Badische Landesbühne

In Tauberbischofsheim: Parforceritt durchs Leben

Von 
Felix Röttger
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Die Badische Landesbühne zeigte das mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Stück „Wir sind noch einmal davongekommen“ von Thornton Wilder: Familie Antrobus auf ihrem Parforceritt durch 5000 Jahre der Menschheitsgeschichte. © Röttger

Tauberbischofsheim. Zur Eröffnung der Jubiläumsspielzeit 2024/25 zeigte die Badische Landesbühne in der Tauberbischofsheimer Stadthalle das Theaterstück „Wir sind noch einmal davongekommen“ des amerikanischen Autors Thornton Wilder. Mitten im Krieg 1942 geschrieben, thematisiert das vor absurdem Humor geradezu strotzende Familienstück wie im Zeitraffer Eiszeit, Sintflut und Krieg als die schlimmsten Katastrophen der Menschheitsgeschichte und imaginiert den drohenden Weltuntergang. Dafür greift Wilder alle bekannten Formen des Theaterspiels auf. 1943 bekam er dafür den inzwischen schon dritten Pulitzerpreis.

Mit dem Bus nach Bruchsal

Nach der Einführung in das von Christine Gegenbauer inszenierte Stück durch den Chefdramaturgen André Becker ließ es sich BLB-Intendant Wolf E. Rahlfs nicht nehmen, im 75. Jahr des Bestehens der Landesbühne persönlich dem Publikum „für die Treue, Neugier, lobenden und manchmal offenen Worte“ zu danken und versprach. „In dieser Spielzeit wollen wir noch ein, zwei Schippen drauflegen.“ Er betonte die Aktualität des Theaterstücks und meinte: „Irgendwie kommt einem die vielfältige Katastrophenlage doch leider ein bisschen bekannt vor, oder?“ Doch in einer Welt der scheinbaren Dauerkrisen müsse man in der Kunst diesen Entwicklungen kraftvoll, kreativ, humorvoll und poetisch entgegentreten. Wilder zeige, dass man sich durchaus gemeinsam „durchwurschteln“ könne; bestimmt auch bis 2099, wenn „unsere Nachfahren 150 Jahre Badische Landesbühne feiern können.“ Weil dies noch ein bisschen hin sei, werde man vom 4. bis 6. April das Jubiläum in Bruchsal rauschend feiern. Am 6. April sei der „Tag der offenen Tür“ geplant; ein vorzumerkender Termin, denn es werde für die Theaterfreunde in Tauberbischofsheim eine Busfahrt organisiert.

Überlebenskünstler

Tatsächlich traf Wilder den Nerv der Zeit, denn nach dem Krieg wurde sein Stück, in dem er selbst am Broadway zeitweise die Rolle des Oberhaupts der Familie Antrobus übernahm, auf deutschen Bühnen „rauf und runter“ gespielt. Wilder lebte von 1897 bis 1975. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst in der US-Army, in der er bis zum Oberstleutnant aufstieg.

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Wie man es schaffen kann, trotz aller apokalyptischen Szenarien immer wieder zu überleben, demonstrieren als stimmige Ensemble-Leistung Martin Behlert als Regie führender Tausendsassa mit großem Einsatz, Frank Siebers als erfindungsreiches Familienoberhaupt, Evelyn Nagel als Hausdrache, Madeline Hartig als pflichtbewusste Tochter Gladys, Lukas Maria Redemann als schlagkräftiger Querkopf Henry, Cornelia Heilmann als immer wieder ihre Rolle anzweifelndes Dienstmädchen und – jeweils mit vier unterschiedlichen Auftritten – Thilo Langer, etwa als rebellischer Superheld, sowie Nadine Pape, etwa als bezaubernde Wahrsagerin.

Gespielt wird auf einer Bühne mit beeindruckender Zentralperspektive, die dadurch eine enorme Tiefe suggeriert. Irgendwo und irgendwie öffnet sich immer wieder eine Wandplatte, die artistische Fähigkeiten verlangt, um hinaus- oder hineinzuklettern. Für das Bühnenbild, die Kostüme und Videoeinblendungen kann sich Frank Albert herrlich kreativ austoben. Die Lichtgestaltung von Tilo Schwarz und die musikalischen Einblendungen von Nicolaj Efendi tun ihr Übriges.

Nacktes Überleben

Im Neandertaler-Look gilt es im ersten Akt, mit einem Dinosaurier als Haustier der extremen Kälte zu trotzen, gegen die im Hause der Familie Antrobus sogar die Stühle der Stadthalle verfeuert werden. Dummerweise hat das Hausmädchen das Kaminfeuer ausgehen lassen, sodass nach Kräften gebibbert und gefroren wird. Der Dinosaurier muss raus; bekanntlich hat diese Spezies ja auch nicht überlebt. Alle Familienmitglieder tauchen wieder auf, als Präsident Antrobus und seine Gattin einen Kongress eröffnen wollen, der in einer Sintflut sein plötzliches Ende findet. Immer wieder nerven die Kinder in den unpassendsten Momenten. Um die lebenserhaltende Arche Noah mit einem Tierpaar pro Art noch im letzten Moment zu erreichen, werden aufblasbare Gummitiere über die Köpfe des Publikums geworfen. Verfremdungseffekte unterbrechen immer wieder die Spielhandlung, wenn etwa das Hausmädchen aus seiner Rolle fällt und das Weiterspiel verweigert. Im Grunde wird eine Theaterprobe gezeigt, in der plötzlich die Akteure ihre Rolle hinterfragen oder kommentieren.

Weniger spektakulär gerät der dritte Akt, in der die Familie zum Kriegsende als schwer bewaffnete Soldateska innerhalb des noch immer stehengebliebenen Hauses auftaucht. Die private Aussöhnung zwischen Vater und Sohn verdeutlicht noch einmal den lebensbejahenden Impetus des Stücks. Ende allerdings offen, denn auf die nächste, garantiert noch gerade so zu bewältigende Weltkrise, braucht man nicht lange zu warten.

Ein markanter Satz des Autors bleibt an diesem Abend im Gedächtnis haften: „Wenn Krieg ist, denkt man über ein besseres Leben nach, wenn Frieden ist, über ein bequemeres.“

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