieren: Das was im Büro die Teamarbeit ist, ist in der Schule die Gruppenarbeit. Und es läuft nicht mehr alles in der Schule oder im Büro, wie Corona gezeigt hat, sondern es kann vieles zu Hause erledigt werden. Eine gute Mischung ist hier wichtig. Als sozialer Faktor ist Schule als Ort, wo man sich physisch trifft, unersetzlich. Insofern sind wir guter Hoffnung, dass der Bildungsmarkt auch in Zukunft Bestand haben wird.

Sie haben immer auf Design, große Namen wie Panton oder Behnisch gesetzt. Woher kommt dieses Interesse am Besonderen, am Stylischen?

Dr. Thomas Müller: Das hat schon mein Großvater gemacht. Bei mir war die Zusammenarbeit mit Günter Behnisch oder Werner Panton ein persönliches Interesse und entsprach auch dem, was ich auf dem Markt gesehen habe. Unser Verwaltungsgebäude, das wir zum 100. Geburtstag eingeweiht haben und das Günter Behnisch entworfen hat, ist nun schon 25 Jahre alt. Aber es zeigt sich, dass das, was man einmal in Stein errichtet hat, eine ungeheure Tragweite hat. Das habe ich auch bei missglückten Gebäuden der VS gesehen. Es ist ganz schwierig, ein schlechtes Gebäude wieder loszukriegen. Deshalb habe ich immer eine riesige Verantwortung dafür gespürt, dass ein neues Gebäude erstklassig werden muss. Der Ort, an dem wir arbeiten, hat eine ungeheure Auswirkung auf unser Wohlbefinden und auf die Identifikation mit der Firma.

Philipp Müller: Die Betonung auf erstklassig trifft auch auf unsere Produkte zu. Mit unseren Möbeln geben wir unsere Visitenkarte ab, auch wenn der einzelne Nutzer vielleicht gar nicht weiß, dass es VS-Möbel sind. Aber wenn etwas nicht nur funktional ist, sondern auch noch ein gutes Design hat, wirkt sich das als nicht zu unterschätzender positiver Effekt aus.

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Tauberbischofsheim, 23.03.2023: Einweihung der Thomas-Müller-Straße

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Auf welche Aufträge in Ihrer Unternehmensgeschichte sind Sie besonders stolz?

Dr. Thomas Müller: Ich habe seinerzeit die Büromöbel als zweites Standbein etabliert, und da war es wichtig, große renommierte Kunden zu bekommen. Wir haben einmal einen sehr schönen Auftrag erhalten, die Entwicklungsabteilung von Mercedes-Benz auszustatten. Wir haben auch das Vier-Zylinder-Gebäude von BMW eingerichtet, was ein großer Erfolg war. Bei den Schulen sind wir ohnehin Marktführer, doch da haben wir mit renommierten Architekten sehr schöne Projekte realisiert. Einmal mit Rem Koolhaas in Brighton und sehr schöne mit Renzo Piano in Italien und in China.

Philipp Müller: Ich bin ja erst zehn Jahre hier, aber ein Auftrag während der Corona-Pandemie sticht heraus. Die italienische Regierung hatte beschlossen, zum Einsitzer-Konzept zurückzukehren und eine weltweite Ausschreibung gestartet. Wir durften mitmachen und haben vielleicht sogar das größte Kuchenstück gewinnen können. Diesen einzelnen Auftrag mit einem Volumen von 27 Millionen Euro haben wir hier in Tauberbischofsheim binnen weniger Monate gefertigt, über die Alpen transportiert und in die Schulen gebracht. Das war von der Abwicklung her eine absolute Meisterleistung. Wir waren ein Lieferant, der geliefert hat wie besprochen. Bei einem anderen Auftrag haben wir den Rahmenvertrag für den Main-Kinzig-Kreis gewonnen und durften dort ein Konzept für die Digitalisierung der Klassenzimmer erarbeiten, all das punktgenau in die Schulen bringen und die Lehrer schulen, um die Technik tagtäglich als pädagogischen Mehrwert zu nutzen. Das war ein sehr gelungenes Projekt.

Wie läuft Ihr Geschäft momentan? Stimmt die Auftragslage?

Philipp Müller: Gut, vielleicht sehr gut. In Deutschland haben wir durch Bildungsstudien und die Corona-Krise die klare Erkenntnis gewonnen, dass viel im Bildungssektor zu tun ist. Es geht um die Gebäude, die Lehrerausbildung und um die Ausstattung der Klassenzimmer. Das ist bei der Politik angekommen mit dem Ergebnis, dass sich ein Investitionsstau, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat, jetzt auflöst. Davon profitieren wir natürlich auch. Im Bürobereich, neben Schulmöbeln und Digitalisierung unser drittes Standbein, hat sich der Trend zu flexiblerem Arbeiten verstärkt. Das Büro wird mehr und mehr ein Ort der sozialen Zusammenkunft, an dem die Firmenkultur greifbar wird. Auch das muss durch die entsprechende Möblierung unterstützt werden.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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