Badische Landesbühne

Verruchtes Paar verkörpert Dekadenz seiner Zeit

Heiner Müllers „Quartett“ entpuppte sich als alles andere als eine leichte Kost. Brillantes Spiel von Cornelia Heilmann und Matthias Strobel

Von 
Antje Bauer
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Cornelia Heilmann und Matthias Strobel zeigten über eineinhalb Stunden hinweg eine echte Meisterleistung. © Antje Bauer

Tauberbischofsheim. „Die folgende Sendung ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet“– das hätte auch über der Aufführung der Badischen Landesbühne mit Heiner Müllers „Quartett“ stehen können. Aber auch das erwachsene Publikum wurde schon am Eingang mit einem Plakat gewarnt: „Triggerwarnung! In dieser Inszenierung werden Krieg, Mord, psychische und physische Gewalt sowie sexualisierte Gewalt auf sprachlicher und darstellerischer Ebene thematisiert.“ Vorlage zu diesem 1982 in Bochum uraufgeführten Stück sind „Les Liaisons dangereuses“, die „Gefährlichen Liebschaften“, einem Roman in 175 Briefen, den P.Ch. de Laclos verfasst, und der 200 Jahre zuvor 1782 erschienen ist.

Er gilt als Hauptwerk dieser Epoche und zeichnet mit seinen Protagonisten ein Sittengemälde des ausgehenden „AncienRégime“ und den Beginn der französischen Revolution: Die Marquise de Merteuil und ihr Geliebter, der Vicomte de Valmont, gelten als eines der abgründigsten und verruchtesten Paare der Welt und sind dabei auch Vertreter eines dekadenten Adels dieser Zeit.

Der Roman, von dem Hermann Hesse einst sagte, „Unter den erotischen und gesellschaftskritischen Romanen des französischen 18. Jahrhunderts vielleicht der klügste, kühlste, unsentimentalste, literarisch und psychologisch glänzend“, wurde nicht nur mehrfach in verschiedene Sprachen übersetzt, er galt auch weiteren Kunstschaffenden als Vorlage für ihr Oeuvre.

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Von
Ralf-Carl Langhals
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Die Marquise de Merteuil, eine Intrigantin, will sich an ihrem früheren Liebhaber, der sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte, rächen. So überredet sie den Vicomte de Valmont, dessen junger naiver Braut die Unschuld zu nehmen, worauf er sie vergewaltigt. Aber der Vicomte möchte noch eine weitere Frau, die fromme, prüde Madame du Tourval, Gattin des Präsidenten – schließlich erfolgreich – verführen, da er von seinem unwiderstehlichen Charme Frauen gegenüber überzeugt ist. Am Ende aber sind alle Verlierer. So in Kürze die Romanvorlage.

Von den 14 Personen in de Laclos Briefroman, die miteinander korrespondieren oder auch nur genannt werden, schränkt Heiner Müller die Personen der Handlung auf die beiden Antagonisten ein, die Marquise und den Vicomte, einen weiteren einstigen Geliebten. Dabei lässt er die Handlung zwischen zwei Polen spielen: in einem Bunker nach dem dritten Weltkrieg, mit auf die Wand projizierter schwarz-weißer Bildfolge, die Flucht, Schmerz und Entsetzen zu thematisieren schien. Untermalt von den hämmernden Klängen von „Europa“ („In Europa stirbt man nicht“). Dann ging der Blick zurück in einen farbig gestalteten Salon des ausgehenden 18. Jahrhunderts, begleitet von „E luce da stella“ aus der Oper Tosca.

In „Quartett“ reduzieren die Marquise und der Vicomte die Liebe nur noch auf Sex und reine Körperlichkeit, hauptsächlich jedoch auf das Reden darüber. In ständigem Rollenwechsel (Merteuil spielt Valmont und die Celine, Valmont, der sich kurzfristig komplett entblößt, spielt Madame Tourvel) fechten die zwei Figuren des Stücks einen Machtkampf aus, in dem Sexualität zur Waffe wird.

Da fallen etwa Sätze wie „Die Hölle hält sich an die vernachlässigten Teile ihres Körpers“, „Ehe das Fleisch fault, hat die Seele Ausgang“ oder „Auf Ihre trockne Haut ist schon lange kein Regen mehr gefallen“. Es werden gekonnte Rhetorik und Perversion auch zum Ersatz für menschliche Beziehungen und sie werden dabei bis zu brutaler Selbstzerstörung auf die Spitze getrieben.

Dazwischen wird auch immer wieder über Religion gespottet. Und auch ein alttestamentliches Symbol als Zeichen der Verführung glaubt man zu erkennen: die Marquise, einen Apfel essend und weiterreichend an den Vicomte. Brutal wird es schließlich noch bei der Vergewaltigung – und am Ende erklingt nochCharles Trenets „La mer“. Das Meer, in dem man ertrinken kann; das Meer, in dessen Weite selbst der Stärkste, Stolzeste, Übelste fast zu einem Nichts verschwindet; das Meer, unter dessen glatter Oberfläche sich manch Drama abspielen kann.

Was sich in den knapp eineinhalb Stunden dem Publikum auf der Bühne geboten hatte, war eine Meisterleistung der beiden Akteure Cornelia Heilmann und Matthias Strobel. Nicht nur ihr Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Charaktäre und Situationen, vor allem auch die Beherrschung der gewiss nicht einfachen Textpassagen. Verdienten Applaus gab es deshalb zum Schluss.

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