Kooperation

Tauberbischofsheim: Naturerlebnis bei Rikscha-Ausfahrt

Johannes-Sichart-Haus und Nachbarschaftshilfe Mittleres Taubertal bieten Dienst für Senioren und für Menschen mit Einschränkungen an. Sie wollen Glücksmomente schenken.

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Heike von Brandenstein
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Mit der Rikscha raus in die Natur ist ein echtes Erlebnis. Das Johannes-Sichart-Haus ermöglicht das seinen Bewohnern, die Nachbarschaftshilfe ihren Klienten und allen, die nicht oder nicht mehr selbst in die Pedale treten können. © Heike von Brandenstein

Tauberbischofsheim. Einfach mal rauskommen. Für Senioren oder Menschen mit Beeinträchtigungen ist das oft leichter gesagt als getan. Wenn das Laufen schwerfällt oder der Gleichgewichtssinn nicht mehr mitspielt, kann die Fahrradrikscha eine Lösung sein.

„Es ist wunderschön, hier an der Tauber entlang zu fahren“, freut sich Elisabeth Kemmesies. Sie und ihr Mann Hans Dieter sitzen auf dem weichen hellblauen Polster der Kabine, die an der Front der Fahrradrikscha angebracht ist. Vor der gleißenden Sonne schützt sie das orangene Dach. „Meine Frau hat die Fahrt zu ihrem 85. Geburtstag geschenkt bekommen“, berichtet Hans Dieter Kemmesies.

Für Karin Böhlecke, eine von vier Einsatzleiterinnen der Nachbarschaftshilfe Mittleres Taubertal, ist die Tour mit dem Ehepaar Kemmesies ihre Jungfernfahrt als Rikscha-Pilotin. Sie ist begeistert von dem neuen Angebot, das die Nachbarschaftshilfe in Kooperation mit dem Johannes-Sichart-Haus ins Leben gerufen hat und eigentlich eine glückliche Fügung darstellt.

Wind um die Nase wehen lassen

Im Vorstand der Nachbarschaftshilfe keimte Ende 2023 die Idee auf, die Initiative des Vereins „Radeln ohne Alter“ aufzunehmen. Senioren sowie Menschen, die eingeschränkt sind und selbst nicht oder nicht mehr in die Pedale treten können, wird hier die Möglichkeit eröffnet, sich bei einer Tour in der Rikscha den Wind um die Nase wehen zu lassen.

Bei der Nachbarschaftshilfe wurde hin und her überlegt, wie ein solches Projekt gelingen könnte. Schließlich sind die dreirädrigen Pedelecs mit entsprechendem Aufbau nicht gerade billig und einen für ehrenamtliche Fahrer zugänglichen Unterstand braucht man auch. In dieser heißen Phase der Überlegungen entdeckte jemand eine an der Tauber fahrende Rikscha. Die gehöre dem Johannes-Sichart-Haus, wurde kolportiert.

Karin Böhlecke fackelte nicht lange, griff zum Hörer und rief Hausleiterin Annika Hoffmann vom Sichart-Haus an. Was dann entstand, kann als unkompliziertes, unbürokratisches und herzliches Miteinander beschrieben werden. „Frau Hoffmann hat uns die Tür sofort ganz weit geöffnet“, beschreibt Karin Böhlecke den kurzen Weg vom ersten Gespräch zur Kooperation.

Sandro Ilg, Krankenpfleger und Wohnbereichsleitung im Johannes-Sichart-Haus, hatte die Rikscha-Initiative bereits 2020 aufgegriffen. Er hatte eine Dokumentation im Fernsehen gesehen. „So etwas brauchen wir auch“, war sein erster Impuls. Er beschäftigte sich mit dem Thema und suchte Anbieter solcher Gefährte. „Ich wollte keine Rikscha, in der die Gäste hinten sitzen“, so Ilg. Seiner Meinung nach gebührt ihnen der Platz in der ersten Reihe mit freiem Blick. Bei einem holländischen Hersteller wurde er fündig.

Arbeitgeber schnell überzeugt

Seinen Arbeitgeber, die Evangelische Heimstiftung, überzeugte er schnell von seiner Idee. Einen Lastenrad-Zuschuss erhielt die Evangelische Heimstiftung vom Land Baden-Württemberg, das Gros finanzierte sie selbst. „Wir sind die einzigen, die so ein Angebot haben“, erläutert Sandro Ilg nicht ohne Stolz.

Die Kooperation ist besiegelt (von links): Ulf Schwarz, Vorsitzender der Nachbar-schaftshilfe, Annika Hoffmann, Leiterin des Sichart-Hauses, und die Fahrer Karin Böhlecke, Josef Berghofer und Sandro Ilg. © Johannes-Sichart-haus

Der Arbeitsalltag ließ und lässt es allerdings nicht immer zu, dass Sandro Ilg Senioren aus dem Sichart-Haus chauffiert. Auch Fahrer aus dem Pool der Alltagsbegleiter zum Fahren zu animieren, wie ursprünglich geplant, klappe eher selten, meint er. Die Rikscha ist schon recht wuchtig und kommt da, wo Poller in der Wegmitte angebracht sind, nicht durch. Die Strecke muss also wohl überlegt sein, die Verantwortung für die Schützlinge ist Einigen einfach zu groß.

Fahrtest in Bonn absolviert

Deshalb kam die Anfrage der Nachbarschaftshilfe durchaus gelegen und die Kooperation zustande: Die Rikscha steht weiterhin im Johannes-Sichart-Haus und ist für die Piloten zugänglich. Derzeit sind das Sandro Ilg, der ausschließlich Sichart-Haus-Bewohner fährt, sowie Josef Berghofer und Karin Böhlecke von der Nachbarschaftshilfe. Berghofer und Böhlecke haben eine eintägige Einweisung einschließlich praktischer Übungen und Fahrtest in Bonn absolviert. Außerdem haben sie vor Ort geübt, bevor sie die erste Fahrt mit Passagieren antraten.

„Jeder kann sich anmelden, auch wenn wir ihn als Nachbarschaftshilfe nicht betreuen“, so Karin Böhlecke. Einzige Voraussetzung: Der Passagier kann nicht mehr selbst Fahrrad fahren. Das Angebot der Nachbarschaftshilfe ist kostenfrei, Spenden allerdings willkommen. Die beiden Kooperationspartner führen einen gemeinsamen Kalender, in den sie ihre Fahrten eintragen, damit sie sich nicht in die Quere kommen. Auch die Übernahme von Fahrten für das Sichart-Haus durch Piloten der Nachbarschaftshilfe ist vorgesehen, wenn im Seniorenheim selbst Bedarf aber kein Fahrer da ist. Selbst in der Fußgängerzone darf die Rikscha – in Schrittgeschwindigkeit – fahren. Eine entsprechende Genehmigung hat die Stadt erteilt.

An der Tauber entlang

Die Jungfernfahrt von Karin Böhlecke führt das Ehepaar Kemmesies zunächst auf der rechten Tauberseite nach Dittigheim und auf der linken wieder zurück in die Kreisstadt. Dort wurde sich zur Feier des Tages noch ein Eis gegönnt. Aufgegangen ist der Plan der Initiatoren allemal, wie die Freude des Paares zeigt. Er lautet: „Wir möchten Glücksmomente schenken.“

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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