FN-Interview

SPD-Landesvorsitzender: „Lehrer sollen sich auf Unterricht konzentrieren und nicht auf Technik“

Der SPD-Landesvorsitzende und Oppositionsführer in Stuttgart, Andreas Stoch, will die Lehrer von der Technikarbeit entlasten, der Wirtschaft beim Umbau helfen und er beklagt die immer schrilleren Töne in der Politik.

Von 
Sascha Bickel
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Andreas Stoch ist Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD Baden-Württemberg. Er stellte sich den Fragen der FN-Redaktion. © Klaus T. Mende

Tauber-Odenwald. Andreas Stoch (53) ist Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD Baden-Württemberg. Den Fränkischen Nachrichten stand er für ein Interview in Tauberbischofsheim zur Verfügung.

Zahlreiche Krisen in der Welt und in Deutschland sind parallel zu meistern. Jetzt schwächelt zusätzlich noch die deutsche Wirtschaft. Herr Stoch, können Sie als Landespolitiker und Oppositionsführer in Baden-Württemberg bei all dem auch gute Botschaften verkünden?

Andreas Stoch: Uns allen muss klar sein, die Situation in der sich unser Land befindet, ist keine einfache. Die Krisen der vergangenen Jahre und die, die noch vor uns liegen, ich nenne mal Corona und den Ukrainekrieg, haben erhebliche Auswirkungen auf unser Land und auf die Menschen. Und gleichzeitig steckt unser Land in einem riesigen Transformationsprozess von einer fossilen Energienutzung und Wirtschaftswelt in eine nicht-fossile Zukunft.

Die positive Nachricht aus der SPD dazu ist: Wir sind der Überzeugung, wir können die Veränderungen gemeinsam meistern. Aber dazu braucht es auch politischen Mut. Der fehlt mancherorts.

Vor allem muss die Politik auch den Menschen die politischen Entscheidungen gut erklären und gerade den Leuten mit kleinerem Geldbeutel helfen, den Wandel zu schaffen.

Im Moment hat man den Eindruck, auch mit Blick auf die Umfragewerte der Parteien, dass bei all den Problemen die Populisten viel leichter durchdringen. Wie groß ist die Gefahr für unsere Demokratie und was setzt die SPD im Ländle dem entgegen?

Stoch: Die immer schrilleren Töne sind eine echte Gefahr. Gerade die Vertreter der demokratischen Parteien sollten im Umgang miteinander darauf Wert legen, den Menschen - auch im Ton - zu vermitteln, dass es um das Ringen um die beste Lösung geht. Wenn Friedrich Merz die Grünen zum „Hauptgegner“ ausruft, überschreitet das schon Grenzen.

Die schrillen Töne nutzen am Ende nur denen, die die vermeintlich einfachen Lösungen vorgaukeln. Die Umfragewerte der AfD steigen aktuell, aber ich erlebe die AfD seit sieben Jahren im Landtag und sie hat zu keinem Thema eine Lösung anzubieten, die wirklich funktioniert.

Kurz nachgehakt

Bürokratieabbau? Andreas Stoch sagt dazu: „Das ist ein Dauerthema. Seit 12,5 Jahren steht Winfried Kretschmann an der Spitze unseres Landes und leider sind in dieser Zeit viele neue Regelungen und Gesetze dazugekommen. Von Bürokratieabbau kann keine Rede sein. Die SPD würde die Reduzierung der Vorgaben sehr begrüßen.“

Wohnungsbau in Baden-Württemberg? Stoch: „Unser Land ist eines der teuersten in ganz Deutschland, und der Markt alleine richtet die Wohnungsnot eben nicht. Mehr bezahlbarer Wohnraum ist eine Frage der Daseinsvorsorge, um die sich der Staat mehr kümmern muss. Und es ist auch eine Standortfrage für unsere Wirtschaft.“ sabix

In unserem Land sind nach Wahlen meist Koalitionen nötig, um die Regierung zu bilden. Erst bekämpft man sich, dann macht man gemeinsame Sache. Ein verletzender Umgang ist da wohl wenig hilfreich?

Stoch: Ja, genau. Wir müssen im politischen Streit zeigen, dass es stets um die Sache geht! Die Parteien, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, müssen miteinander sprechen und Bündnisse schließen können. Da geht es um die Schnittmengen. Kritik in der Sache ist erlaubt, aber diffamierend darf sie nicht sein.

Schauen wir kurz Richtung Berlin und auf die Bundesregierung unter SPD-Führung. Wie zufrieden sind sie mit der Arbeit der Ampelkoalition? Welche Schulnote würden Sie vergeben?

Stoch: Als SPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg war ich damals auch Teil der Koalitionsverhandlungen im Bereich Bildungspolitik und ich kann sagen, dass der Koalitionsvertrag insgesamt ein sehr ambitioniertes Programm beinhaltet. Bedingt durch die vielen Krisen konnte leider noch nicht so viel umgesetzt werden, wie eigentlich geplant. Den schwerwiegenden Themen Energiesicherheit und Fachkräftemangel hat man sich aber engagiert angenommen und in kürzester Zeit das russische Gas ersetzt und ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht.

Ich würde der Ampel heute eine 2,5 geben. An vielen Stellen geht es vorwärts, aber der viele öffentlich ausgetragene Streit war nicht gut. Und die Kommunikation, zum Beispiel beim Heizungsgesetz, auch nicht.

Den von Bundeskanzler Olaf Scholz vor kurzem ausgerufenen Deutschland-Pakt unterstütze ich übrigens, da ich ebenso der Meinung bin, dass wir den vorhin bereits erwähnten großen Transformationsprozess in Deutschland nur gemeinsam über Parteigrenzen hinweg mit Bund, Ländern und Kommunen schaffen.

Was ist zu tun, um den Umbau der Wirtschaft hin zu mehr grünen Technologien zu unterstützen?

Stoch: Ich bin immer wieder in Unternehmen unterwegs, die im Umbauprozess stecken. Große Firmen schaffen es, aufgrund ihrer finanziellen Stärke den Umbau allein zu organisieren. Viele kleine und mittelständische Unternehmen brauchen jedoch Hilfe. Der Staat kann hier helfen, durch eine gute Infrastruktur und optimale Rahmenbedingungen, also Digitalisierung, gute Verkehrswege, Fachkräfte-Qualifizierung, aber auch durch Zuschüsse, so wie es im SPD-geführten Saarland durch einen Transformationsfonds schon passiert. Die SPD in Baden-Württemberg wird dazu in den nächsten Monaten auch Vorschläge fürs Ländle machen.

Schauen wir auf die Bürger und die kleinen Hausbesitzer. Wie soll diesen geholfen werden, die Energiewende zu stemmen?

Stoch: Das Thema Gebäudeheizung war lange Zeit nicht im Fokus. Jetzt ist es da. Deutschland hat sich in internationalen Verträgen verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein. Nun ist, auch durch schlechte Kommunikation, der öffentliche Eindruck entstanden, dass alte Gas- und Ölheizungen in kürzester Zeit herausgerissen werden müssen, was gar nicht stimmt. Fest steht: Die CO2-Abgaben steigen und Öl und Gas werden in den nächsten Jahren teurer. Eine Umrüstung macht also auf lange Sicht immer mehr Sinn.

Die SPD möchte, dass Baden-Württemberg mehr Geld im Bereich Gebäude und Verkehr in die Hand nimmt, um die selbst gesteckten Klimaziele bis 2040 erreichen zu können. Vor allem Menschen mit wenig Geld muss bei einem Heizungswechsel geholfen werden. Nah- und Fernwärmenetze sowie Geothermie-Bohrungen gehören zudem unterstützt, um bei der Energiewende voranzukommen.

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Im Main-Tauber-Kreis drehen sich schon jede Menge Windräder, weitere sind in Planung, dazu kommt der rasante Ausbau der Freiflächen-Photovoltaik. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Und sollte es den Landkreisen, die hier viel machen, nicht auch Pluspunkte in Stuttgart bringen, gegenüber den (Stadt-)Kreisen, die hier nur wenig tun?

Stoch: Es ist ein Versäumnis der grün-schwarzen Landesregierung, dass wir im Ländle in den vergangenen Jahren zu wenig Fortschritte im Feld der Erneuerbaren Energien gemacht haben. 1000 neue Windräder wurden versprochen, 2022 sind gerade einmal neun neue Windräder ans Netz gegangen und neun alte wurden abgeschaltet. Der Ministerpräsident verspricht immer viel. Es passiert aber zu wenig.

Die SPD ist für einen Lastenausgleich, wenn Landkreise und manche Kommunen hier mehr tun als andere und wir unterstützen Bürgerbeteiligung und Genossenschaften beim Betrieb von Windrädern und Freiflächen-Photovoltaik, damit die Bürger vor Ort auch direkt profitieren können.

Nun läuft seit wenigen Tagen wieder die Schule. Der Lehrermangel ist ein großes Thema, ebenso gibt es eine Elterninitiative für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9). Was sagen Sie als ehemaliger Kultusminister dazu?

Stoch: Ich fordere von der grün-schwarzen Landesregierung eine Unterrichtsgarantie. Es hilft niemanden, wenn ein Viertel der Grundschüler nach vier Jahren Schule noch nicht einmal richtig lesen, schreiben und rechnen kann. Das heißt, wir brauchen deutlich mehr Geld für den Bildungsbereich und die frühkindliche Bildung und einen starken Fokus auf die Lehrer-Gewinnung sowie deren Zufriedenheit.

Zu G9 kann ich sagen, dass viele Bundesländer dahin zurückgekehrt sind. Für eine ausgeprägtere Persönlichkeitsentwicklung der jungen Leute und um weniger pädagogischen Druck durch nur acht Schuljahre zu erzeugen, halte ich die Rückkehr zu G9 für richtig. Jedes Gymnasium sollte die Wahlmöglichkeit bekommen, ob G8 und G9 angeboten wird.

Sollte der Volksantrag, für den gerade noch Unterschriften gesammelt werden, scheitern, überlegt die SPD zusammen mit anderen Parteien einen eigenen Gesetzesantrag im Landtag dazu einzubringen. Vor allem die Grünen stehen bei G9 noch auf der Bremse.

Wie zufrieden sind Sie mit der Digitalisierung in den Schulen?

Stoch: Da mangelt es noch. Viele Lehrer managen nebenbei die IT-Technik. Das kann nicht sein! Ein zentraler Schlüssel wäre, dass man die Lehrkräfte von all dem entlastet, was diese nicht zwingend leisten müssen. Dadurch würden wir laut einer Abfrage über 500 Lehrerstellen für den Unterricht freimachen. Technik und Verwaltung müssen andere übernehmen.

Der Lehrer kann nicht die ‚Eierlegende Wollmilchsau’ sein. Er muss sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren. Wenn das so geschehen würde, hätten wir mehr Qualität und weniger Unterrichtsausfall in Baden-Württemberg.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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