Tauberbischofsheim. Nichts Neues gebe es in der Causa Richard Trunk: So lautete die Begründung für den Antrag in der Gemeinderatssitzung vom 23. Juli, in dem es um die Umbenennung der Richard Trunk Musikschule in Städtische Musikschule ging. Mit 18 zu fünf Stimmen wurde dieser Antrag zur Geschäftsordnung angenommen und der Tagesordnungspunkt gestrichen.
Die Überschrift im FN-Artikel war als Frage formuliert, ob es wirklich nicht Neues gebe. In etlichen Leserbriefen, die folgen sollten, wurde auf neue Erkenntnisse verwiesen, die auch benannt wurden. Darüber hinaus gibt es Mutmaßungen um angebliche Rückzahlungsforderungen - von wem auch immer - und darüber, dass die Trunk‘schen Anwesen am Ammersee und in München einst Eigentum jüdischer Bürger gewesen sein könnten.
Dies wurde bereits mehrfach geprüft – von zwei Bürgermeistern und einer Bürgermeisterin. Das Ergebnis: Die Festsetzungen im Testament sind erfüllt, was Nachlass und Pflege des Erbes anbelangt. Trunks Erbe ist in die 1999 gegründete Bürgerstiftung geflossen, die ohne Zweifel Gutes tut. Sie unterstützt Kinder im musischen Bereich, finanziert Instrumente, nimmt Geld in die Hand, um dem Nachwuchs das Schwimmenlernen zu ermöglichen, fördert Kunst und Kultur, das Ehrenamt und vieles mehr.
Bürgerstiftung schafft mit Trunks Vermögen Mehrwert
Einen Mehrwert schaffen will diese Stiftung für die Bürgerinnen und Bürger. Dass die monetäre Erbmasse Richard Trunks und noch fließende Erlöse aus Vermietung hierfür ein wichtiger Grundstock waren und sind, sollte den Tondichter posthum freuen, obgleich es keine Wiedergutmachung für seine bereits sehr frühe Begeisterung für den Nationalsozialismus, sondern eher eine Reminiszenz an seine Heimatstadt darstellt.
Richard Trunk ist ein Kind dieser Stadt. Hinter diesen Satz ist ein Punkt zu machen, denn das ist Fakt. Die Frage, die sich allerdings stellt, ist, ob ein Mann, den die für die Entnazifizierung eingerichtete Spruchkammer zwar „nur“ als Mitläufer vierten Grades einstufte, Namensgeber einer Bildungseinrichtung wie einer Musikschule sein kann. Es geht um die Aspekte Schuld und Verantwortung. Welche Schuld hat Trunk auf sich geladen, selbst wenn er nur mit Worten und Tönen agierte? Ohne Frage sind Kunst und Kultur prägend für eine Gesellschaft. Sie spiegeln den Zeitgeist, die politische und gesellschaftliche Situation wider. Wenn sie keinen Einfluss hätten: Warum sonst wurden Kunst und Kultur politisch immer wieder für propagandistische Zwecke missbraucht oder aber unterdrückt und verboten?
Richard Trunk hatte sich bereits vor dem 1. November 1931- dem Datum seines Eintritts in die NSDAP mit der Mitgliedsnummer 659692 - als ein der nationalistisch-völkischen Ideologie Zugewandter zu erkennen gegeben. Es war eine Strömung, die den Versailler Vertrag als ungerecht und als von den Alliierten aufgebürdete Schmach empfand. 1929 bejubelte Trunk in seinem Opus 58 Nummer 1 mit dem Titel „Die Fessel zersprang“ laut Verlagsannonce die „Rheinlandräumung in einem wuchtigen Freiheitsgesang“.
Bei Parteieintritt kein junger Heißsporn mehr
Durch seinen frühen Eintritt in die NSDAP noch vor der sogenannten Machtergreifung Hitlers 1933 galt er als „Alter Kämpfer“. Trunk war bei seinem Parteieintritt kein junger Heißsporn mehr, sondern zählte 51 Jahre. Als Grund für den Parteieintritt schieb er im Mai 1945: „Was mich später veranlasste, der NSDAP als Mitglied beizutreten, war lediglich der Umstand, dass Hitler immer wieder und mit überzeugender Begeisterung für die deutsche Kunst und Musik in einem bisher ungekannten Maße einzutreten versprach, wodurch er ja auch gerade die Künstler besonders zu kaptivieren wusste.“
Dem 1934 zum Präsidenten der Staatlichen Akademie der Tonkunst in München berufenen Trunk dürfte allerdings mehr als klar gewesen sein, dass sich nur bestimmte Künstler von Hitler haben „kaptivieren“ (für sich gewinnen) lassen. Die Werke anderer Komponisten wie Alban Berg, Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky oder Kurt Weill wurden als „entartet“ verunglimpft, viele jüdische oder halbjüdische Musiker wurden ermordet oder retteten sich ins Exil.
Nachweislich für Kollegen eingesetzt?
Einer von denen, die ihre Stellung verloren, war der Komponist, Pianist und Musikpädagoge Walter Braunfels, der zu Trunks Kölner Zeit die dortige Musikhochschule leitete. Er habe sich für Braunfels, der nach nationalsozialistischer Lesart als Halbjude galt, eingesetzt, schrieb Trunk selbst 1945 an den Staatsminister für Unterricht und Kultus, Dr. Hipp, in München. Dr. Sebastian Vaupel, der über Walter Braunfels geforscht hat, druckte in einem 2024 erschienenen Buch einen Brief Trunks an Braunfels nach dessen Entlassung 1933 ab, indem es heißt, dass er selbst als Nationalsozialist nichts für Braunfels habe tun können. Ob er es versucht hat, ist nicht bekannt. Vaupel belegt allerdings mit Quellen aus den Jahren 1933 und 1942, dass Braunfels augenscheinlich nicht gut auf Trunk zu sprechen war.
Es gibt seit 1986 durchaus neue Erkenntnisse in der Causa Trunk und seither auch eine veränderte historiografische Einordnung.1987 verfasste der damalige Tauberbischofsheimer Hauptamtsleiter Karl Withopf einen Aufsatz zu Richard Trunk und widmete sich seinen Aktivitäten während des Nazi-Regimes. Der Musikwissenschaftler Fred K. Prieberg bezeichnete diese Auseinandersetzung Withopfs mit Trunk in einem online verfügbaren „Handbuch Deutsche Musik 1933-1945“ von 2004, zweite Auflage 2009, so: „In einer maschinenschriftlichen Studie ,Richard Trunk, der wichtigste Chorkomponist des Nationalsozialismus?‘ bemüht sich – bar jeder Kenntnis der politischen Musikgeschichte, aber mit Relativierung und Verharmlosung – der pensionierte Stadtoberamtsrat Karl Withopf in Tauberbischofsheim um politische Freisprechung Trunks“.
In den 80ern wara noch kein Internet verfügbar
Zu bedenken ist, dass es 1986 oder 1987, als Karl Withopf auf Spurensuche ging, praktisch noch kein Internet gab. Um in historischen Quellen zu forschen, war es unabdingbar, vor Ort in Archive, Standesämter oder Staatsbibliotheken zu gehen. Eine durchaus zeitaufwendige und mühsame Arbeit.
Derzeit verfasst Dr. Tobias Reichard, Leiter des Ben-Haim Forschungszentrums München, den Eintrag über Richard Trunk für das Referenz-Lexikon „Musik in Geschichte und Gegenwart“ (MGG). Die FN fragten ihn nach neuen Quellen. Reichard nannte etliche Zeitungsartikel und Briefe sowie das 2005 von Stephan Schmitt herausgegebene Buch „Geschichte der Hochschule für Musik und Theater München von den Anfängen bis 1945“. Schmitt selbst schreibt das Kapitel „Die Staatliche Hochschule für Musik – Akademie der Tonkunst im Nationalsozialismus“.
Dort heißt es zu dem bereits erwähnten Aufsatz von Karl Withopf: „Da er als Replik auf Pressemeldungen angelegt ist, die Protest gegen die Aufführung von Trunks Werken im Rahmen eines Chorwettbewerbs im Jahr 1986 anmelden, ist sein apologetischer Charakter (rechtfertigender Ansatz, Anmerkung der Redaktion) unvermeidlich.“
Schon früh an Hitler-Aufrug beteiligt
Schmitt führt weitere Fakten an, die vor der nationalsozialistischen Machtergreifung belegt sind. Damals war Trunk an der Kölner Musikhochschule tätig und beteiligte sich Anfang April 1932 an einem Hitler-Aufruf mit den Worten: „Ich glaube an Adolf Hitler und an seine Sendung! Ich glaube an ihn, den willensstarken Führer, der diese gewaltige nationale Bewegung geschaffen und dadurch Millionen von deutschen Volksgenossen wieder einen neuen Lebensinhalt gegeben hat. Ich glaube an ihn, den einzigartigen Menschen, als Inbegriff wahrer Herzensgüte, echter Gesinnungstreue und seltener Charaktergröße. Ich glaube an Adolf Hitler! Er ist vom Schicksal berufen, Deutschland wieder einig, frei und glücklich zu machen.“
Für seine Berufung zum Präsidenten der Münchner Akademie für Tonkunst war Trunks frühe NSDAP-Mitgliedschaft für Schmitt „ohne Zweifel mit ausschlaggebend“, er habe sie mit Verweis darauf gar vorangetrieben. Zur Amtsführung selbst stellt der Autor fest, dass ehemalige
Studenten ihm bescheinigt hätten, dass Trunk ein guter Lehrer gewesen sei, der sich um ihre Belange gekümmert und Partei-Interessen nicht demonstrativ vertreten habe. Schmitt merkt allerdings auch an, dass diejenigen, die ihm später „Persilscheine“ ausstellten, von Trunk einst eingestellt oder befördert worden waren.
Bekenntnis zu „rassischen Grundelenemten“
Schmitts Einschätzung über die propagandistischen Kompositionen Trunks und seine auch schon vor 1933 belegten Äußerungen sehen allerdings weniger mild aus. Allein Trunks Brief an Ernst Röhm vom März 1933 oder seine Antrittsrede in München im September 1934 zeugen von seiner nationalsozialistischen Gesinnung. In letzterer heißt es unter anderem: „Wir, die kulturellen Träger dieses neuen Staates, ob Wissenschaftler oder Künstler, haben […] die Aufgabe und die Pflicht, diese jungen Menschen zu erfassen, zu formen und zu bilden im Sinne unserer nationalsozialistischen Weltanschauung. Fachliches Wissen und Können selbstverständlich in allen Ehren, aber es muß getragen sein von dem Geist unserer gewaltigen Bewegung, muß verankert sein in den aus völkischen und rassischen Grundelementen gewonnenen Erkenntnissen unserer großen Zeit.“
Viele Zitate aus Reden oder Berichte in Zeitungen, die erst nach 1986 bekannt wurden, gibt es über Richard Trunk. Etliches wurde aber auch zerstört oder ist verloren, wie Stephan Schmitt feststellt. Dass es nichts Neues in der Causa Trunk nach 1986 gibt, stimmt deshalb nicht. Von Richard Trunk selbst, der nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgezogen lebte und sich in bester Seelage weiterhin dem Komponieren widmete, ist derzeit allerdings keine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und seiner damaligen Überzeugung und Rolle außer dem Rechtfertigungsschreiben im Zuge der Entnazifizierung bekannt.
Relativierung mit Blick auf die Zeiten
Fred K. Prieberg hat im November 1961 bei Trunk persönlich nach dem Chorwerk „Feier der neuen Front“ angefragt. Er erhielt folgende Antwort: „[…] das von ihnen gesuchte Chorwerk a cappella ,Feier der neuen Front‘, das ich vor rund 30 Jahren komponiert habe – der Text war mir damals zugeschickt worden – besitze ich selbst schon lange nicht mehr. In jenen turbulenten Zeiten nach 1933 haben bekanntlich viele Dichter und Komponisten spontan und ad hoc auch mal ein Stück geschrieben, das man heute natürlich nur noch aus der Sicht und der politischen Gegebenheit jener Zeit heraus wird verstehen können. Denn daß man damals in Wirklichkeit einem unseligen Irrtum unterlegen war, zu dieser Erkenntnis ist nachher wohl jeder gekommen - der eine früher, der andere später[…].
Wie also vorgehen in Trunks Geburtsstadt mit diesem Sohn der Stadt? Mit der Annahme des Komponisten-Erbes war einst die Idee einhergegangen, Symposien über sein kompositorisches Werk ins Leben zu rufen, was allerdings nie geschah. Ein Symposium über die Person Richard Trunk mit entsprechender Expertise, der Offenlegung sämtlicher Quellen und einer sachlichen Diskussion könnte zur Meinungsbildung bei den Tauberbischofsheimern beitragen, das angestaubte Deckmäntelchen des Verhüllens lüften und einen offeneren Umgang mit der Causa Trunk ermöglichen.
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