Tauberbischofsheim. Was am 31. Januar in der Kälte begann, endete nun am 21. Februar bei fast schon frühlingshaften Temperaturen: An vier Freitagabenden in Folge hatte das Aktionsbündnis „Tauberbischofsheim bleibt bunt“ den Marktplatz „gemietet“, um vor der Bundestagswahl gemeinsam mit den Bürgen ein Zeichen für ein tolerantes Deutschland und Tauberbischofsheim zu setzen. Erneut verzeichnete diese friedliche Demonstration knapp 500 Teilnehmer mit vielen selbst kreierten Plakaten.
„Herz statt Hetze“ stand auf einem roten blinkenden Herz, „Hey Alice, kein Bock auf dein Wunderland!“ auf einem Plakat - die meisten Bürger aber hielten Lichter in den Händen und sorgten damit - ganz abgesehen von der politischen Botschaft - für eine schöne Atmosphäre auf dem Marktplatz.
Leonhard Haaf vom Aktionsbündnis bezeichnete in seiner Eingangsrede Fachkräfte aus dem Ausland als „unverzichtbar“ – eine Remigration hätte Auswirkungen auf Pflege, Gesundheitswesen, Industrie, Handwerk, Gastronomie Kultur und Wissenschaft. „Wir haben uns das Thema Migration von den Rechtsextremen als Mutter aller Probleme aufdrängen lassen“, bedauerte er.
Maya Hepp und Lina Farny, die beiden 17-jährigen Schülerinnen des Tauberbischofsheimer Matthias-Grünewald-Gymnasiums, hatten sich das AfD-Parteiprogramm einmal genauer angeschaut. So fordere die Partei unter anderem, dass fast keine schutzsuchenden Menschen mehr nach Deutschland einreisen dürfen, zusätzlich solle die Förderung der zivilen Seenotrettung eingestellt werden – „das heißt, wir wollen die in Not geratenen Migranten auf dem Mittelmeer alleine lassen. Wie das ausgehen kann, kann man sich denken.“ Es seien aber Menschen mit Migrationshintergrund, die Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und zahlreiche Betriebe am Laufen hielten.
Deutschland habe mit der EU eine Chance, sich wirtschaftlich zu erholen und als europäische Gemeinschaft zusammen eine starke Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. In dieser Situation jedoch solche Forderungen zu formulieren und zu untersützten, sei „alles andere als schlau“, sagten die beiden. „Wir wünschen uns, dass alle, die solche Parteien und Personen unterstützen, konsequent sind und ihre Kinder nur noch von deutschen Lehrern unterrichten, ihre pflegebedürftigen Angehörigen nur noch von deutschen Pflegern pflegen lassen und nur noch in Unternehmen mit deutschen Mitarbeitern tätig sind. Und bitte bleibt im Urlaub in Deutschland, denn wer weiß, ob ihr noch in andere Länder einreisen dürft. Nur wundert euch dann nicht, wenn ihr von Wohlstand und einem schönen freien Land in einer Demokratie weit entfernt seid“. Meinungsfreiheit, so ihr Fazit, sei wichtig, aber: „Rechtsextremismus ist keine Meinung, sondern Hass, Hetze und Ausgrenzung. Wir sollten vielmehr einander respektieren und für den anderen einstehen.“ Für ihre Rede bekamen sie großen Applaus.
„Hetzern nach dem Mund zu reden, hilft nicht“
Der bekannte Würzburger Psychiater Dr. Thomas Schmelter sprach davon, wie „wir gerade wie in einem schlechten Traum erleben, wie die neue US-Administration und hemmungslose Superreiche mit der Abrissbirne versuchen, die Grundlagen der Demokratie zu zerstören“. Hetzern nach dem Mund zu reden, helfe nicht: „Helfen würde ein kühler Kopf. Die rechtsextremen Parteien und Organisationen sind Meister auf der Empörungsklaviatur. Doch Menschen in Not brauchen unsere Solidarität. Mit Menschen, die mit Totschlagargumenten und mit haltlosen Bemerkungen aus dem Internet hausieren gehen, ist oft schlecht Kirschen essen. Aber wir können üben. Es gibt inzwischen Trainings, um für solche Gesprächssituationen besser gerüstet zu sein. Wir sollten nicht Hass mit Hass beantworten. Wir sollten unsere Mandatsträger auf allen Ebenen in die Pflicht nehmen und sie fragen, wie sie konstruktiv Rechtsextremismus bekämpfen und Solidarität fördern wollen. Engagierte Abgeordnete brauchen aber auch unsere moralische und praktische Unterstützung – Politikerbeschimpfung ist einfach nur billig.“ Auch ein gewisses Bildungsniveau sei wichtig: „Wer Texte nicht kritisch einordnen kann, ist Fake News und Hetze wehrlos ausgeliefert. Gute Lebensverhältnisse und gute Bildung machen resistent gegen die Rattenfänger.“
„Der Maßstab der Menschlichkeit muss immer gelten“
Der katholische Dekan Thomas Holler sprach im Namen der evangelischen Pfarrerin Heike Kuhn und Fadi Korkes von der syrisch-orthodoxen Kirchengemeinde. Er betonte zunächst, dass die Kirchen sich nicht in Parteipolitik einmischen, aber: „Wenn es um die Grundwerte unserer Gesellschaft geht, um Menschenwürde und Menschenrechte, dann mischen wir uns ein.“ Er berichtete von seinem Vater, der als Sudetendeutscher nach dem Zweiten Weltkrieg wie unzählige andere Heimatvertriebene Haus und Hof verlassen musste, um sein Leben zu retten. „Vielleicht könnt ihr euch vorstellen, wie er sich fühlt, wenn Flüchtlinge heute manchmal pauschal mit Kriminellen gleichgesetzt oder unter Generalverdacht gestellt werden.“ Weiter sagte er: „In unserer Stadt gibt es wie in ganz Europa Flüchtlinge aus der Ukraine. Glaubt mir, sie wären gern zu Hause geblieben, wenn dort nicht die russische Armee Tod und Elend brächte.“ Er erzählte auch von drei seiner besten Freunde aus Uganda und Nigeria: „Sie helfen uns hier in der Seelsorge und fördern in ihrer Heimat Bildung und Entwicklung also die wirksamsten Mittel zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Wir haben hier auch indische Ordensschwestern, die in der Kranken- und Altenpflege arbeiten. Sie fragen nicht nach der Herkunft der Menschen, für die sie da sind. Genauso wenig wie all die Gastarbeiter, die ihre Heimat verlassen haben, um unserem Fachkräftemangel abzuhelfen.“ Holler betonte, dass er nicht die Moralkeule schwingen, sondern nur verdeutlichen wolle, dass immer der Maßstab der Menschlichkeit gelten müsse. „Mit Menschlichkeit meine ich jedoch kein naives Gutmenschentum, das sich moralisch erhaben fühlt, Probleme ausblendet und an der Realität vorbeigeht. Lasst uns die Würde eines jeden Menschen achten und nie den Respekt voreinander verlieren, wirkliche Probleme wie die Attentate und Amokläufe nicht schönreden, sondern wirklich gemeinsam angehen.“
Ein Gegendemonstrant war auch dabei: „Warum demonstriert ihr nicht für gegenseitiges Verständnis und mehr Rechtsstaatlichkeit? Gegen Extremisten von rechts und links!“ stand auf seinem Plakat.
Gustav Endres und sein Ensemble sowie Theresa Hautzel sorgten für die musikalische Begleitung, Claudius Korte setzte mit der Trommel Akzente.
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