Impfingen. Ein kräftiger Wind und drei aufgeregt bellende Hunde empfangen mich, als ich morgens auf dem Hof der Familie Werr eintreffe. Die Begrüßung des größten Mitglieds des Trios fällt besonders stürmisch aus. „Theo, du sollst doch nicht hochspringen“, ruft Johanna Werr, die „Junior-Chefin“ des Hofs.
Was könnte mir alles „blühen“?
Natürlich hatte ich mir zuvor in den schillerndsten Farben ausgemalt, was mir alles „blühen“ könnte auf so einem großen Hof. Ich sah mich, wie ich verzweifelt fuchtelnd und schreiend versuche, eine entlaufene Rinderherde einzufangen, hörte mich beim Definieren von Getreidesorten hilflos herumstottern und beobachtete mich selbst beim uneleganten Erklimmen des Mähdreschers. Johanna Werr wird mich an diesem Tag unter ihre Fittiche nehmen. Mit ihr als Bachelorin of Science an meiner Seite kann nichts schiefgehen, denke ich mir, und atme tief durch.
Zuerst einmal geht es hoch hinauf auf das unter einer Siloplane lagernde Futter. 200 Mastrinder sowie die Kühe mit ihren Kälbern haben natürlich viel Hunger. Ihre Mahlzeiten werden aus verschiedenen Komponenten zusammengemischt. Auf einem Grassilage-Silo ist der Wind so stark, dass ich mich schon davon wehen sehe und mein Tag dort viel früher endet als geplant. Gemeinsam mit Johannas Freund und Landwirtschaftsmeister Kevin Müller ziehen wir die weiße Plane weg, die allerdings durch verschiedene mit Steinen befüllte Säcke beschwert ist. Der Wind treibt dabei gehäckseltes Gras in unsere Gesichter und Haare und sorgt dafür, dass Erläuterungen für mich als „Azubine“ erst einmal zwecklos sind.
Hinterher erfahre ich von Johanna, dass die Rinder eine vorgeschriebene Ration aus 200 Kilogramm Heu, 2000 Kilo Maissilage, 2000 Kilo Grassilage und 500 Kilo Biertreber bekommen, die zuvor in einem Futtermischwagen wie in einem Küchengerät gemixt wird. „Bis auf den Biertreber, den wir von der Distelhäuser Brauerei beziehen, ist unser Futter selbsterzeugt“, sagt sie nicht ohne Stolz.
Die Werrs bauen Wintergerste, -roggen, -raps und -weizen sowie Sommergerste, Dinkel, Mais und Sonnenblumen an. Außerdem bewirtschaften sie Grünland, es gibt Brache- und Blühflächen sowie Trockenwiesen und -weiden und Obstbaumgrundstücke mit rund 100 Apfelbäumen.
Leider kein „Streichelzoo“
Wir gehen weiter in die Ställe – darauf hatte ich mich am meisten gefreut. Beim Füttern und Einstreuen schauen die Werrs automatisch auch immer, wie es ihren vielen Schützlingen geht.
„Allein schon vom äußeren Erscheinungsbild her kann man erkennen, ob einem Tier etwas fehlt – etwa wenn das Fell struppig ist, die Augen trübe sind, die Nase läuft oder ein Fuß geschont wird. Wenn etwas nicht stimmt, rufen wir den Tierarzt“, erklärt Johanna. Natürlich möchte ich – inzwischen mit einem Futtereimer ausgestattet – persönlich den Check machen und dabei dem einen oder anderen Rind die lockige Stirn kraulen. Leider jedoch sind die Tiere mehr an dem Inhalt des Eimers als an mir interessiert.
Ein Beruf im Wandel
Moderne Landwirte sind hochqualifizierte Fachkräfte. Wer auf einem Hof als Unternehmer oder Angestellter einsteigt, hat oft einen Abschluss als Techniker, Landwirtschaftsmeister oder Fachagrarwirt.
Immer mehr Landwirte absolvieren ein Agrarstudium. Rund 16 700 junge Menschen studierten im Wintersemester 2020/21 Agrarwissenschaft/Landwirtschaft mit den Abschlüssen Bachelor, Master oder dem Staatsexamen.
Weitere Informationen gibt es unter www.ble.de.
Respekteinflößende Hörner
Die Kälber soll ich lieber gleich nur aus der Ferne bewundern. Ihre Mütter, die die Werrs aus einem aufgegebenen Betrieb gerettet haben, trauen mir offensichtlich nicht so recht über den Weg. In den Ställen des Aussiedlerhofs stehen Tiere unterschiedlicher Rassen wie Braunvieh, Angus, Fleckvieh, Limousin und verschiedene Kreuzungen. Die Hörner mancher Tiere flößen mir Respekt ein.
Auch vor dem Aussterben bedrohte Hinterwälder werden hoch über Impfingen gehegt und gepflegt. Beim folgenden Verteilen der Einstreu mit der Mistgabel werfe ich – wie mir geheißen – sehr oft einen, wie ich hoffe, unauffälligen Blick auf die etwas dunklere Kuh, die nicht immer gut gelaunt sein soll. Und ich rechne es ihr hoch an, dass sie mich kurzzeitig in ihrem Revier akzeptiert. Wir laufen – immer noch vom Winde verweht – hinüber zur Biogasanlage. Dabei werden wir nicht nur von den drei Hunden begleitet, auch die drei jungen Katzen folgen uns auf Schritt und Tritt. Kater Fritz fehlt – „er schläft wahrscheinlich auf seinem Lieblingssofa“, vermutet Johanna Werr.
In der Anlage werden Gülle und Mist sowie nachwachsende Rohstoffe wie beispielsweise die Grassilage vergoren. Die 22-Jährige erklärt mir hinterher genau, wie das funktioniert und verwendet dabei Ausdrücke aus der Küchenwelt, so dass auch ich es mir mit meinem doch eher rudimentären Wissen vorstellen kann.
Den Hof führt sie übrigens gemeinsam mit ihrem Vater Volker, dem staatlich geprüften Agrarbetriebswirt und Energieanlagen-Elektroniker, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
Später wird mir ihre Mutter Ute zeigen, wie viel Schreibarbeit mittlerweile in solch einem landwirtschaftlichen Betrieb steckt. Die Bürokratie nimmt immer mehr Raum ein und es wird künftig noch mehr – auch im Regal über dem Esstisch stehen noch Ordner, in denen etwa die Rinderpässe fein säuberlich abgeheftet sind. Ute Werr ist nicht „nur“ Landwirtin, sondern auch Diplom-Verwaltungswirtin und Agrarbürofachfrau und kann die wachsende Zusatzarbeit zum Glück derzeit noch bewältigen. Kevin Müller zeigt mir im Motorenraum, dessen Zutritt normalerweise für Unbefugte wie mich strengstens verboten ist, das Herzstück der Biogasanlage. Der Motor macht einen Höllenlärm, der junge Mann spricht so laut wie möglich und erklärt mir, was er so alles aus den Angaben auf dem Display herauslesen kann. Da geht es beispielsweise um Methanwerte und um den CO2-Gehalt, mit denen man erkennen kann, ob der Gärungsprozess ordnungsgemäß funktioniert. Die Erinnerung an längst verdrängte Chemiestunden flammt kurz in mir auf. In dieser Anlage wird Biomasse vergoren.
„Die richtige Zusammensetzung des Gases ist wichtig, damit die Motoren überhaupt laufen“, fügt Johanna Werr später beim Mittagessen hinzu. „Das ist wie beim Auto, man sollte ja auch nicht Diesel statt Super tanken.“ Das leuchtet mir ein. Mit der Abwärme wird der gesamte Hof beheizt sowie das Getreide und Feuchtholz getrocknet. Ute Werr hat eine leckere Bolognese mit „eigenem“ Rinderhackfleisch sowie Salat aus ihrem Garten zubereitet. Zur Mittagsmahlzeit kommen nach Möglichkeit immer alle zusammen. Auch Tochter Maria, die ab Herbst Agrartechnik studiert, Sohn Jakob und die weiteren Mitarbeiter machen eine Pause und gesellen sich zu uns. Hund Taco liegt zu meinen Füßen.
Viel Gesprächsstoff
Wir sprechen über das neue Hühnermobil, die geplante Direktvermarktung, von der Johanna schon lange träumt, und „die Politik“ ganz allgemein. Letzteres ist ein Thema, worüber die Werrs gewiss stundenlang diskutieren könnten – zum Beispiel darüber, dass Landwirte ohne Förderung so gut wie keine teuren, komplett tiergerechten Ställe errichten könnten. Oder über die Konkurrenz aus dem Ausland, wo die Fleischproduktion billiger und die Standards auf Kosten des Tierwohls viel niedriger seien. Johanna Werr zeigt mir als Beispiel ein Video von einem neuen 26-stöckigen Schweinestall in China. Wir kommen auf qualvolle Tiertransporte und widerwärtige Zustände in Schlachthöfen zu sprechen. Johanna und ihr Freund Kevin wollen dafür kämpfen, dass Tiere auf dem Hof geschlachtet werden dürfen und nicht erst noch kilometerweit zum nächsten Schlachthof gefahren werden.
Ich sehe: In der Landwirtschaft gibt es sprichwörtlich und im übertragenen Sinn viel zu tun. Doch die Werrs sind nach wie vor überzeugt, den richtigen Beruf gewählt zu haben. „Uns hat die Landwirtschaft sogar noch mehr zusammengeschweißt“, sagen Ute und Volker Werr, die 2025 Silberhochzeit feiern werden. Und Johanna, die Kevin beim Maishäckseln kennenlernte, erinnert sich: „Schon als Zehnjährige wusste ich, dass ich einmal Landwirtschaft studieren möchte. Alleine deshalb besuchte ich das Gymnasium.“ Noch immer freut sie sich jeden Morgen aufs neue auf die Tiere. Im kommenden Wintersemester wird sie dann berufsbegleitend den Masterstudiengang Agrarmanagement besuchen. Bevor ich den Hof voller neuer Eindrücke verlasse, begegnet mir Kater Fritz. Er hatte wirklich auf seinem Lieblingssofa geschlafen.
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