Welttag für seelische Gesundheit

Tagesstätte in Tauberbischofsheim: „Bei uns muss niemand die Seele zeigen“

Der Verein für offene Psychiatrie bietet im Main-Tauber-Kreis niederschwellige Unterstützung für psychisch kranke Menschen.

Von 
Heike von Brandenstein
Lesedauer: 
Geduld ist beim Tausender-Puzzle gefragt. Derzeit beschäftigen sich die Besucher der Tagesstätte des Vereins für offene Psychiatrie mit Spielen, weil Aufträge aus der Industrie fehlen. © Heike von Brandenstein

Main-Tauber-Kreis. Draußen vor der Tür sitzen zwei Männer und unterhalten sich über Politik, im großen Gemeinschaftsraum steht Spielen auf dem Programm. „Momentan merken auch wir die wirtschaftliche Krise“, berichtet Sozialpädagogin Andrea Geier. Eigentlich würde der Verein für offene Psychiatrie lieber Arbeitsmöglichkeiten offerieren, weil diese auch von den Besuchern mehr geschätzt werden als einfach nur Freizeitangebote.

Der 10. Oktober ist jährlich der Welttag der seelischen Gesundheit. Ausgerufen wird er von der World Federation for Mental Health (WFMH) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er soll auf die psychische Gesundheit von Menschen aufmerksam machen, Informationen über psychische Krankheiten zugänglich machen und die Solidarität mit psychisch Kranken und ihren Angehörigen ausdrücken. 2025 steht er unter dem Motto „Lass Zuversicht wachsen – Psychisch stark in die Zukunft“.

Soziale Kontakte und Tagesstruktur finden

In Baden-Württemberg gibt es 105 Tagesstätten für psychisch kranke Menschen, im Main-Tauber-Kreis sind es zwei – eine in der Tauberbischofsheimer Goethestraße 2 und eine in der Bad Mergentheimer Probsteistraße 12. Beide Tagesstätten werden von der gemeinnützigen Gesellschaft Verein für offene Psychiatrie (VOP) betrieben. „In den Tagesstätten bauen Menschen mit einer psychischen Erkrankung untereinander soziale Kontakte auf und mit Unterstützung der Fachkräfte oft auch ein Netzwerk, das sie in Zeiten psychischer Krisen auffängt und ihnen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht“, so VOP-Geschäftsführer Maximilian Uihlein.

Diese beiden Frauen vertreiben sich die Zeit bis zum Mittagessen, das von Erika Kruck frisch zubereitet wird, mit eine Runde Rummikup. © Heike von Brandenstein

Er ist froh über das gute Verhältnis zum Amt für soziale Sicherung, Teilhabe und Integration beim Landratsamt, das die niederschwellige Arbeit des VOP schätzt und sehr wohl weiß, dass kostenintensive Maßnahmen so durchaus vermieden werden können. „Tagesstätten wirken weit über den Besuch der Einrichtung hinaus, wenn sich betroffene Menschen zum Beispiel am Wochenende zu Aktivitäten verabreden oder gegenseitig anrufen, wenn sie Hilfe benötigen“, sagt Maximilian Uihlein.

Einfach und komplett unbürokratisch ankommen

Seine Kollegin Andrea Geier, die bereits 25 Jahre in der Tagesstätte arbeitet, bestätigt das. „Jeder, der im Main-Tauber-Kreis wohnt, kann zu uns kommen. Er braucht keinen Antrag, muss keine Formulare ausfüllen und nicht einmal eine Diagnose vorlegen.“ Der Tag starte mit einem gemeinsamen Frühstück, was gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen einen Anreiz darstelle, morgens aufzustehen und sich auf das erste Gemeinschaftserlebnis zu freuen. „Der Einsamkeit entgegenwirken und soziale Kontakte ermöglichen, sind wichtige Funktionen der Tagesstätte“, so die Sozialpädagogin.

Eine Besucherin formuliert das so: „Ich bin froh, dass es eine Anlaufstelle gibt, wo ich erfahre, dass ich nicht allein mit meinen Erfahrungen und der psychischen Erkrankung bin. Hier gelingt es mir, mich nicht dauernd mit mir selbst zu beschäftigen. Ich habe Kontakt zu anderen Menschen, hier wird zusammen gelacht, zusammen gekocht und ich kann kreativ sein.“ Eine andere meint: „Bevor ich in die Tagesstätte kam, war ich lange allein zuhause. Jetzt bin ich regelmäßig unter Leuten und das lenkt mich ab, besonders wenn Trauer und Zweifel aufkommen. In der Tagesstätte gibt es immer etwas zu tun und die Gespräche mit anderen Menschen tun mir gut.“

Willkommen ist grundsätzlich jeder. Aus anfänglich zaghaften Besuchern ist längst ein Stammpublikum geworden, das allerdings offen für Neue ist. Für manchen ist die Tagesstätte zum alltäglichen Anker geworden. Dass sich das Konzept des niederschwelligen Angebots nicht nur bewährt hat, sondern nicht wegzudenken ist, zeigt schon allein, dass der VOP mittlerweile seit 51 Jahren besteht. In dieser langen Zeit ist ein gutes Netzwerk zur benachbarten Psychiatrie, zum sozialpsychiatrischen Dienst und anderen Beratungsstellen geknüpft worden. Außerdem absolvieren die Fachpfleger für Psychiatrie während ihrer Ausbildung eine sechswöchige Station beim VOP. „Sie bringen neue Ideen und Erkenntnisse ein, von denen wir alle profitieren“, wertet Maximilian Uihlein diese Praxis als sehr positiv.

Jüngere schaffen oft Sprung ins Erwachsenenleben nicht

Die Altersspanne der Tagesstättenbesucher ist groß. In den vergangenen Jahren sei die Anzahl jüngerer Menschen, die den Sprung ins Erwachsenenleben nicht schaffen, gestiegen. Andrea Geier spürt hier häufig auch die Not der Angehörigen. In anderen Fällen fehle der Kontakt zur Familie gänzlich. Maximilian Uihlein stellt fest dazu fest: „Die Aufgehobenheit in der Familie nimmt gesamtgesellschaftlich ab.“ Es gebe einen großen Teil an Menschen, um die sich niemand mehr kümmere, so seine traurige Erkenntnis.

Hinzu komme noch die Stigmatisierung von Menschen mit psychischer Belastung. „Die Krankheit zu akzeptieren, ist ein Riesenschritt“, weiß Andrea Geier und fügt an, dass eine solche auch hochintelligente Menschen betreffen kann. Es sei wichtig, einen geschützten Raum zu haben, in dem man seine Seele nicht zeigen müsse, aber dort auch Ansprechpartner bei akuten Krisen zu finden, die Wege aufzeigen und Hilfen vermitteln, um aus dem Tief wieder herauszukommen.

Gemeinschaft erleben und Zuversicht spüren

„Das Erleben von Gemeinschaft und das Eingebundensein in Beschäftigungs-, Bewegungs- oder Kreativangebote steigern das Wohlbefinden, das Selbstwertgefühl und letztlich die psychische Widerstandskraft der Menschen“, ist Maximilian Uihlein überzeugt. Er und sein Team setzen deshalb klar auf das Prinzip Zuversicht und auf das Motto psychisch stark in die Zukunft.

Angebote im Main-Tauber-Kreis

  • Der Verein für offene Psychiatrie (VOP) unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbands betreibt zwei Tagesstätten für psychisch belastete Menschen im Main-Tauber-Kreis .
  • Die Tagesstätte in Tauberbischofsheim befindet sich in der Goethestraße 2 und ist von montags bis freitags von 8 bis 12 Uhr geöffnet. Sie bietet Frühstück, Mittagessen und Arbeitsangebote. Ihr Einzugsgebiet reicht bis nach Wertheim.
  • Die Tagesstätte in Bad Mergentheim ist in der Probsteistraße 12 beheimatet und hat ebenfalls montags bis freitags von 8 bis 12 Uhr geöffnet. Täglich gibt es Frühstück und Arbeitsangebote, einmal pro Woche steht ein gemeinsames Mittagessen auf dem Programm.
  • Die Angebote sind offen, die Teilnahme ist freiwillig . Fachkräfte vor Ort unterstützen und haben nicht nur bei Krisen und lebenspraktischen Fragen ein offenes Ohr.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke