Tauberbischofsheim. Barock und Rock, Heavy Metal und Vivaldi – geht das überhaupt zusammen? Sehr gut offenbar, zumindest wenn man die Begeisterung des Publikums in der voll besetzten Stadthalle als Maßstab nimmt.
Die jüngste Veranstaltung der neuen Schlosskonzertsaison war jedenfalls nichts weniger als ein fulminantes Ereignis, dank den wie entfesselt aufspielenden jungen Musiker(inne)n des Stuttgarter Kammerorchesters und dank ihrem Mut, überkommene Gattungsgrenzen zu überschreiten und (scheinbar) gegensätzliche Stilarten zusammenzubringen, das heißt zunächst einmal zusammen zu denken. Das Konzept findet im 75. Jahr des Orchesters offenbar großen Anklang, auch ein großer Teil der angestammten Klassik-Klientel ist der strengen Unterscheidung zwischen „E“ und „U“, einer deutschen Spezialität seit jeher, offenbar müde und findet Geschmack an der „Fusion“, der Verschmelzung oder auch Kombination von ästhetischen Gegensätzen, die sich in der Praxis dann als gar nicht so unvereinbar herausstellen.
So auch an diesem Abend in der Stadthalle, einem Benefizkonzert zum 25-jährigen Bestehen der Tauberbischofsheimer Bürgerstiftung, an dem Bürgermeisterin Anette Schmidt in ihrer Begrüßung nicht vergaß, einmal mehr das Wirken von Peter Leicht zu würdigen, der seit über drei Jahrzehnten für das Programm der Schlosskonzerte verantwortlich zeichnet. Den hinlänglich bekannten Antonio Vivaldi und die von Heavy Metal Fans – dem Klassikpublikum eher weniger – immer noch gefeierte englische Rockband „Iron Maiden“(dt.“Eiserne Jungfrau“) brachten die Stuttgarter zusammen auf die Bühne, und dabei stellte sich heraus, dass beide Protagonisten, der 1741 verstorbene Barockmusiker und die – allerdings in wechselnder Besetzung – seit 1975 existierende Rockband sich überraschend gut vertragen, wobei allerdings die unabdingbare Voraussetzung ist, dass die Stuttgarter auf Schlagzeug und elektrisch verstärkte Gitarren verzichten, gegen die ein Streichorchester nun einmal einen akustisch aussichtslosen Stand gehabt hätte.
Denn die Band „Iron Maiden“, von der hier insgesamt fünf Songs, abwechselnd mit ebenso vielen Vivaldi-Stücken interpretiert beziehungsweise für Streicher arrangiert wurden, gehört in ihrem originären Sound seit Jahrzehnten zu den lautesten Rockmusikgruppen auf unserem Planeten. Sie haben zusammen mit einigen Kollegen das ganze Heavy Metal Genre eigentlich definiert als einen unverwechselbaren Stil, gekennzeichnet durch „harte“, hämmernde, metallisch gefärbte Gitarrenriffs, die oft endlos wiederholt werden, eine primitive, aber suggestive Harmonik, die sich auf Rückungen beschränkt und darin eingeschaltete quietschende und heulende Gitarrensoli, die wohl die Stimmen auf ewig verdammter böser Geister nachahmen und heraufbeschwören sollen. Dies alles vorgetragen in oft extremen Tempi und ebenso extremer Lautstärke.
Was hat das nun mit Vivaldis Musik zu tun? Es gibt in der Tat Anknüpfungspunkte, vor allem in Vivaldis Programmmusik (aus seinen „vier Jahreszeiten“ wurden hier der „Winter“ und der „Sommer“ gespielt), deren ostinate Rhythmen und kühne, Naturgeräusche nachahmende Farben und Klangeffekte die typischen Stilmerkmale der 250 Jahre späteren Rockmusik vorweg zu nehmen scheinen. Um so mehr, wenn sie so zeitgemäß zupackend und manchmal geradezu aggressiv intoniert und phrasiert wird wie von den Stuttgarter Streicher(inne)n, die übrigens auch zwei Saiteninstrumente mitgebracht hatten in Form einer kleinen Gitarre und einer enorm langhalsigen, vierzehnsaitigen Theorbe, einer altertümlichen Laute, die als Basso continuo Instrument das Cembalo ersetzte.
Und wenn Vivaldi in seinen fünf Nummern gewissermaßen „rockig“ frisiert wurde, dazu mit umwerfend virtuosen solistischen Leistungen von drei Geiger(inne)n aus den Reihen des Ensembles, so konnte man bei den Iron Maiden Songs im vibrierenden Streichergewand, wenn man sie aufmerksam verfolgte, doch immer mal kleine überraschende Wendungen entdecken, mit denen das gewöhnlich recht stumpfsinnige Schema aufgebrochen wurde. Von einer typischen Heavy Metal Klientel werden sie im Getöse eines Liveauftritts wohl kaum gewürdigt, dafür trugen sie ihren Teil zu der mitreißenden Vorstellung bei, die vom Publikum am Ende mit stehenden Ovationen gefeiert wurde.
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