Köhl-Kaserne Niederstetten im Visier

Geheimplan Tag X: Wie radikale Netzwerke Bundeswehrstandort ausspähten

Reichsbürger planten einen Staatsstreich: Neue Recherchen zeigen, wie sie Bundeswehrkasernen ausspionierten – darunter die Köhl-Kaserne in Niederstetten.

Von 
Michael Weber-Schwarz
Lesedauer: 
Nach dem Ende des ersten Verhandlungstages gegen die mutmaßliche „Reichsbürger“-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß wird der Angeklagte Rüdiger von Pescatore (links) von Polizisten aus dem Gerichtsgebäude geführt. © picture alliance/dpa

Niederstetten. Von einer Kaserne in Bayern aus planten mutmaßliche Reichsbürger und Verschwörungsideologen einen Staatsstreich in Deutschland. Die Gruppe rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß bereitete den gewaltsamen Umsturz systematisch vor – mit Waffen, Ausrüstung und einem eigenen militärischen Arm. In einem Podcast wird aktuell über konkrete Ausspähaktionen berichtet. Im Fokus steht dabei auch die Bundeswehrkaserne in Niederstetten.

Im Sommer 2021 formierte sich in Deutschland eine Gruppe, die sich selbst „Patriotische Union“ nannte. Dabei handelte es sich um einen Zusammenschluss aus Reichsbürgern und Verschwörungsideologen, darunter Anhänger der QAnon-Bewegung, bei denen sich antisemitische, anti-elitäre und esoterische Narrative vermischen. Im Zentrum der Gruppe stand Heinrich XIII. Prinz Reuß, der sich selbst als legitimen Vertreter eines deutschen Kaiserreichs sieht und laut Anklage als staatsfeindlich gilt.

Mit Gewalt gegen die Ordung der Republik

Laut Bundesanwaltschaft verfolgte die Gruppe das Ziel, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam abzuschaffen. Auch Entführungen und Exekutionen sollen Teil der Pläne gewesen sein. Die Anklage wirft den Mitgliedern vor, einen Umsturz geplant zu haben, inklusive der Erstürmung des Bundestags, der Festsetzung führender Politikerinnen und Politiker und der Errichtung einer neuen, selbst ernannten Übergangsregierung.

Der militärische Zweig der Gruppierung, intern als M-Stab bezeichnet, war mutmaßlich unter der Führung des ehemaligen Bundeswehr-Oberstleutnants Rüdiger von Pescatore organisiert. Dieser kommandierte einst das Fallschirmjägerbataillon 251 in Calw, eine Vorläufereinheit des heutigen Kommandos Spezialkräfte (KSK).

Militärischer Arm spioniert Kasernen aus

Nach monatelangen Vorbereitungen traf der M-Stab am 3. November 2022 nach bisherigen Erkenntnissen die Entscheidung, das künftige Hauptquartier des geplanten Umsturzes in der Lechfeld-Kaserne bei Augsburg und dem angrenzenden Fliegerhorst einzurichten. Von dort aus sollte der sogenannte Tag X, also der Beginn des gewaltsamen Machtwechsels, koordiniert werden.

Bereits zuvor hatten Mitglieder der Gruppe mehrere Kasernenstandorte in Deutschland ausgekundschaftet, darunter Einrichtungen in Ulm, Laupheim, Niederstetten (alle Baden-Württemberg), Fritzlar (Hessen) sowie in Neuburg und Landsberg am Lech (Bayern). Laut den Ermittlungen verschafften sie sich mit Truppendienstausweisen Zugang zu militärischen Anlagen, darunter auch zu Bundeswehrkasernen. Ziel war es offenbar, geeignete Stützpunkte für den geplanten Umsturz zu identifizieren und potenzielle militärische Ausrüstung zu beschaffen.

Was geschah konkret in Niederstetten im Oktober 2022?

Mitglieder des Militärstabs der Umstürzler sollen sich laut eines investigativen Audiobeitrags, der in der ARD-Audiothek abrufbar ist, Zugang zur Niederstettener Kaserne verschafft haben. Als Quelle für den Bericht über das Betreten der Köhl-Kaserne nennt der Podcast den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der Inlandsgeheimdienst der Bundeswehr habe die betreffenden Personen demnach bereits überwacht und deren Bewegungen detailliert protokolliert. Zuvor sollen bereits das Bundeskriminalamt und andere Behörden Ermittlungen eingeleitet haben.

Mitglieder der Gruppe sollen sich laut Podcast auf dem Gelände der Hermann-Köhl-Kaserne aufgehalten, die Truppenküche betreten und sich in der Nähe des Flugfeldes bewegt haben. Sämtliche Bereiche gelten als militärischer Sicherheitsbereich. Der Podcast-Autor Caspar von Au wirft die Frage auf, wie es möglich sein konnte, dass sich in potenziell streng geschützten militärischen Anlagen fremde Personen frei bewegen konnten. Unter den mutmaßlich Beteiligten soll auch der ehemalige Bundeswehroffizier Rüdiger von Pescatore gewesen sein, der als Anführer des militärischen Arms der Gruppe Reuß gilt. Er habe geplant, ein deutschlandweites System von Heimatschutzkompanien aufzubauen. Pescatore selbst äußert sich nicht zu den Vorwürfen.

Wegen Waffen-Deals aus der Armee entlassen

Wegen des Verdachts, zwischen 1993 und 1996 frühere NVA-Waffen verschenkt und verkauft zu haben, saß von Pescatore bereits von Dezember 1996 bis Mai 1997 in Untersuchungshaft. Im Jahr 1999 wurde er vom Landgericht Tübingen wegen Unterschlagung und Weitergabe von Waffen in elf Fällen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen. Juristisch korrekt heißt dies: Beendigung des Dienstverhältnisses unter Verlust aller Dienst- und Sachbezüge.

Nach dem Auffliegen der Pläne sicherten Ermittler bei anschließenden Durchsuchungen ein umfangreiches Waffenarsenal. Insgesamt wurden 362 Schusswaffen oder mehr, 347 Hieb- und Stichwaffen sowie über 148.000 Schuss Munition sichergestellt. Darüber hinaus fanden die Behörden ballistische Helme, Nachtsichtgeräte, Schutzwesten und weitere militärische Ausrüstung. In Chatverläufen äußerten Verdächtige Interesse am Kauf von Kleidung und Ausrüstung aus Beständen der Bundeswehr und der früheren Nationalen Volksarmee der DDR.

Außerdem sollen die genannten Heimatschutzkompanien, also paramilitärische Einheiten, bereits grundsätzlich aufgebaut worden sein. Sie sollten nach dem geplanten Umsturz als Ordnungskräfte eingesetzt werden. Kontakte zu ehemaligen NVA-Angehörigen deuten darauf hin, dass auch nach schwerem Gerät gesucht wurde.

Großrazzien im Dezember 2022

Am 7. Dezember 2022 folgte der Zugriff. In einer der größten Anti-Terror-Razzien der deutschen Nachkriegsgeschichte durchsuchten Einsatzkräfte mehr als 150 Objekte in elf Bundesländern. 25 Personen wurden festgenommen, darunter Heinrich XIII. Prinz Reuß und Rüdiger von Pescatore. Beide befinden sich seitdem in Untersuchungshaft. Gegen zahlreiche weitere Beschuldigte laufen Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, Hochverrats und Vorbereitung eines staatsgefährdenden Verbrechens. Die Prozesse werden an mehreren Oberlandesgerichten geführt.

Ein weiteres Mitglied des inneren Zirkels der Gruppe Reuß wird als „Thomas T.“ geführt. Er stammt aus dem westlichen Landkreis Ansbach. Ihm wird vorgeworfen, als rechte Hand von Prinz Reuß sowie als potenzieller persönlicher Referent fungiert zu haben.

Es bleiben offene Fragen

Der Fall zeigt laut Podcast die zunehmende Gefahr durch radikale Netzwerke, die demokratische Strukturen nicht nur infrage stellen, sondern aktiv zerstören wollen. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach Sicherheitslücken bei der Bundeswehr. Zwar hat der Staat reagiert, doch das Ausmaß der Planung und Bewaffnung verdeutlicht, wie ernst die Bedrohung gewesen ist.

Für den konkreten Fall Niederstetten gab es auf Anfrage der Redaktion keine Auskunft aus der Führungsebene der Köhl-Kaserne. Dort wurde auf das Bundesministerium der Verteidigung verwiesen. Eine Antwort auf den Fragenkomplex zur Ausspähung steht bislang noch aus.

Die öffentliche Beweislage zum Ausspähen oder potenziellen Betreten der Kaserne in Niederstetten durch Mitglieder der Gruppe Reuß ist nicht eindeutig. Es existieren deutliche Hinweise wie jene aus dem Podcast, jedoch bislang kein gerichtlicher oder durch offizielle Ermittlungen bestätigter Nachweis, dass tatsächlich jemand in die Anlage eingedrungen ist. Die laufenden Strafverfahren sind noch nicht abgeschlossen. Viele Details bleiben daher vorerst unter Verschluss.

Die Prozesse gegen Rüdiger von Pescatore und gut zwei Dutzend weitere mutmaßliche Mitglieder der Reuß-Gruppe laufen derzeit vor den Oberlandesgerichten in Frankfurt, Stuttgart und München. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Hier lässt sich der Podcast abrufen

Der Podcast ist in der ARD-Audiothek unter dem Titel „11KM: Der Tagesschau-Podcast“ abrufbar. Die betreffende Folge heißt „Gruppe Reuß: Wie gefährlich waren die Reichsbürger?“ und wurde am 22. September veröffentlicht. Das Format wird von BR24 und NDR Info produziert, die Laufzeit beträgt 32 Minuten.

Die Zufahrt zur Hermann-Köhl-Kaserne in Niederstetten: Laut investigativen Recherchen haben sich mutmaßliche Extremisten 2022 Zugang zum Bundeswehrstandort verschafft. Der MAD hat die Gruppe laut einem Podcast damals bereits überwacht. © Michael Weber-Schwarz

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten