Niederstetten. Zwei Farben, rot und grün, eine eingeschworene Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Ziel: der Niederstettener Winzertanz feierte jetzt sein einhundertjähriges Bestehen mit einem großen Festakt. Überraschung: Arnd Wollinger, der langjährige Leiter der Tanzgruppe, wurde für seine herausragenden Verdienste um Stadt und Bevölkerung mit der Bürgermedaille ausgezeichnet.
Was für ein Jubiläumsfest: Passend mit einer Sechser-Weinprobe und einem bunten und fröhlichen Programm wurde in der Frickentalhalle gefeiert. Rund 350 Gäste nahmen teil, moderiert wurde der rund vierstündige Festakt vom langjährigen Leiter Arnd Wollinger und Friederike Schülke.
Hundert Jahre Winzertanz, das sei eine „stolze Wegmarke“, so Bürgermeisterin Heike Naber im aufwändig geschmückten und atmosphärisch beleuchteten Freiluft-Saal. Die beiden Kostümfarben, sie „sind mehr als nur Stoff“. Es stecke bei allen Teilnehmern über die vielen Jahrzehnte jede Menge Herzblut in ihrem Engagement. Der Winzertanz, er sei „einer der lebendigsten Bräuche in der Region“. Er sei ein Symbol für Zusammenhalt und Heimatverbundenheit. Die Teilnahme schweiße zusammen, „wer einmal mitgetanzt hat, gehört zur Winzerfamilie“ – ein „echtes Gemeinschaftsprojekt“. Modernes Brauchtum, gelebtes Kulturgut, das schaffe Identität, Begeisterung. Hier werde nicht einfach ein Traditionstanz bewahrt, „sondern er lebt“, so Naber. Die Bürgermeisterin würdigte auch den Einsatz der Vorbachtaler Musikanten, die jedes Jahr beim Herbstfest für die musikalische Untermalung mit dem berühmten „Galopp“ sorgen.
Die ersten Kostüm-Stoffe stiftete Wilhelm Bernheim
Die Kinder-Winzer Thea Wollinger und Sven Dietz brachten im Anschluss den legendären Konkurrenz-Streit zwischen Rot und Grün in liebenswerter Weise auf den Punkt: Am Ende zählt aber doch nur Eines – „Hauptsache Winzertanz“. Die Leiter-Liste seit den ersten Aufführungen seit 1925: Richard Knenlein, Ernst Weigel, Ernst Wollinger, dessen Sohn Arnd und heute Christian Menikheim.
Besonders gewürdigt wurde die großzügige Spende der Stoffe für die Ur-Kostüme durch den ehemaligen Mitbürger und Fabrikanten Wilhelm Bernheim. Alles wurde vor hundert Jahren von Hand genäht und aufwändig bestickt – bis nach der Jahrtausendwende kamen die „Bernheim-Kostüme“ noch zum Einsatz. 24 Paare führten den Winzertanz auf, über die wechselvolle Geschichte des Tanzes steigerten sich die Teilnehmerzahlen zuletzt enorm. Begrüßt wurde bei der Feier u.a. Paula Melber, eine der ältesten noch lebenden Winzertänzerinnen.
Ulrich Roth („ich heiße Roth, bin aber ein grüner Winzer“) führte durch die Weinprobe. Er gab zusammen mit Vertretern der Weingärtner Markelsheim einen Überblick über den Weinbau in der Vorbachtalstadt. Speziell zum Hundertjährigen wurde ein Jubiläumswein abgefüllt. Der Verkauf dieser Sonderedition soll zusammen mit einem „Winzertanz-Merchandising“ die Anschaffung neuer Kostüme unterstützen. WG-Geschäftsführer Michael Schmitt würdigte bei der Probe die hervorragend organisierte Veranstaltung. Er habe selten an so einer gelungenen Veranstaltung bis hin zum perfekten Tischservice teilgenommen. „Grün“ hat bei der WG übrigens klar die Oberhand: Aus den 23 Rebsorten im Genossenschaftsgebiet werden neun rote und 14 Weißweine („grüne“) ausgebaut. In Niederstetten erstreckt sich der Weinbau heute allerdings nur noch auf wenige Hektar Rebfläche.
Berühmter „Galopp“ nach Gehör rekonstruiert
Ein besonderer Gast bei der Feier: der klassische Musiker und Komponist Hartmut Schmitt aus Salzburg. Die traditionelle Begleitmusik samt Noten zum Tanz gingen über die Zeiten verloren. Fritz Jäck und Otto Nörr hatten sie nach Gehör rekonstruiert. Der gebürtige Niederstettener Schmidt hatte die Melodie um 1975 neu gesetzt. Seine klassische Version wurde dann zum heutigen, eingängigen Winzertanz-Galopp.
Eingegangen wurde auch auf die vielfältigen Bräuche und Rituale der Winzertänzer. Seit 1990 gibt es die so genannten Könige, die jeweils dienstältesten (männlichen) Tänzer beider Farben. Sie wurden jetzt offiziell geehrt und gekrönt.
Gemeinderat einstimmig für hohe Ehrung
Überrraschungs-Höhepunkt des Festes war die Auszeichnung von Arnd Wollinger mit der Bürgerehrenmedaille der Stadt. Auch sein Vater Ernst erhielt (als erster Niederstettener) diese hohe Ehrung. Christian Menikheim hielt die Laudatio: Arnd Wollinger sei nicht nur ein „perfekter Organisator“ des Tanzes über zwei Jahrzehnte hinweg gewesen. Er habe, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, auch beim Freilichttheater im Tempele die Abendspielleitung inne. Als solcher ist er der Verantwortliche für die korrekte Umsetzung der Regie, für die Koordination zwischen Technik und Bühne, sorgt allabendlich für Ruhe und den richtigen Einsatz hinter den Kulissen. Im Bereich Volleyball sei er der Motor der überaus erfolgreichen Entwicklung dieser Abteilung bis hin zum Förderzentrum. Wollinger gehört auch dem Organisationsteam „Winzertanz-Jubiläum“ an. Bürgermeisterin Heike Naber überreichte mit persönlichen Worten und namens des Gemeinderats die Auszeichnung mit Urkunde und Medaille. Das Bürgergremium hatte sich einstimmig für die Ehrung ausgesprochen.
Was macht das ganz Besondere, den unsichtbaren Kern des Winzertanzes aus? Es sei dieses jährliche Zusammenkommen aus ganz unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, die jeden Einzelnen mitreißende Mischung aus „Bewahrung und Bewegung“, so Friederike Schülke. Der tief in der Stadtgeschichte verwurzelte Tanz sei für viele ein wichtiger und im Innersten berührender Teil des Erwachsenwerdens, ein bleibendes Lebensgefühl und das stolze Bewusstsein „jetzt gehöre ich dazu“.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/niederstetten_artikel,-niederstetten-rot-gruen-und-100-jahre-herzblut-niederstetten-feiert-den-winzertanz-_arid,2316490.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/niederstetten.html