Odenwald-Tauber/Stuttgart. Nach den Apothekern machen nun die niedergelassenen Ärzte in Baden-Württemberg gegen die nach ihrer Meinung in die falsche Richtung laufende Gesundheitspolitik von Minister Karl Lauterbach massiv mobil. Am Mittwoch, 21. Juni, ab 13 Uhr ist auf dem Stuttgarter Schlossplatz eine große Protestkundgebung geplant, zu der sich bereits mehrere tausend Mediziner und Psychotherapeuten angemeldet haben.
Kritik an Neupatientenregelung
Der fachübergreifende Ärzteverband Medi zeichnet für die Aktion in der Landeshauptstadt verantwortlich. Ursache für den Protest: Die mutmaßlichen Fehlentscheidungen der Berliner Gesundheitspolitik. Sie gefährde laut Verband die ambulante Versorgung nachhaltig. „Wir gehen davon aus, dass es noch viel mehr werden“, sagt Dr. Michael Eckstein, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Medi Baden-Württemberg, Hausarzt aus Reilingen. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern aus dem Verband hat er die Protestaktion initiiert. „Die Stimmung ist bei den niedergelassenen Kollegen an einem Tiefpunkt angelangt. Die jüngst abgeschaffte Neupatientenregelung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Das merken auch die Patienten deutlich, weil sie monatelang auf einen Termin beim Facharzt warten müssen. Es geht um die Zukunft und Sicherung unserer ambulanten Versorgung“, so Eckstein.
Zum Hintergrund: Die Neupatientenregelung wurde 2019 gesetzlich beschlossen und eingeführt, um neue Ressourcen bei Fachärzten zu schaffen und schnellere Terminvergaben zu ermöglichen.
Diese Regelung wurde Anfang des Jahres abgeschafft. Außerdem bringen ein massiver Fachkräftemangel bei den Medizinischen Fachangestellten sowie die zunehmende Bürokratisierung und ineffiziente Digitalisierung niedergelassene Praxen ans Limit. „Wir werden zu Fachärzten für Bürokratie und haben dadurch immer weniger Zeit für die sprechende Medizin und die Behandlung unserer Patienten“, kritisiert die Allgemeinmedizinerin Dr. Cathérine Hetzer-Baumann aus Altenriet. Sie ist Sprecherin des Nachwuchsprogramms Young Medi und engagiert sich für bessere Bedingungen in der ambulanten Versorgung – vor allem für die jüngere Ärzteschaft. „Wenn die Politik so weitermacht, können wir den ärztlichen Nachwuchs nicht mehr für die Niederlassung gewinnen. Dann haben wir ein massives Problem, das sich jetzt schon deutlich abzeichnet“, warnt Hetzer-Baumann.
Auch Medi-Vorstandsvorsitzender und Allgemeinmediziner Dr. Werner Baumgärtner kritisiert die politischen Bedingungen für die niedergelassenen Ärzte: „Wir arbeiten mit einer Gebührenordnung, die über 30 Jahre alt ist und werden trotz einer Inflation von sieben Prozent mit zwei Prozent Honorarsteigerung beim EBM, dem einheitlichen Bewertungsmaßstab, abgespeist. Hinzu kommt, dass wir durch die Budgetierung erbrachte Leistungen gar nicht bezahlt bekommen. Das gibt es in keiner anderen Branche.“
„Die Corona-Pandemie und der vergangene Herbst und Winter mit einem Rekord an Infekten hat gezeigt, wie wichtig die ambulante Versorgung innerhalb des Gesundheitssystems ist. Hinzu kommt die immer älter werdende Bevölkerung sowie die steigende Anzahl an Menschen mit chronischen Erkrankungen und psychischen Problemen. Wir befinden uns an einem absoluten Kipppunkt“, ergänzt der stellvertretende Medi-Vorstandsvorsitzende und Kardiologe Dr. Norbert Smetak.
Die geplante Aktion von Medi wird von diesen weiteren Ärzteverbänden unterstützt: Hausärzteverband Baden-Württemberg, Spitzenverband der Fachärztlichen Berufsverbände in Baden-Württemberg, Spitzenverband Fachärzte Deutschlands, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, Berufsverband der Frauenärzte, Hessenmed, Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie, Berufsverband Deutscher Internisten, Medi Geno Deutschland und Dentimed.
Auf dem Stuttgarter Schlossplatz sprechen von 13 bis 15 Uhr Ärzte und Medizinische Fachangestellte auf der Bühne zur aktuellen Gesundheitspolitik und zu den Problemen der künftigen Versorgung. Außerdem präsentiert ein Comedian die Patientensicht. Für eine Notfallvertretung für die Patienten ist an diesem Tag gesorgt.
Erster Protest seit Jahren
Dr. Sebastian Gerstenkorn, Chef der Kreisärzteschaft Tauberbischofsheim, teilt im Gespräch mit den FN mit, dass der gesamte Berufsstand mittlerweile genug habe von den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. „Dies ist der erste Protest dieser Art seit mehr als 15 Jahren“, so Gerstenkorn, der explizit betont, dass auch zahlreiche Mediziner aus der Region am Mittwoch sich auf den Weg nach Stuttgart machen, um sich für eine deutliche Verbesserung der Situation für ihren Berufsstand einzusetzen.
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