Krieg in der Ukraine

Tauberbischofsheim: Gebürtige Ukrainer fürchten um das Leben ihrer Verwandten und Freunde

Der Krieg in der Ukraine macht wohl jeden fassungslos. Gebürtige Ukrainer in Deutschland fürchten um ihre Verwandten und Bekannten. Ein junger Tauberbischofsheimer lebt nun in großer Sorge um seinen Opa und seine Freunde.

Von 
Sabine Holroyd
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Der Krieg in der Ukraine bringt unendliches Leid über die Menschen dort – und versetzt ihre Verwandten und Freunde in der ganzen Welt in große Sorge. © dpa

Tauberbischofsheim. Der junge Mann, mit dem die FN am Freitag sprachen, ist in Deutschland geboren und in Tauberbischofsheim aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus der West-Ukraine. Dort lebt sein 79-jähriger Großvater auch heute noch. Außerdem hat der Mann, der seinen Namen nicht veröffentlicht haben möchte, in der gesamten Ukraine und in Russland Freunde. Seit der Krieg ausgebrochen ist, steht er in ständigem Kontakt mit ihnen und versucht zu helfen, wo und wie es nur geht.

„Mein Opa will dort nicht weg“

„Mein Opa ist 79 und lungenkrank“, berichtete er im Telefongespräch mit den FN. „Ich habe ihm angeboten, ihn an der ungarisch-ukrainischen Grenze abzuholen und in Sicherheit zu bringen. Seine Frau – er ist in zweiter Ehe verheiratet – würde ihn ziehen lassen. Doch er möchte seine Heimat genauso wenig verlassen wie sie. Beide sind sehr gläubig und beten viel. Was kommt, das kommt, ist ihre Auffassung.“

Den Informationen des Tauberbischofsheimers zufolge dürfen seit Donnerstagabend nur noch Frauen und Kinder die Grenze nach Ungarn passieren.

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Männer als Kämpfer gebraucht

An der Grenze zu Polen würden die Zollbeamten keine männlichen Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahre mehr ausreisen lassen. Denn die, so der junge Mann, würden als Kämpfer gebraucht.

Das ist auch der Grund, warum einer seiner Freunde nach einem Familienurlaub in Österreich vorerst nicht mehr in die Ukraine zurückkehren will.

„Er war früher in der Armee. Sobald er ukrainisches Territorium betritt, wird er automatisch eingezogen. Nun hat er mich gefragt, ob ich ihm bei der Suche nach einer Unterkunft in Tauberbischofsheim helfen kann.“ Erst vor zwei Wochen hatte ihn ein weiterer Freund in Tauberbischofsheim besucht.

Niemand habe damit rechnen können, dass der Krieg, der eigentlich schon seit 2014 schwelt, nun so plötzlich und mit aller Gewalt losgetreten werde.

Von seiner älteren Schwester, die noch in der Ukraine zur Welt kam und heute ebenfalls in Deutschland lebt, hat er erfahren, dass die flüchtenden Menschen aus Richtung Kiew in kilometerlangen Staus stehen: „Die Familie eines Kollegen ist am Donnerstagnachmittag in Kiew losgefahren. Bei einem Durchschnittstempo zwischen 20 und 40 Stundenkilometern waren sie am Freitagmorgen nur 350 Kilometer weit gekommen.“

Flüchtende sind willkommen

Der Tauberbischofsheimer erwähnt aber auch die große Hilfsbereitschaft der Ukrainer. Die Menschen im Westen des Landes bereiten sich auf eine große Flüchtlingswelle aus dem Osten vor, richten Wohnungen und leerstehende Gebäude her.

Bürger aus Cherson im Süden aber kommen seinen Informationen zufolge schon gar nicht mehr fort: „Die russischen Militärposten dort lassen keinen mehr ’raus.“

Manche aber wollen auch gar nicht weg: „Ein Freund möchte seine Frau und seinen kleinen Sohn nach Europa in Sicherheit bringen. Seine Frau will ihn aber nicht alleine zurücklassen. Vielen ist diese ,Rette sich, wer kann’-Mentalität fremd, für sie zählt der Zusammenhalt viel mehr. Und andere, wie mein Opa, bleiben schlichtweg aus Überzeugung dort.“

Was ihm Hoffnung macht, sind Erzählungen über russische Soldaten, die aus ihren Panzern geflüchtet seien, oder Bilder von Menschen, die in Moskau und St. Petersburg gegen den Krieg demonstrieren und dabei riskieren, verhaftet zu werden.

„Das Schönste wäre ein Krieg, an dem keiner teilnimmt“, sagt der junge Mann im Gespräch mit den FN. Russland und die Ukraine waren früher ein Land, heute seien es „zwei Brüder“.

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lsw
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Dieser Krieg sei kein Krieg zweier Völker, sondern nur den territorialen Interessen Putins geschuldet. Ein Freund aus Moskau schrieb ihm: „Das Schlimmste daran ist, dass sich nun zwei Brüder streiten.“

Und wie so oft leide das einfache Volk. „Weder in Russland noch in der Ukraine führen die Durchschnittsbürger eine super Existenz“, weiß er.

Preise durch Corona explodiert

Das Leben dort sei schon durch Corona schwer genug gewesen, die Preise etwa wären extrem gestiegen. Fleisch sei in der Ukraine beispielsweise noch teurer als in Deutschland. Sein Großvater, früher ein Elektroingenieur, könne von seiner Rente gerade einmal die Gasrechnung bezahlen.

Gemüse und Obst, das er im Sommer in seinem Garten erntet, helfen ihm und seiner Frau über den Winter.

„Luxus kennen die meisten Menschen dort nicht.“

Hilfskonvois lebenswichtig

Deshalb findet er es auch so wichtig, dass die notleidende Bevölkerung frühzeitig durch Hilfskonvois aus dem Westen versorgt werde.

Und er hofft, dass eben dieser Westen „Feuer nicht mit Feuer bekämpfen“ werde.

„Gott sei Dank haben sich unsere Eltern damals entschlossen, ein neues Leben in Deutschland anzufangen“, sagt er nachdenklich.

„Wären wir noch dort, würde ich in diesem Krieg jetzt als Kanonenfutter dienen.“

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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