Odenwald-Tauber. Jeder fünfte Jugendliche in Baden-Württemberg hat bereits Erfahrung mit Cybermobbing gemacht, indem zum Beispiel Gerüchte, Fotomontagen, Videos oder Beleidigungen über ihn in den sozialen Medien oder in Chats verbreitet wurden. Die Internetkriminalität steigt auch in der Region Odenwald-Tauber an. Im FN-Interview fordert Polizeikommissarin Sabine Hönninger eine frühzeitige Medienerziehung und gibt Eltern sowie ihren Kindern Tipps.
Frau Hönninger, Schulen haben Sie immer gerne zu Vorträgen eingeladen, in denen Sie die Jugendlichen auf die vielen Gefahren des Internets hinwiesen. Findet diese wichtige Prävention denn nun digital statt oder gibt es sie momentan gar nicht mehr?
Sabine Hönninger: Zum Glück konnte ich vor dem erneuten Lockdown im Dezember noch einige Schulen in Präsenz erreichen. Seit diesem Jahr bieten wir den Schulen auch die digitale Prävention an, und viele Termine sind noch im Juni/Juli in Präsenz geplant – sofern die Infektionslage es gestattet.
Coronabedingt verbringen die Schüler viel mehr Zeit im Internet, sei es im Homeschooling oder auch beim Chatten mit Freunden oder bei Onlinespielen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Macht Sie Ihnen Sorgen?
Hönninger: Das Homeschooling sehe ich eher als Arbeitszeit, auch für Schüler. Da kann man sicher noch einiges regeln, so dass die Schüler nicht nebenher anderen Aktivitäten nachgehen, aber das ist nicht mein Aufgabenbereich. Was das Chatten und die Onlinespiele angeht, mache mir jetzt nicht mehr Sorgen als vorher auch schon.
Gibt es denn Zahlen, die auf eine gestiegene Internetkriminalität im Main-Tauber- und Neckar-Odenwald-Kreis hinweisen? Stellen Sie zum Beispiel mehr Fälle von Cybermobbing oder unerlaubt verbreiteter Fotos fest?
Hönninger: Tatsächlich sind die Zahlen in beiden Kreisen innerhalb vier Jahren stark angestiegen. Während wir im Main-Tauber-Kreis im Jahr 2016 noch 82 Fälle von Cyberkriminalität verzeichneten, waren es ein Jahr darauf 100, 2018 dann bereits 232 Fälle, 2019 schon 258 und im Corona-Jahr 2020 495 Taten. Zum Vergleich die Zahlen aus dem Neckar-Odenwald-Kreis: 2016 registrieren wir dort bereits 254 Fälle, 2017 dann 147, 242 Taten im Jahr 2018, 334 im Jahr 2019 und 450 Fälle im Jahr 2020.
Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch viel höher, weil viele aus Scham oder Angst nichts dagegen unternehmen, das heißt, keine Anzeige erstatten, oder?
Hönninger: Ja, davon gehe ich aus. Ich stelle jedoch immer wieder fest, dass sich Schüler nach meinen Vorträgen an mich wenden und dann durch mich motiviert werden, die Dinge auch zur Anzeige zu bringen.
Cybermobbing: Hilfreiche Tipps aus dem Internet
Im Internet gibt es verschiedene Websites mit vielen Tipps und Adressen, an die man sich wenden kann. Hier ein paar Beispiele:
www.klicksafe.de: Die EU-Initiative klicksafe hilft Familien, Inhalte richtig einzuschätzen und kompetent auf sie zu reagieren. Dafür bietet sie neues Informationsmaterial, praktische Tipps und Hintergrundwissen – zum Beispiel auch zu hilfreichen Konfigurationen von WhatsApp.
www.polizei-beratung.de: Auf dieser Seite gibt es viele Ratschläge der Polizei, auch zu den Themen Cybermobbing und sexuelle Gewalt gegen Kinder. Speziell für Kinder und Jugendliche ist auch die Seite www.polizeifuerdich.de zu empfehlen.
www.schau-hin.info: Der Medienratgeber für Familien informiert Eltern und Erziehende über aktuelle Entwicklungen der Medienwelt und Wissenswertes zu verschiedenen Themen wie zum Beispiel Smartphone, Tablet, soziale Netzwerke, Games, Apps, Medienzeiten und Streaming. www.inhope.org: Inhope (Internet Hotline Providers in Europe) ist die Internationale Vereinigung der Internet-Hotlines. Der Auftrag von Inhope ist es, Kinderpornografie aus dem Internet zu entfernen und junge Menschen vor schädigenden und illegalen Inhalten des Internets zu schützen. www.jugendschutz.net: Die Seite ist das gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet. Sie fordert Anbieter und Betreiber auf, ihre Angebote so zu gestalten, dass Kinder und Jugendliche sie unbeschwert nutzen können.
www.cybermobbing-hilfe.de: Die Seite unterstützt Betroffene und betreibt konsequente Präventionsarbeit.
www.buendnis-gegen-cybermobbing.de: Das Bündnis gegen Cybermobbing hat sich zur Aufgabe gemacht Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene bei der Internetnutzung zu sensibilisieren und ihnen zu helfen, wenn sie Gefangene im Netz geworden sind.
www.mediennutzungsvertrag.de: Eine hübsche Seite, mit deren Hilfe man sich „Verträge“ ausdrucken kann, die zum Beispiel die Dauer von Handy- und TV-Nutzung festlegt und die von Eltern und Kindern unterschrieben werden.
Hilfreich ist auch die „Cyber-Mobbing Erste Hilfe App“. In kurzen Videoclips geben Coaches konkrete Verhaltenstipps und begleiten Jugendliche bei den ersten Schritten, gegen Cyber-Mobbing vorzugehen. sk
Wie soll man vorgehen, wenn man im Internet gemobbt wird?
Hönninger: Auf jeden Fall nicht antworten. Ansonsten droht die Gefahr, dass sich die Beleidigungen beziehungsweise die Mobbing-Attacken immer weiter hochschaukeln. Außerdem sollte man unbedingt Beweise sichern, zum Beispiel über Screenshots oder das Speichern von E-Mails. Außerdem sollten die Mobber gesperrt und ihre Kontaktmöglichkeiten verringert werden. Ich rate dazu, Vorfälle dem Anbieter zu melden, zudem sollte man um Entfernung oder Sperrung bitten.
Sehr hilfreich ist es auch, Experten um Rat zu fragen, beispielsweise Leute, die in der Schulsozialarbeit tätig sind.
Wichtig: Nicht vorschnell mit Eltern möglicher Täter sprechen. So könnten sich die Fronten dauerhaft verhärten. Bei Cybermobbing im Schulumfeld unbedingt die Lehrkraft informieren und in besonders schlimmen Fällen die Polizei einschalten.
Eine Nichtnutzung von Handy und Internet hat selten Erfolg.
Was können Eltern tun, die den Verdacht haben, dass ihr Kind aus Scham etwas verschweigt ?
Hönninger: Wie man das am besten macht, kann wohl besser ein Psychologe, Schulsozialarbeiter oder Pädagoge erklären. Ich denke, es ist wichtig, dass die Eltern ihrem Kind signalisieren, dass es ihnen alles anvertrauen kann und keine Angst davor zu haben braucht, Ärger mit ihnen zu bekommen – einfach die Bereitschaft zeigen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Meist ist es ja so, dass es sich bei den Kindern um Opfer und nicht um Täter handelt. Das versuche ich auch den Schülern immer klar zu machen, dass nicht sie schuld sind, sondern der Täter oder die Täterin. Solchen Leuten heißt es zu zeigen, dass es so nicht geht.
Unternehme ich als Opfer nichts, signalisiere ich ja, dass der Täter damit durchkommt und es wieder versucht.
Woran kann man möglicherweise erkennen, dass ein Kind oder ein Jugendlicher gemobbt wird?
Hönninger: Klassisch hierfür sind natürlich physische Anzeichen wie Bauchschmerzen oder Kopfweh. Weitere Anzeichen sind, wenn das Kind nicht oder nur widerwillig zur Schule gehen möchte. Wenn es sich zurückzieht, wenn es um das Thema Schule geht. Wenn es das Handy nicht mehr so oft benutzt und auch weniger im Internet surft. Darüber kann man sich auf verschiedenen Internetseiten informieren.
Ein Anzeichen könnte auch sein, wenn das Kind nach Veränderungen bei lang etablierten Routinen fragt, zum Beispiel wie dem Schulbus oder dem Samstag auf dem Spielplatz. Wenn es sich auffallend anders verhält, nachdem es am Computer war oder telefoniert hat.
Man sollte auch hellhörig werden, wenn das Kind nach mehr Geld für das Mittagessen oder den Bus fragt, ohne dafür eine verständliche Erklärung vorzubringen.
Und, ganz klar, wenn es mit Verletzungen oder blauen Flecken nach Hause kommt.
Wie groß ist eigentlich das Unrechtsbewusstsein dieser Leute, die andere mobben oder unerlaubt Bilder (sei es auch „nur“ aus dem Unterricht) verbreiten? Wissen die überhaupt, dass das alles Straftaten sind? Welche Strafen stehen eigentlich auf Cybermobbing & Co?
Hönninger: Viele denken, weil andere das auch machen ist das schon in Ordnung. Die Schüler jedoch, die unser Präventionsprogramm durchlaufen haben, wissen sehr genau, was erlaubt ist und was nicht und wo der Spaß aufhört. Diejenigen, die es trotzdem machen, denken sich wahrscheinlich, dass ihnen schon nichts passieren wird – wohlwissend, dass man das nicht darf. Bei Cybermobbing können sehr viele verschiedene Straftaten in Betracht kommen. So zum Beispiel Verstöße gegen das Recht am eigenen Bild, üble Nachrede ( § 186 StGB), Beleidigung (§185 StGB), Verleumdung (§187 StGB), aber auch Körperverletzung (§ 223 StGB) und vieles mehr.
Und wie kommt man diesen Menschen überhaupt auf die Schliche?
Hönninger: Teilweise tatsächlich durch Anzeigen von Geschädigten oder durch die Meldemöglichkeiten auf den verschiedenen Plattformen.
Die Polizei führt regelmäßig eigene Recherchen im Internet durch. Diese erfolgen anlassunabhängig als polizeiliche Fahndungsmaßnahme zur Gefahrenabwehr. Bei konkreten Hinweisen der Bevölkerung oder anderer Dienststellen sowie bei Anzeigen nimmt die Polizei Ermittlungen auf. Die Beamten gehen dabei nach kriminalistischen Gesichtspunkten vor und beachten selbstverständlich rechtliche Vorgaben, damit die auf diese Weise erlangten Informationen national wie auch international als Beweismittel vor Gericht Bestand haben.
Was kann man - außer sich „sichere“ Passwörter zuzulegen -, selbst noch tun, um sich vor Internetkriminellen zu schützen?
Hönninger: Da gibt es so einiges. Für die Schüler ist zunächst mal wichtig so wenig wie möglich von sich preiszugeben, sei es der Name, das Geburtsdatum, ein Profilbild oder die Handynummer - und schon gar nicht die Wohnanschrift. Am besten sollte man in Profilen keine Angaben zu seinem Alter machen. Empfehlenswert ist es, sein Profil auf „Privat“ einzustellen, damit man die Kontrolle darüber behält, wer Zugriff auf Bilder oder Inhalte hat. Aber auch hier sollte man überlegen: Poste ich das Bild? Darf es jeder meiner Freunde sehen und somit auch downloaden? Damit man nicht einfach einer Gruppe hinzugefügt wird, kann man diese Funktion bei WhatsApp in den Einstellungen sperren, so dass dies erst gar nicht möglich ist. Ich denke, es ist auch ein ständiges Weiterlernen und Informieren wichtig.
Bei Klicksafe.de heißt es etwa zum Thema WhatsApp: „In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass WhatsApp-Nutzer von Unbekannten zu Gruppenchats hinzugefügt wurden. In den Chats wurden dann illegale Inhalte gepostet, die durch den automatischen Download (siehe automatischen Download deaktivieren) auch auf den Handys von nichtsahnenden Personen landeten.“
Wie groß schätzen Sie die Gefahren von Plattformen wie Facebook, Instagram und Tiktok ein? Gerade junge Mädchen sind ja versucht, sich dort von ihrer schönsten Seite zu zeigen, und posten Bilder, die für immer im Internet zu finden sind.
Hönninger: Ich denke, dass sie große Gefahren bergen. Für Mädchen wie Jungs sind das natürlich tolle Plattformen, durch die man vermeintlich sein Selbstwertgefühl aufbessert, indem man Likes bekommt und die Zahl der Follower wächst. Durch die vielen verschiedenen Filter sieht alles und jeder besser aus – es ist aber nicht echt. Was dieses Verhalten angeht, muss meiner Meinung nach frühzeitig mit der Medienerziehung begonnen werden.
Da gibt es gute Internetangebote, bei denen alles schon aufbereitet ist. Von einem Erwachsenen kann man, denke ich, erwarten, dass er selbst aktiv wird und sich informiert.
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