Besuch aus Tel Aviv

Eine Reise in die Familiengeschichte

Joram Brückheimers Eltern kamen aus Tauberbischofsheim, flohen aber rechtzeitig aus Nazi-Deutschland

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Heike von Brandenstein
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Geplant war eine Fahrt entlang der Romantischen Straße. Beim Blick auf die Karte entdeckten Joram Brückheimer und seine Partnerin Margrit Lakner Tauberbischofsheim. Damit begann ihre Reise in die Familiengeschichte.

Tauberbischofsheim. Joram Brückheimer steht am Grabstein seines Großvaters Max auf dem jüdischen Friedhof der Kreisstadt. Das Gras ist hoch, Kastanien vom Vorjahr liegen überall verstreut. „Mit 16 Jahren“, hat mir Joram erzählt, „war er mit seinem Vater hier und hat den Stein erneuert“, berichtet Margrit Lakner. Gut ist der Name zu lesen, darunter hebräische Schriftzüge. „Da steht, dass er ein guter, aufrechter und ehrlicher Mann war“, übersetzt der Enkel.

Im Juli sind die beiden von Würzburg aus zu ihrer Reise Richtung Füssen und den berühmten Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau aufgebrochen. Nach Tauberbischofsheim aber wollte Joram Brückheimer seine Neffen Amir und Eldad Elron sowie dessen Frau Anat Ben Pazi-Elron einladen. Sie gehören zur geschichtsinteressierten dritten Generation.

Zeitrechnung nach der Shoah

Nach dieser Zeitrechnung ist die erste Generation entweder im Konzentrationslager vergast worden, im Lager umgekommen, konnte aus Deutschland oder den besetzten Gebieten flüchten oder irgendwie überleben. „Die zweite Generation war beschäftigt, sich in einem anderen Land eine Existenz aufzubauen. Oft wurde wenig oder gar nicht über die Vergangenheit gesprochen“, erläutert Anat Ben Pazi-Elron. „Wir sind die dritte Generation und wir sind sehr interessiert, möglichst viel über die Geschichte unserer Familien zu erfahren“, sagt sie.

Amir und Eldad Elron haben noch ein Grab entdeckt, auf dessen Stein der Name Brückheimer steht. Der Vorname lässt sich schwer entziffern. Joram Brückheimer kommt als erster drauf: Lazarus – ein weiterer Verwandter. Eldad Elron dokumentiert alles per Stift und Handy. Er will einen Stammbaum der Familie Brückheimer erstellen.

Führung gut vorbereitet

Frank Schwartz von den Tauberfränkischen Heimatfreunden hat die Führung durch die Stadt auf den Spuren der Familie übernommen. Den Kontakt hatte Andrea Steffan vom Stadtarchiv vermittelt. Schwartz hat sich gut vorbereitet. Die Aufzeichnungen von Manfred Hau haben ihm dabei geholfen. Der hat die 130 jüdischen Bürgerinnen und Bürger Tauberbischofsheims, die zwischen dem 1. Januar 1933 und dem 22. Oktober 1940 ständig oder zeitweise in der Stadt lebten, dokumentiert. Der 22. Oktober war der Tag, an dem die verbliebenen 22 jüdischen Tauberbischofsheimer über Heidelberg ins südfranzösische Lager Gurs deportiert und später meist in Auschwitz vergast wurden.

Im Anschluss an den Friedhofsbesuch geht es zu den früheren Wohnhäusern der Verwandten. Max Brückheimer, der am 20. Dezember 1937 starb und dessen Grab besucht wurde, lebte in der Manggasse 2, wo heute das Naturkostgeschäft ist. Leo und Hilde Brückheimer, die Eltern von Joram Brückheimer, waren da bereits in New York. Sie emigrierten Mitte August 1937 zunächst in die USA, siedelten später nach Palästina um. In Tauberbischofsheim hatten sie in der Gartenstraße 2, heute die Nummer 3, gewohnt.

Auch zur früheren Synagoge in der Manggasse und zum Mühlkanal wird ein Abstecher gemacht. Schwartz berichtet von den Vorfällen am 3. September 1939. Alle in der Stadt lebenden jüdischen Männer seien auf dem Marktplatz zusammengetrieben worden. Ihnen wurden Schilder mit der Aufschrift „Wir sind die Kriegshetzer“ umgehängt. Man führte sie zur Synagoge, wo sie die Stufen „sauber lecken“ sollten. Anschließend befahl man ihnen, im Mühlkanal Liegestütze zu machen und im Anschluss zu rufen: „Ich danke dem Führer für dieses Freibad!“

Danach wurden die Tauberbischofsheimer jüdischen Glaubens für sechs Wochen bei geschlossenen Fenstern im jüdischen Gemeindehaus – der links vom Torbogen des Hotels „Badischen Hof“ liegende Gebäudeteil – eingesperrt. Zwei Leute durften in einer benachbarten Bäckerei täglich etwas einkaufen. Eine Frage an Frank Schwartz lautet: „Warum haben es diese 22 nicht geschafft, rechtzeitig zu fliehen?“

Gnadenlose Vernichtung

Das kann Schwartz nicht beantworten. Vielleicht wurde der Schrecken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verkannt und gedacht, dass es so schlimm nicht kommen könne. Dass die Vernichtungsmaschinerie gnadenlos lief, eine ganze Religion, Menschen mit Behinderung, Sinti, Roma und Andersdenkende ausgerottet werden sollten, war unvorstellbar.

Natürlich diskutiert er mit dem Besuch aus Israel, warum die meisten Menschen wegschauten. Frank Schwartz hat dazu eine klare Meinung: In einem totalitären System, das jedwedes Widerwort sofort mit Strafen und Sanktionen belegt, sei es schwierig, sich zu widersetzen. Schließlich gefährde man nicht nur sich selbst, sondern nach dem Prinzip der Sippenhaft die ganze Familie. „Tauberbischofsheim ist nur eine von 10 000 Städten im Deutschen Reich, wo so etwas geschah“, erläutert er.

Den Abschluss des kleinen Rundgangs bildet die Peterskapelle, auf deren Areal der Gedenkstein für die nach Gurs deportierten jüdischen Tauberbischofsheimer steht.

Weil Joram Brückheimer, der heute in Tel Aviv und Zürich lebt, das Thema Stolpersteine mit der Bürgermeisterin besprechen wollte, steht noch ein Termin mit Bürgermeisterstellvertreter Gerhard Baumann auf dem Programm. Der im Urlaub weilenden Bürgermeisterin will Joram Brückheimer einen Brief zur Sache „Stolpersteine“, die ihm sehr am Herzen liegt, schreiben.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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