Integration

Tauberbischofsheim: Junge Migranten auf dem Weg ins deutsche Berufsleben

Unterschiedlicher könnten diese drei nicht sein. Doch sie haben alle dasselbe Ziel: in Deutschland ein besseres, sichereres Leben zu führen. Basma Eldai, Nour Hashem und Krisztian-David Szabo lernen fleißig, um sich schnell in ihrer neuen Heimat zu integrieren.

Von 
Sabine Holroyd
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Tauberbischofsheim. Es ist noch früh am Morgen, als die FN sich mit Basma Eldai aus dem Sudan, Nour Hashem aus Syrien und Krisztian-David Szabo aus Rumänien in der Kaufmännischen Schule in Tauberbischofsheim treffen. Basma Eldai ist als Erste da, auf dem Tisch liegen ihre Schulhefte. Sie büffelt bei jeder Gelegenheit.

Wie ihre Mitstreiter absolvierte auch sie zuerst das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen (Vabo) an der Kaufmännischen Schule in Tauberbischofsheim (KSTBB), um dort Deutsch zu lernen. Danach wechselte sie auf die Berufliche Schule für Ernährung, Pflege und Erziehung (EPE) in Bad Mergentheim, wo sie den einjährigen Bildungsgang AVdual (Ausbildungsvorbereitung dual) belegt. Wenn sie damit fertig ist, hat sie ein dem Hauptschulabschluss gleichwertiges Zertifikat in der Tasche.

Da sie gute Leistungen zeigt und beruflich weiterkommen will, möchte die 21-Jährige direkt anschließend im nächsten Schuljahr ihre Mittlere Reife an der EPE ablegen. Momentan absolviert sie ein Praktikum in der Rats-Apotheke in Bad Mergentheim. „Ich erledige dort verschiedene einfache Aufgaben, es gefällt mir sehr gut“, sagt die schüchterne junge Frau in gutem Deutsch.

Auch der Syrer Nour Hashem ist sehr ehrgeizig. Bevor er nach Deutschland kam, konnte er in seiner Heimat nur drei Jahre lang die Schule besuchen. Im September 2020 startete er in der Vabo der Kaufmännischen Schule Tauberbischofsheim und besucht jetzt das AVdual an der benachbarten Gewerblichen Schule (GTB). Im ersten Schulhalbjahr absolvierte er zuerst ein Praktikum im Kfz-Meisterbetrieb Stefan Beyer in Wachbach, dann im Sichart-Haus in Tauberbischofsheim.

Im September würde er gerne seine Lehre bei Essers Auto & Reifen-Service in Tauberbischofsheim beginnen. Der 20-jährige Strahlemann liebt Autos, deshalb möchte er unbedingt Kfz-Mechatroniker werden, wie er den FN ebenfalls in sehr gutem Deutsch versicherte. Um die Fachbegriffe im Autobereich zu erlernen, hat er sich extra ein Buch mit „Kfz-Vokabeln“ zugelegt.

Unterrichtsstoff schon bekannt

Und auch Krisztian-David Szabo, der die rumänische und ungarische Staatsangehörigkeit besitzt, legt sich so richtig ins Zeug. Der 18-Jährige steuert im AVdual 2 gerade die Mittlere Reife an und wundert sich etwas über den Unterrichtsstoff in Mathematik: „Die quadratischen Gleichungen, die wir gerade durchnehmen, hatte ich in Rumänien schon in der siebten Klasse.“ Zum Treffen sind auch Tanja Werr, Lehrerin an der KSTBB, Udo Mader, Abteilungsleiter der Kaufmännischen Berufsschule und Vabo, Jörg Schwab, Abteilungsleiter an der Gewerblichen Schule Tauberbischofsheim, sowie Karin Aeckerle, die AVdual-Begleiterin für die Gewerbliche Schule in Tauberbischofsheim gekommen.

Im Gespräch mit den FN wollen sie nichts beschönigen, denn Probleme gibt es – wie an jeder anderen Schule auch – immer wieder.

Sie alle eint eine gesunde Mischung aus Empathie und Realismus. Udo Mader spricht von der „gesellschaftlichen Aufgabe, die uns gestellt wird.“ Er sagt: „Meine Kollegen gehören zu denen, die diese Aufgabe erfüllen. Keiner von ihnen hat jemals vorher etwas in dieser Form gemacht.“ Tanja Werr unterrichtet seit 2018 in der Vabo-Klasse an der KSTBB und stellt rückblickend fest: „Am Anfang habe ich viel zu viel vorausgesetzt. Etliche Schüler wissen gar nicht, wie man sich organisiert, wie man beispielsweise einen Kalender führt, oder dass man sich etwas aufschreibt. Man hat jedoch seinen Stundenplan und muss in einem Schuljahr den Stoff vermitteln. Doch wie soll das klappen, wenn es an solch grundlegenden Dingen mangelt?“ Um auch noch das Lernen zu lehren, fehlt das Personal, und die Klassen sind für eine individuelle Betreuung zu groß.

„Die Planung ist sehr schwierig, denn man weiß ja nicht, wie viele Flüchtlinge neu dazukommen werden“, sagt Schulleiter Robert Dambach. Er spricht von einer großen Herausforderung für seine Lehrkräfte, von einer sehr anspruchsvollen, intensiven Aufgabe.

Durch den Zustrom der Kriegsflüchtenden aus der Ukraine wurde die Lage natürlich noch fordernder. Außerdem kommen viele Geflüchtete auch „unterjährig“ im Main-Tauber-Kreis an und müssen mitten im Schuljahr in die Klassen integriert werden.

Heterogene Klassen

Ein weiteres Problem: Die Lehrkräfte in der Vabo an der Kaufmännischen Schule haben mit völlig unterschiedlichen Bildungsebenen ihrer Schützlinge zu kämpfen. Tanja Werr sagt: „Manche haben kaum eine Schulbildung, viele können unsere lateinischen Buchstaben nicht gut lesen und schreiben. Manche Ukrainer dagegen haben Abitur. Da steht man einer sehr heterogenen Klasse gegenüber.“ In diesem Schuljahr gibt es zwei Vabo-Klassen: Als oberstes Ziel gelten das Erlernen der Sprache und die Aussicht, am Schuljahresende das Deutsch-Zertifikat auf Niveau A2 oder gar B1 zu erlangen.

Nach dem Abschluss der Vabo geht es dann im Regelfall weiter in das AVdual 1, wo sich die Schüler einen ganzen Tag der Woche im Praktikum befinden. An den restlichen vier Tagen erfolgt theoretischer sowie auch fachpraktischer Unterricht bis jeweils 14.45 Uhr. Nach einem Jahr können sie dort ihren Hauptschulabschluss ablegen. „Das“, sagt Karin Aeckerle, die AVdual-Begleiterin, „schaffen sie in der Regel auch, sofern sie regelmäßig in die Schule kommen.“ Karin Aeckerle verkörpert diese Mischung aus Empathie und dem Blick auf die nicht immer schöne Realität besonders deutlich. Sie sagt: „Im AVdual kommen alle zusammen – die meisten ohne einen Schulabschluss. Viele wollen unbedingt weiterkommen und lernen, doch manche sind schwer zu motivieren. Etliche haben ein problematisches Zuhause oder kamen völlig auf sich alleine gestellt aus Krisenregionen zu uns. Und diese Leute sind dann alle miteinander in einer Klasse. Das ist eines der Probleme, die sich den Lehrern stellen.“ Und die große Zahl von fast 20 Schülern im AVdual 1 mache eine individuelle Betreuung nicht leichter.

Viele wollen noch Kind bleiben

Karin Aeckerles Erfahrung: „Diese Schüler brauchen jemanden, der sie an die Hand nimmt und gegebenenfalls auch mal in den Hintern tritt.“ Sie erzählt: „Der Fokus liegt auf der Berufsorientierung. Gleich nach dem Erwerb der deutschen Sprache geht es hauptsächlich darum. Vielen fällt das erste halbe Jahr jedoch schwer, sie wollen noch Kind bleiben und gar nicht über später nachdenken müssen. Im zweiten Halbjahr wird es besser, sie öffnen sich mehr und wollen sich ausprobieren. Die Firmen sind in der Regel alle bereit, Praktikumsplätze anzubieten. Es gibt aber auch Schüler, die überhaupt keine Lust haben. Da“, sagt sie und lacht, „besteht dann die Herausforderung darin, ihre Ausreden aufzudecken.“ Karin Aeckerle ist jetzt das dritte Jahr mit im Boot und freut sich, „dass am Ende des Schuljahrs dann doch alle ,versorgt’ sind – außer ein, zwei, die gar nicht wollen“.

Nach dem AVdual 1 können die jungen Menschen dann wie Nour Hashem eine Ausbildung beginnen. Karin Aeckerle bezeichnet ihn als „außergewöhnlich guten Schüler“: „Er hat sich richtig durchgekämpft, will es unbedingt hier in Deutschland schaffen.“ Wer dann gerne noch weitermachen möchte, kann die zweijährige Berufsfachschule, die dem AVdual-Prinzip unterliegt, besuchen und dort den Realschulabschluss erwerben. Diesen Weg beschreitet Krisztian-David Szabo. Er geht auf die Zweijährige Berufsfachschule Metall AVdual in der GTB. Tanja Werr hat die Erfahrung gemacht, dass die Schüler auch erst einmal lernen müssen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und Eigeninitiative zu ergreifen – zu merken, „ihnen wird nicht alles vorgekaut“.

Karin Aeckerle sieht darin auch eine große Herausforderung für die Pädagogen: „Sie werden schließlich als Lehrer ausgebildet und nicht als sozialpädagogische Kräfte.“ Jörg Schwab und Udo Mader wissen um die Leistung, die die Lehrkräfte, aber auch die Schüler an jedem einzelnen Tag erbringen. Jörg Schwab bringt es auf den Punkt: „Die Schüler müssen in nur einem Jahr ihren Hauptschulabschluss machen. Parallel dazu laufen die Praktikumsphase und die berufliche Orientierung, weil der Übergang in die Ausbildung nach dem Motto ,Kein Abschluss ohne Anschluss’ fließend erfolgen soll. Da ist eine intensive Betreuung wichtig.“ Er stellt heraus, dass diese Aufgaben nur mit motivierten Lehrkräften sowie der Unterstützung der AVdual-Begleiterin Karin Aeckerle, dem Schulsozialarbeiter Lukas Frick und Tanja Werr in ihrer zusätzlichen Rolle als Beratungslehrerin für die GTB zu bewältigen sind.

Gewaltige Zusatzaufgabe

Udo Mader meint: „Die Migranten kommen zu uns, und die Schulen haben ihren Auftrag entsprechend den Vorgaben zu erfüllen. Die Politik gibt die Rahmenbedingungen vor, während die Schulen selbst dafür sorgen müssen, diese gewaltige Zusatzaufgabe zu meistern. Gerade bezogen auf die Analphabeten würden wir uns mehr Unterstützung wünschen. Eine vom regulären Unterricht ausgegliederte Alphabetisierungsgruppe würde sehr helfen, alle Schüler besser und schneller weiterzubringen.“ Er betont die aktuell zwar kostenintensive, jedoch langfristig gut angelegte Investition in Bildung, von der die Gesellschaft künftig wirklich profitieren könne, und sinniert weiter: „Man muss es sich einmal vorstellen, da kommen Leute im Alter zwischen 16 und 19 Jahren auf Irrwegen hierher – teilweise haben sie Traumata erlitten – und müssen ganz schnell Deutsch lernen. Was wäre, wenn ich diese Person wäre? Schickt mich mal nach Afghanistan, wo ich dann zwei Jahre Zeit habe, die Sprache zu erlernen und eine Berufsausbildung zu beginnen. Das ist Wahnsinn, was da verlangt wird.“

„Wir vollbringen einen Spagat“

Auch wenn ihnen die Arbeit mit den Geflüchteten viel abverlangt, sehen alle Beteiligten das Erfüllende an ihrer Aufgabe: „Natürlich vollbringen wir ständig einen Spagat. Aber wenn die Schüler die Kurve gekriegt haben, wenn sie wissen, worum es geht und sich richtig ’reinknien, um in Deutschland Fuß zu fassen und mit ihrer Arbeitskraft der Gesellschaft etwas zurückzugeben, dann macht diese Tätigkeit sehr viel Freude.“

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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