Tauberbischofsheim. Wolfgang Rathert hat eine Professur für Historische Musikwissenschaft mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert und Musik der Gegenwart an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. Ihn beschäftigen Musiker und Komponisten, die in der Zeit des Nationalsozialismus Karriere machten, seit geraumer Zeit. Auch Richard Trunk, Namensgeber der Musikschule und einer Straße sowie als einstiger Ehrenbürger von Tauberbischofsheim auf der Homepage der Stadt gelistet, gehört dazu. Die FN fragten Rathert nach seiner Einschätzung zur Rolle Trunks während des Nationalsozialismus.
Wer war Richard Trunk – ein hochbegabter und hochgeschätzter Komponist, wie er sich selbst einordnet?
Prof. Dr. Wolfgang Rathert: Richard Trunk gehört zu den Komponisten der Generation um 1880, die eigentlich nicht so richtig wussten, wo sie hingehörten: zum 19. Jahrhundert, also zur klassisch-romantischen Musik, oder eher zum 20. Jahrhundert – zur musikalischen Moderne – die sich mit den Komponisten Arnold Schönberg oder Igor Stravinsky etablierten. Trunk entschied sich, zu der eher konservativen Seite zu gehören. Er war ein sehr guter Techniker und Musiker, hat gewandt komponiert, aber blieb einer ganz eingegrenzten musikalischen Sprache verhaftet, die mit den Erwartungen eines bürgerlichen Publikums harmonierte. Seine Musik sollte nicht erschrecken, sondern die Seele streicheln.
Trunk erlebte die aufgeheizte Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als Mann in den besten Jahren. Wie hat ihn das beeinflusst?
Rathert: Das Chorwesen und vor allem Männerchöre hatten in dieser Zeit der nationalen Aufrüstung eine riesige Konjunktur. Jeder deutsche Soldat bekam in seinen Tornister eine Volksliedsammlung, die von einer kaiserlich eingesetzten Kommission herausgegeben wurde. Das war auch eine Marktlücke, die Trunk entdeckte und bediente. Aus volkstümlich wurde später eben völkisch. An seiner Biografie ist interessant, dass er auch eine Phase in den USA hatte. Er leitete in New York einen Chor von emigrierten Deutschen. Es war damals nicht unüblich, dass deutsche Musiker in die USA gingen, um dort entweder dauerhaft oder zeitweise ihre berufliche Karriere fortzusetzen. Dieser Anstrich des Internationalen hat ihm genutzt, als er zurückkam, denn damit konnte er sein Renommee stärken.
War Trunk Ihrer Einschätzung nach ein glühender Nazi?
Rathert: Richard Trunk trat bereits 1931 in die NSDAP ein. Meiner Ansicht nach war er ein überzeugter Nationalsozialist. Viele dem Zentrum nahestehende Deutsche haben sich damals aus einer bestimmten Überzeugung heraus dem Nationalsozialismus verschrieben. Trunk hat das in seinem Entnazifizierungs-Verteidigungsgesprächen relativiert. Er sei unpolitisch gewesen, aber Adolf Hitler wollte die deutsche Kunst, die deutsche Musik wieder nach vorne bringen. Das sei der Grund, warum er ihn gewählt habe. Meines Erachtens war das ein Schutzargument. Trunk hatte sich vor allem in seiner 1932 in Köln gehaltenen Rede ganz klar als Nationalsozialist positioniert, der die Moderne und damit auch ihre jüdischen Vertreter bekämpfte. Man kann das schon an seinem Opus 65 nachweisen, der „Feier der neuen Front“, das er 1932 und damit vor der Machtergreifung auf Gedichte von Baldur von Schirach schrieb und „Adolf Hitler, dem Führer“ widmete.
Wie schätzen Sie dieses Werk ein?
Rathert: Man kann es nicht hören, man findet heute nicht einmal mehr die Noten. Es gibt einen Artikel in einem kritischen Buch über Musik im Nationalsozialismus aus den 90er Jahren, in dem ein paar Ausschnitte abgedruckt sind. Da kann man erkennen, dass es sich um eine konventionelle tonale und bestimmte Reflexe bedienende Musik handelt. Sie entspricht dem reaktionären Musikverständnis Adolf Hitlers und ist gleichzeitig mit der Harmonik Richard Wagners gewürzt, dem Musikgott Hitlers. Das haben viele Komponisten in dieser Zeit geschickt bedient. Die „Feier der neuen Front“ ist als Propagandawerk bis 1939 rauf und runter gespielt worden. Ein Höhepunkt war eine Aufführung vor Hitler, der zweite war in Aachen 1935 bei einem NSDAP-Gau-Fest auf dem Katschhof, die der junge Herbert von Karajan vor Tausenden von Zuhörern dirigierte.
Nach dem Untergang des Dritten Reichs gab sich Trunk äußerst devot, um nicht als Täter, sondern nur als Mitläufer eingestuft zu werden. Wie sehen Sie das?
Rathert: Trunk nennt darüber hinaus noch Namen von Menschen, die im Nationalsozialismus geschmäht oder gar verfolgt wurden und denen er geholfen habe. Das ist bislang eine Schutzbehauptung. Trunk hatte viel zu verlieren. Er hatte das Pensionsalter erreicht, und wäre er nicht als Mitläufer vierten oder geringsten Grades eingestuft worden, hätte es in irgendeiner Form ein Verfahren gegeben. Der Freispruch ist auf gar keinen Fall – auch schon unter den damaligen Kriterien – zu rechtfertigen. Das sieht man in den Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München. Trunk setzte ein Netzwerk in Gang, zu dem Mitarbeiter in den bayerischen Ministerien gehörten, die ihm halfen, die tatsächlich längere Zeit erwogene Streichung seiner Pension am Ende zu verhindern.
Das war übliche Praxis?
Rathert: Alle hatten mindestens im metaphorischen Sinn Leichen im Keller. Diese gegenseitige Erpressbarkeit, wie wir auch aus den Akten um Werner Egk und dessen Entnazifizierungsverfahren wissen, hat dazu geführt, dass sich Täter wie Trunk in einen unverdienten Ruhestand retten konnten. Trunk war zwölf Jahre lang Präsident der Münchner Musikhochschule. Das war nach der Berliner Hochschule die zweitwichtigste im Deutschen Reich. So einen Posten gab man nur jemandem, der ideologisch hundertprozentig zuverlässig war und das ausführte, was von ihm erwartet wurde. Und wir können sicher sein, dass er verantwortlich war und Schuld an der Zerstörung von Karrieren trug, also auch daran, dass Menschen ins Exil oder möglicherweise auch in den Tod getrieben wurden. Die Opferseite wird bei dieser ganzen Diskussion oft vergessen. Und es ist auch klar, dass Trunk niemals diese Position errungen hätte, wenn nicht andere 1933 hätten Platz machen müssen. Dass ein so zweitklassiger Komponist wie Trunk in eine solche Spitzenposition gelangen konnte, hat mit den politischen Verhältnissen zu tun und mit nichts anderem.
Trunk wurde 1933 zum Ehrenbürger Tauberbischofsheims ernannt. Es war damals nicht ungewöhnlich, dass hochrangige Söhne einer Stadt diese Ehrung auf Drängen von lokalen Nazi-Größen erhielten. Trotz der Diskussion in den 80er Jahren bleibt er bis heute unkommentiert in der Liste der Ehrenbürger geführt. Welchen Umgang würden Sie sich in seiner Heimatstadt mit Richard Trunk wünschen?
Rathert: Da kann ich der Stadt Tauberbischofsheim natürlich keine Ratschläge erteilen. Ich kann nur resultierend aus dem, wie andere Städte damit umgehen, ein paar Gedanken äußern. Ich glaube, es ist wichtig, dass man an die Initiative und den Protest von 1986 anknüpft. Es sollte ein öffentliches Forum geschaffen werden, in dem die Fakten, die wir heute kennen, zusammengefasst werden und eine breite Diskussion darüber eröffnet wird. Es geht nicht darum, von der Warte der Nachgeborenen aus zu moralisieren oder zu polarisieren, sondern für Aufklärung zu sorgen. Es geht aber auch nicht darum, Trunk totzuschweigen. Die Stadt Salzburg hat das sehr gut gemacht: Es wurden Kategorien für Dutzende von Straßennamen, die mit NS-belasteten Persönlichkeiten zu tun haben, erarbeitet, und man hat geschaut, wie weit die Täterschaft ging. Im Fall von Trunk wäre es zum Beispiel eine Möglichkeit, die Richard-Trunk-Straße zu belassen, aber auf einem zusätzlichen Schild zu kommentieren, dass es sich um einen schwer NS-belasteten Menschen handelt. Bei der Musikschule allerdings würde ich mir wünschen, dass man sie so bald wie möglich umbenennt. Ich finde es unerträglich, dass Kinder und Jugendliche an die wunderbare Kunst der Musik unter einem ideologisch und politisch so schwer belasteten Namen herangeführt werden.
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