Niederstetten. Mit „eigenen Wahrheiten“ unterwegs: Bürgermeisterin Heike Naber hat Rathaus-Mitarbeiter vor Ratssitzungen gezielt auf Kurs gebracht. Das sagen die Bürgermeisterstellvertreter nach den jüngsten Anhörungen im Rathaus.
Niederstetten. Einstimmig fiel nichtöffentlich am 21. April 2021 in Niederstetten der Gemeinderatsbeschluss, Bürgermeisterin Heike Naber wegen des Verdachts auf den Straftatbestand der Haushaltsuntreue anzuzeigen. Hintergrund sind bislang noch nicht bekannt gewesene und nicht durch einen Ratsbeschluss gedeckelte Architektenhonorare in Höhe von rund 84 000 Euro, die durch Naber „aus der Stadtkasse“ finanziert worden seien, so die vier Bürgermeisterstellvertreter und ein Listensprecher bei einem Vor-Ort-Termin am frühen Mittwochabend im Rathaus Niederstetten. Das ist Anzeige Nummer zwei – es läuft bereits ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Naber bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung (die FN berichteten).
Der Gemeinderat hat in der April-Sitzung auch beschlossen, beim Regierungspräsidium Stuttgart einen Antrag nach der Gemeindeordnung zu stellen. Ziel: Die Amtszeit von Naber via Paragraf 128 Gemeindeordnung vorzeitig für beendet zu erklären. Aktuell ist die Bürgermeisterin nach einer Eilentscheidung des Landratsamts Main-Tauber vorläufig des Amtes enthoben worden.
Die Geschäfte im Rathaus laufen nach der „Aktion Rathausschließung“ vom Montag der Vorwoche wieder normal weiter. Bürger können jegliche Verwaltungsgeschäfte wieder (unter Coronaregeln) wie gewohnt erledigen. Die vier ehrenamtlichen Bürgermeisterstellvertreter haben je eigene Ressorts übernommen und teilen sich so die anfallende Arbeit.
Krankheiten und Kündigungen
Bekannt wurden jetzt nach einer Mitarbeiteranhörung durch den Sachverständigen Landrat a.D. Klaus Brodbeck auch Details zur mehrfach kritisierten „krankmachenden Amtsführung“ der Bürgermeisterin. Es gab vor diesem Hintergrund offenbar Eigen-Kündigungen langjähriger Rathausmitarbeiter. Zuletzt hatte unmittelbar nach der Rückkehr-Ankündigung von Naber eine Verwaltungsmitarbeiterin „hingeschmissen“. Mehrere Mitarbeiter seien seit Nabers Amtsantritt offenbar wegen Erkrankungen im psychosomatischen Formenkreis arbeitsunfähig gewesen. Der Zusammenhang mit der Art der „Mitarbeiterführung“ sei deutlich. Naber behauptet dagegen, besonders mitarbeiterfreundlich gewesen zu sein.
Zu gesundheitlichen Details gaben die Stellvertreter wegen ihrer Verschwiegenheitspflicht keine Auskunft. Landrat Reinhard Frank sei aber die ausführliche Dokumentation bereits zugänglich gemacht worden. „Mitarbeiter haben zugesagt, dass sie bei einem Gerichtsverfahren dazu auch aussagen werden“, hieß es vonseiten der Stellvertreter.
Ein pikantes Detail schilderten die Ehrenamtlichen auf eine Nachfrage der FN-Redaktion: Demnach habe Naber vor Ratssitzungen mit Mitarbeitern gezielt in Einzelgesprächen geprobt und vorgegeben, was diese sagen durften und was nicht – unbeschadet „ob es der Wahrheit entspricht oder nicht“, so die Bürgermeisterstellvertreter. Teilweise habe die Bürgermeisterin wiederum ihre Mitarbeiter öffentlich vor dem Gemeinderat bloßgestellt und Stellungnahmen zu Verwaltungsvorgängen „abgefragt“, die sie längst persönlich an sich gezogen hatte.
Zum jüngsten Vorhalt der Bürgermeisterin via Pressemitteilung, der Rat betreibe eine andauernde „Blockadepolitik“ (FN vom 4. Mai) verwiesen die Stellvertreter auf mehrfache und wiederkehrende Angebote zur Aufarbeitung von Dienstvergehen an die Adresse der Bürgermeisterin in der Vergangenheit.
Gesprächsoffen – Stimmt nicht
Dass Naber, wie sie sich selber darstellt, gesprächsoffen sei, stimme nicht. Stadtrat Roland Landwehr etwa machte deutlich, dass Naber seine Gesprächsangebote niemals angenommen habe. Später habe er nicht einmal mehr eine Antwort auf seine Schreiben bekommen.
Insgesamt sei man zu keiner Zeit vorschnell an die Öffentlichkeit gegangen. Im Gegenteil: Man habe der Bürgermeisterin bis zur Amtsenthebung immer über längere Fristen hinweg Gelegenheit zu Erklärung und Reaktion gegeben. Allerdings habe man auch feststellen müssen, dass Naber in ihrer mehrmonatigen Krankheitszeit und im Zusammenhang mit ihrer geplanten Rückkehr ins Rathaus sich nicht mit ihren Stellvertretern ins Benehmen gesetzt und sie informiert habe.
Im August vergangenen Jahres hatte Naber nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde ihre Kompetenzüberschreitungen erstmals öffentlich und klar bei einer Bürgerversammlung eingeräumt. Der Rat wollte aber nicht eine formale Entschuldigung, sondern eine umfassende Aufklärung der Verwaltungsvorgänge unter aktiver und offensiver Mitwirkung der Bürgermeisterin. Die habe es nicht gegeben; der Rat musste seinerseits aktiv werden. „Frau Naber hat nach ihrer öffentlichen Entschuldigung“ wegen ihrer Alleingänge „die gleichen Dienstvergehen weiter begangen“, formulierte Stadtrat Klaus Lahr in Bezug auf die neuen Enthüllungen im Zuge der jüngst erfolgten „Buchprüfung“ im Rathaus.
„Trennung“ einzige Lösung
Die Dienstenthebung Nabers wertet Listensprecher Roland Landwehr so: „Das Landratsamt hat erkannt, dass die Lösung nur heißen kann, sich von Frau Naber zu trennen“. Klaus Lahr: „Wir sind offen zu jedem vernünftigen Gespräch zur Beendigung“ – gemeint ist ein Amtsverzicht der Bürgermeisterin.
Dass von Naber öffentlich immer wieder „alternative Wahrheiten“ vermittelt würden – da sind sich die Stellvertreter einig. Sie geben ihren verbliebenen Kritikern allerdings zu bedenken, dass konkrete Dienstvergehen auch nachgewiesen worden seien. Wenn alle – Stadträte und Mitarbeiter – nicht mehr mit der Bürgermeisterin zusammenarbeiten können und wollen, dann sei es „sicher sinnvoll, sich zu fragen, warum das so ist.“
Thema bei dem Treffen war auch die Situation der Bürgermeisterstellvertreter. Weil man damit rechne, dass sich der Prozess noch hinzieht und das Quartett „auch“ noch bürgerlichen Berufen nachgeht, stehe man in der Diskussion, ob man die Interims-Rathausleitung einem „Amtsverweser“ übergeben solle. Das Landratsamt stehe prinzipiell hinter einem solchen Schritt, sei hier aber nicht unterstützend tätig. Sprich: Der Gemeiderat muss sich einen solchen „Amtsleiter-Springer“ selber suchen. Und bezahlen.
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