Tauberbischofsheim. Der Begriff Nachhaltigkeit spielt auch in der Reisebranche eine wichtige Rolle. Wir haben uns dazu mit Michael Wünsch, Leiter FN Reisen, unterhalten.
Herr Wünsch, welche Rolle spielt der Begriff Nachhaltigkeit mittlerweile im Tourismus?
Michael Wünsch: Die Touristik und die gesamte Reisebranche sind ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Weiterentwicklung. Insofern ist Nachhaltigkeit in all ihren Facetten auch hier ein zentrales Thema für die Branche – und das auch für viele Veranstalter seit den ersten Überlegungen des Club of Rome dazu seit Beginn der 70er Jahre. Der Begriff Nachhaltigkeit lässt viel Interpretationsspielraum zu.
Können Sie das konkretisieren?
Wünsch: Die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) definiert nachhaltigen Tourismus so: „Eine Einrichtung, die die gegenwärtigen und künftigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen voll berücksichtigt, um den Bedürfnissen der Besucher, der Industrie, der Umwelt und der gastgebenden Gemeinschaften gerecht zu werden“. Ich sehe das genauso, verbunden jedoch mit einem hohen Anspruch an alle Beteiligten. Die „Eier legende Wollmilchsau“ ist noch nicht erfunden worden. Es gilt, die Interessen alle Akteure im Markt in Einklang zu bringen.
Zum Leitthema Nachhaltigkeit . . .
Wünsch: . . . ist die Reisebranche Teil der Lösung und unternimmt große Anstrengungen, um ihren Anteil von sechs bis acht Prozent aller weltweit entstehenden CO2-Emission zu reduzieren. Ganz bewusst engagieren sich die FN-Reisebüros als DRV-Mitglied zum Thema Klimaschutz und übernehmen hier viele Positionen. Eine der zentralen Aussagen dazu: „CO2-Emissionen entstehen beim Reisen durch die damit verbundene Mobilität und die Unterbringung. Das Ziel der Branche ist, Emissionen substanziell und messbar zu senken, um eine deutliche Reduzierung zu erreichen“. Das langfristige Ziel heißt klimaneutrales Reisen. Konkret fördern wir FN-Reisen seit Jahren Klimaschutz-Projekte von Atmosfair, zuletzt ein Biogas-Projekt in Kenia, über die sich der eigene CO2 -Footprint kompensieren lässt und in Form von Spenden unter anderem für Aufforstungsprojekte in Dritt-Ländern einsetzt. Vielleicht ein Tropfen auf den heißen Stein, die aber in Summe helfen.
Lassen sich Reisen und Nachhaltigkeit vereinbaren?
Wünsch: Die Frage impliziert einen Widerspruch, der keiner ist. Weiterhin wird das Bier in den Kühlschrank gestellt, online Unmengen im Versandhandel bestellt und umgetauscht – Stichwort „buy lokal“ – und und und . . . Die Frage, wie nachhaltig wir sind oder sein wollen, muss jeder für seinen persönlichen Lebensstil beantworten. Eine moralische Komponente sehe ich hier nicht im Sinne von „Wokeness“. Reisen und Nachhaltigkeit lassen sich vereinbaren: Auswahl der Verkehrsmittel, stärkere Nutzung von Bahn oder Rail & Fly , Bereitschaft, auch in hochwertige Reisen zu investieren, die Mindest-Standards in puncto Belieferung, Lohnniveaus, und bei Erzeugern einzuhalten. Bei Fernreisen die Reise-Intensität und Verweildauer vor Ort ausdehnen, um somit die ökologische Gesamtbilanz zu verbessern. Es gibt auch eine Vielzahl von Veranstaltern, die sich danach orientieren. Auch in der Beratung in den Reisebüros muss bei Interesse dieser Fokus forciert werden.
Ist ein Wandel erkennbar, der sich immer weiter vom Massentourismus wegbewegt?
Wünsch: „Massen“-Tourismus hat einen Beigeschmack, der so nicht gegeben ist. In gelenkten Bahnen muss und wird dieser perspektivisch obige Kriterien erfüllen. In jedem Fall nimmt das Thema Achtsamkeit an Bedeutung zu. Unter dem Hashtag „reisebewusst“ des DRV sensibilisieren wir Kunden zu den sozialen und ökologische Aspekten des Reisens.
Sind die Reisenden bereits zur Genüge hier sensibilisiert?
Wünsch: Zunehmend wird unsere gesamte Gesellschaft zu diesem Thema sensibilisiert.
Die Offerten des „sanfteren Reisens“ nehmen zu?
Wünsch: Die Marktanteile sind hier noch gering – Tendenz steigend. Nachhaltigkeit muss man sich auch leisten können und wollen.
Welche Rolle spielen Corona und der Klimawandel?
Wünsch: Das hängt mit der Perspektive des Einzelnen zusammen. Corona und Klimawandel sind existent. Noch nie war die Reiselust so ungebrochen wie in diesem Jahr mit extremen Steigerungen. „Frei zu sein“ und „frei Reisen“ zu können, ist ein Grundbedürfnis, mit dem wir aufgewachsen und in weiten Teilen sozialisiert sind. Die Reiselust in der Summe ist weiterhin sehr hoch. Rezession, Inflation, Klimawandel, Terror trüben diese leider „routinemäßig“ ein, der Markt kommt jedoch immer wieder neu erstarkt und stärker wie Phönix aus der Asche zurück. Gereist wird immer werden – nur eventuell anders.
Was kann der Einzelne tun, um durch nachhaltiges Handeln seinen Beitrag zu leisten für ein besseres Klima, ohne auf die Bequemlichkeiten des Urlaubs verzichten zu müssen?
Wünsch: In jedem Falle weiterhin ruhigen Gewissens mit dem Verkehrsmittel seiner Wahl in den Urlaub fahren. Die Art der Reisen spielt in der persönlichen Life-Time-CO2-Bilanz zwar eine Rolle, aber ein untergeordnete. Und es gilt abzuwägen: Anreise mit Zug, Flugzeuge, Schiff oder zu Fuß nach Santiago . . . Budget, Zeit und körperliche Verfassung spielen eine Rolle. Die Frage,, ob man 20 Stunden nach Mallorca mit Zug und Fähre reisen will für eine bessere CO2-Bilanz, bleibt offen . . . Auch Deutschland als „Nahreise-Ziel“ mit hohem Freizeit- und Kulturwert, faszinierenden Landschaften ist immer eine Option.
Wohin wird sich der Tourismus der Zukunft entwickeln, vor dem Hintergrund, dass der Begriff Nachhaltigkeit einen noch höheren Stellenwert erhält?
Wünsch: Die Reisebranche ist Teil der Lösung. Es gibt und wird Offerten dazu geben.
Wird es Kreuzfahrten in der jetzigen Form noch geben?
Wünsch: Kreuzfahrten wird es weiterhin geben. Die Antriebstechnologien werden dauerhaft weiterentwickelt, LNG-Gasantrieb auf den ersten Schiffen, Elektro-Solar auf den ersten Fähren, etwa auf dem Bodensee, machen Hoffnung und können auch eine Option für die Flusskreuzfahrt sein. Die Nachfrage ist weiterhin hoch, eine Delle rein Corona-bedingt. Die Branche sieht und erkennt, dass das Thema immer buchungsrelevanter wird. Von daher werden auch die wirtschaftlichen Mittel sei es für Forschung und Entwicklung als auch Umrüstung der Flotten /Neubau bereitgestellt.
Ist eine Revolution in der Art des Urlaubs zu erwarten?
Wünsch: Bedingt durch den Klimawandel ist es denkbar, dass die Reise-Landkarte langfristig neu geschrieben werden muss, ein Szenario über 50 Grad ist dann ein limitierender Faktor. Wünschenswert wäre eine deutliche Verbesserung der Bahn-Infrastruktur mit besserer Anbindung an Oberzentren, besonders im ländlichen Raum. Dies gilt auch für Zielgebiete und Anbindung von Ressorts und Hotels dazu. In der Art des Reisen und Verkehrsmittel sehe ich keine gravierenden Veränderungen, die Vorteile einer Pauschalreise werden bleiben, Hotels werden stärker in Erlebnis-Bereiche investieren und regenerative Angebote für Körper und Geist wachsen . Tendenziell wird weniger, aber dafür hochwertiger und bewusster gereist werden. Den Alltag hinter sich zu lassen, seine eigene Auszeit zu haben, bleibt ein wichtiges Reisemotiv in spannenden Zeiten.
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