Wertheim. Man weiß nicht, was man zuerst positiv hervorheben soll bei der Aufführung von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ zu Beginn der Jubiläumsspielzeit der Badischen Landesbühne – die grandiose Leistung der drei Schauspieler, die in verschiedene Rollen schlüpften und schauspielerisch, sängerisch und tanzend alles gaben?
Oder die Fantasie der Bühnen- und Kostümbildner sowie Techniker, deren immer wieder überraschende Effekte manchmal sogar die Aufmerksamkeit vom eigentlich Schauspiel entführten? Oder die Raffinesse und den Mut, mit denen Intendant Wolf E. Rahlfs das vor allem von den Salzburger Festspielen her bekannte Stück unter dem Titel „Jeder*mann“ neu interpretierte?
Es ist wohl das Zusammenspiel aller drei Komponenten, das zu einem rasanten, effektreichen und gleichzeitig zum Nachdenken anregenden Theater-Abend führte.
Die Stück-Wahl zur Eröffnung der 75. Saison der Landesbühne hat einen Grund: Der „Jedermann“ war es seinerzeit, mit dem 1949 die erste Spielzeit des Tournee-Theaters eröffnet wurde. Seitdem war es nie mehr Teil des Programms – bis jetzt.
Frage ist auch heute aktuell
Die Frage, die sich Hofmannsthal stellte, ist jedoch noch immer so aktuell wie bei der Uraufführung 1911 in Berlin oder der ersten Aufführung bei den Salzburger Festspielen 1920: Wie führt man ein gutes, gottgefälliges Leben? Und wie können gerade Wohlhabende dazu gebracht werden, nicht nur an sich zu denken?
Der Jedermann (Ole Xylander) will auf jeden Fall sein Leben genießen und nicht etwa vom Betteln armer Schuldner dabei gestört werden. Im Anzug und mit erhobenem Kopf feiert er Partys. Immer auf der während nahezu des ganzen Stücks rollierenden Bühne, die den unaufhaltsam voranschreitenden Lebensweg kennzeichnet und die Schauspieler fordert. Denn neben allen darstellerischen Anforderungen müssen sie auch noch darauf achten, nicht aus dem Tritt zu kommen – was ihnen bravourös gelingt.
Weitere Schauspieler gibt es noch genau zwei – aber sicher um die 20 Rollen. Die meisten davon übernimmt Alice Katharina Schmidt, die dabei ihre Wandelbarkeit zeigt, von der verzweifelten Bettlerin mit Neugeborenem über den mondänen Partygast bis hin zum hinterlistigen Teufel und dem gruseligen Tod , der den Jedermann letztlich holt. Dabei schafft sie es in Windeseile, sich umzuziehen – in einem Kostüm nach hinten weggerollt, im neuen vorne wieder aufgetaucht – und sofort mit der zur Bühnenfigur passenden Gestik, Mimik und Tonlage.
Ein-Mann-Live-Orchester
Zu Jedermanns Glück ist da noch Gott, der ihm letztlich die Reue über sein selbstsüchtiges Leben abnimmt und ihm vergibt. Diesen verkörpert Ulrich Hartmann, wenn er nicht gerade als „Ein-Mann-Live-Orchester“ mit Geräuschen, Musik auf etlichen Instrumenten, Gesang und verstellten Stimmen verschiedene Charaktere darstellt und Stimmungen von ausgelassen bis beängstigend erzeugt. Die weiteren Figuren werden von Puppen übernommen, oder von Figuren, die über die Bühne fahren wie etwa ein auf der Toilette sitzender Gorilla. Der überrascht kaum noch, nachdem unter anderem schon Quietsche-Enten, ein in einen Fernseher gedonnerten Hummer und eine vierstöckige Torte vorbeigefahren sind.
Die Licht- und Videoeffekte taten ihr Übriges zum Gesamtbild. Sie wurden auf ein Bühnenbild projiziert, das der Salzburger Domplatte nachempfunden wurde und – eine der liebevoll eingebauten Kleinigkeiten“ durch die Fenster in den Türmen im zu Stimmung passenden Licht leuchtete. Ein Fest für Augen und Ohren, das mit großen Erwartungen und großer Vorfreude in die Jubiläumsspielzeit blicken lässt. In Wertheim geht es am 17. Dezember mit dem Stück „Status quo“ über das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau weiter.
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