Seckach. Joachim Bahndorf sehnt die Nächte in Darfur herbei, wenn die Temperaturen von 50 Grad auf etwa 35 Grad fallen und zuweilen ein leichter Wind weht. Wenn der Lärm und der Staub sich legen und Frieden einzukehren scheint in dem von Chaos und Gewalt gezeichneten Gebiet. Doch in dieser Nacht hört er ein fernes Brummen wie das eines Hornissenschwarms. Das Geräusch wird allmählich lauter und bedrohlicher. Dann sieht er Lichter, immer mehr, unzählige. Sie beginnen zu tanzen, werden immer größer. Am nächsten Tag wird Bahndorf aus UN-Berichten erfahren, dass etwa 600 Männer mit ihren Mopeds vom nahen Tschad nach Darfur gefahren sind. Sie sind auf ihrem Weg in die Regionshauptstadt über Dörfer hergefallen, haben gemordet und geplündert.
Enthauptete Personen
Soldaten begeben sich in Stellung. Schüsse, Pulverdampf. Nach einer Stunde ist alles vorbei. Die Horde hat sich in den Tschad zurückgezogen. Am nächsten Tag liegen enthauptete Personen und abgetrennte Gliedmaßen auf den Straßen. Es ist von rund 200 Toten und 800 Verletzten die Rede. Auslöser des Gemetzels soll der Streit zwischen zwei Stämmen um eine Ziege gewesen sein.
Der Sudan
Die Republik Sudan zählt rund 45 Millionen Einwohner, die auf einer Fläche von mehr als 1,8 Millionen Quadratkilometer leben.
Das Land ist etwa fünfmal so groß wie Deutschland. Es grenzt im Norden an Ägypten, im Osten an Eritrea, im Südosten an Äthiopien, im Süden an Südsudan, im Südwesten an die Zentralafrikanische Republik, im Westen an den Tschad und im Nordwesten an Libyen.
Amtssprachen sind Englisch und Arabisch.
Nach Angaben der Uno leben in dem Land etwa fünf Millionen Binnenvertriebene aufgrund von Stammeskämpfen. Für dieses hat die Uno spezielle Lager eingerichtet. mb
Eigentlich könnte der 63-jährige Joachim Bahndorf seinen Ruhestand in Seckach genießen. Er könnte sich seinen Hobbys Bergsteigen, Skifahren oder Radfahren widmen. Doch stattdessen brach er am 15. April in den Sudan auf, in ein Land, das nach einem Putsch im Oktober 2021 von einer Militärdiktatur regiert wird und in dem Millionen von Menschen an Hunger leiden. Bahndorf ist Leitender Polizeiberater bei der UN und deren Entwicklungsprogramm für den Sudan, der UNDP-Mission. Auseinandersetzungen zwischen den insgesamt etwa 400 verschiedenen Volksstämmen brechen immer wieder aus, landesweit. Sie streiten um Ressourcen wie Wasser und Brot. Rund 14 Millionen Menschen kämpfen in diesem Land täglich ums Überleben.
40 Jahre lang war Bahndorf als Polizist für das Land Baden-Württemberg tätig, zuletzt als Polizeihauptkommissar in Eberbach. Seine erste Auslandsmission absolvierte er 2009 im Kosovo. Dort führte er mit multinationalen Einheiten als leitender Polizeiberater ein Polizeirevier in der Region Prizren und baute die Strukturen nach internationalem Standard mit auf.
Tödlichem Attentat entkommen
Bei einem anderen Auslandseinsatz in Afghanistan war er nur durch Zufall einem tödlichen Attentat entkommen. Und an der Küste der griechischen Insel Chios im Rahmen der Frontex-Mission sah er, wie die Küstenwache unter anderem tote Flüchtlinge aus dem Meer zog, darunter auch Kinder. Da mutete der Einsatz in Georgien harmlos an. Hier patrouillierte er an der Grenze zu der abtrünnigen Republik Nordossetien und hatte Minenfelder anhand einer Karte zu umfahren.
Etwa eineinhalb Jahre hielt Bahndorf das unaufgeregte Leben als Pensionär aus. Als das Auswärtige Amt im vergangenen Jahr anfragte, ob er sich an einer UN-Mission im Sudan beteiligen wollte, sagte er zu. Er absolvierte die Auswahlverfahren und unterzeichnete einen Vertrag über ein Jahr mit Verlängerungsoption. Er neigt dazu, länger in dem Land am Roten Meer zu bleiben, obwohl der Einsatz für ihn in psychischer und physischer Hinsicht eine enorme Herausforderung bedeutet. „Jetzt habe ich mein Netzwerk hier aufgebaut und bin handlungsfähig“, erklärt er. Er will seinen Beitrag leisten, rechtsstaatliche Sicherheitsstrukturen in dem nordostafrikanischen Land mit aufzubauen. „Denn wenn das nicht gelingt, dann bleibt den Menschen nichts Anderes übrig, als nach Europa zu fliehen.“ Seiner Meinung nach erscheint es sinnvoller, dass die internationale Gemeinschaft versucht, die jeweiligen Missstände und Probleme vor Ort zu lösen und das Land beim Wiederaufbau zu unterstützen.
Bahndorf reist regelmäßig mit Flugzeug und Hubschrauber durch den Sudan, bewertet und berät örtliche Polizeikräfte und schult Staatsanwälte und Polizisten mit seinen internationalen Mitarbeitern. Er hält Vorträge über den rechtsstaatlich korrekten Einsatz von Polizeikräften auf Demonstrationen und über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei. „Das Wichtigste in dem Land ist zunächst der Aufbau einer rechtsstaatlich funktionierenden Inneren Sicherheit. Davon hängen alle weiteren Ausbaumaßnahmen ab“, sagt er.
Die Polizei im Sudan ist dem Militär unterstellt. „Das müsste sich als Erstes ändern“, sagt der Seckacher. Außerdem fehle es an Fahrzeugen, Kommunikationsmitteln und einer IT-Infrastruktur. „Bei Demos ist die Polizei überfordert und macht immer wieder von der Schusswaffe Gebrauch“, stellt er fest. Wenn er einheimischen Kollegen von seinem Einsatz auf dem G7-Gipfel in Hamburg im Jahr 2016 erzählt, schauen ihn die Sudanesen erstaunt an und fragen: „Warum habt ihr nicht geschossen?“ Ein Staatsanwalt habe ihm ein Video von einem Polizisten gezeigt, der einen wehrlosen Demonstranten erschießt. „Was soll ich machen?“, habe dieser gefragt. „Ich kann doch nicht gegen die Polizei ermitteln.“ Ein anderer Staatsanwalt kann die Haftbedingungen in Gefängnissen nicht überprüfen, weil er über kein Auto verfügt und somit diese Einrichtungen nicht erreichen kann.
Kreuzigung als Strafe
Im Rahmen seiner Mission hat Bahndorf auch Gefängnisse besucht. Dort befinden sich Kreuze und Galgen, denn Aufhängen und Kreuzigung zählen zu möglichen Strafen. „Es gibt viele Baustellen“, sagt der Deutsche. Doch er erzählt auch von positiven Erfahrungen. So dürfen in einigen wenigen Regionen inhaftierte Frauen tagsüber das Gefängnis verlassen, um in einer Schule lesen und schreiben zu lernen. Andere Straftäter absolvieren als Freigänger einen Ausbildungsberuf.
Abseits seiner beruflichen Tätigkeit ist der 63-Jährige immer wieder beeindruckt von Begegnungen und Erfahrungen. Die Hauptstadt Khartum, wo Bahndorf wohnt, liegt am Weißen und am Blauen Nil. Entnimmt man von beiden Gewässern Wasser, so vermischt sich das nicht. Man hat zwei Farben im Glas. Und in der Regenzeit steht in den Straßen der Hauptstadt das Wasser einen halben Meter hoch, Krokodile werden angeschwemmt und liegen in den Straßen.
Große Gastfreundschaft
„Es herrscht hier eine große Gastfreundschaft“, erzählt der Seckacher. „Das Wort ,Tamam’, das so viel wie ,Alles klar?’ bedeutet, ist ein Türöffner.“ Man werde zu Kaffee oder Tee eingeladen. Frauen könnten sich nachts gefahrlos durch die Straßen der Hauptstadt bewegen, ohne belästigt zu werden.
Was Bahndorf immer wieder berührt, ist das große Elend im Land. Hunderttausende Sudanesen sind obdachlos wegen Überschwemmungen oder der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Volksstämmen, weitere hunderttausende befinden sich auf der Flucht und etwa 14 Millionen Menschen leiden an Hunger.
Wenn er in Khartum von seinem Büro zu seiner Wohnung fährt, sieht er Menschen in ihrem Elend an den Straßenrändern liegen. Da kommt es ihm surreal vor, dass er an der Planung eines deutsch-amerikanischen Oktoberfests für Mitglieder der UN-Missionen beteiligt war. Amerikaner und Deutsche brachten dafür von ihrem jeweiligen Heimaturlaub Spezialitäten und Utensilien mit in den Sudan, Joachim Bahndorf einen Koffer mit 30 Rettichen aus dem Odenwald. „Dies war jedoch eine erfolgreiche und willkommene Abwechslung in dem geschundenen Land“, sagt er.
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