Volkstrauertag

Gedenktag als Mahnung zu Wachsamkeit und Zivilcourage

An die 100 Teilnehmer in Niederstetten. Eindringliche Appelle für den weltweiten Frieden

Von 
Inge Braune
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Niederstetten. In den vergangenen Jahren fanden sich oft nur wenige Bürgerinnen und Bürger bei den Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag auf Friedhöfen und an Denkmälern ein. In diesem Jahr, nachdem der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine die Realität eines Krieges in Europa wieder greifbar gemacht hat, nahmen deutlich mehr Menschen an den Gedenkstunden teil.

In Niederstetten dürften es um die 100 Personen gewesen sein, die sich gemeinsam mit Vertretern der Bundeswehr und der Kommune, Hinterbliebenen, Geistlichen sowie den Vorbachtaler Musikanten und dem Liederkranz Niederstetten um das Mahnmal am Friedhof versammelten.

Das Gedenken, so Niederstettens Amtsverweser Simon Michler, gelte den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft aller Völker, den in den Weltkriegen gestorbenen Soldaten und allen, die durch Kriegshandlungen, in Gefangenschaft, als Vertriebene, Verfolgte, Geflüchtete, im Widerstand, als aufgrund ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit oder ihrer Handicaps wegen als vorgeblich lebensunwert geltenden Menschen ums Leben kamen. Ebenso gelte die Trauer den Opfern gegenwärtiger Kriege und Bürgerkriege, von Terrorismus, Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. „Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Haus und in der ganzen Welt,“ so Michler eindringlich.

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Von
Kai Grottenthaler
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Er erinnerte an die mit der auf Anregung des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge erfolgten Einführung des Gedenktags 1919 kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs verbundenen Hoffnung, „dass die Erinnerung an den Schrecken und das millionenfache Leid des Krieges den Frieden unerschütterlich machen würde.“

Weltweit dürfte es seither wohl keinen einzigen Tag ohne Krieg gegeben haben – und nicht einmal in Europa wurde diese Hoffnung erfüllt. Kaum zwei Jahrzehnte später überfiel Deutschland Polen. Es gelte, in der Auseinandersetzung mit dem furchtbaren Ergebnis von Nationalismus, Diktatur und Völkermord Orientierung zu finden, so Michler weiter, „damit wir solidarisch und in Verantwortung mit- und füreinander handeln – nicht irgendwann, sondern hier und jetzt.“ Michlers Appell ist dringlich: „Wenn wir helfen können, Menschen vor Gewalt und Terror zu schützen, dann müssen wir es tun.“ Denn der Krieg in der Ukraine und – etliche von dort Geflüchtete fanden in Niederstetten Zuflucht – verdeutliche, wie schnell Krieg wieder ganz in der Nähe sein könne.

Für den Bundeswehrstandort Niederstetten sagte er zu, die Stadt wolle auch künftig ihren Beitrag zu möglichst guten Rahmenbedingungen für die Soldatinnen und Soldaten leisten, damit sie sich bestmöglich für die Sicherheit unseres Landes einsetzen können.

Auch für den Niederstettener Standortkommandanten Oberst Lars Persikowski gilt es, die Trauer um und die Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft als Aufruf zum Einsatz für Verständigung, Versöhnung und Frieden zu verstehen. So habe 1927 die Vereinigung ehemaliger Kriegsgefangener mit Blick auf die Kriegsgräberfürsorge erklärt: „Mögen diese Toten die Saatkörner sein, die der Welt den ersehnten ewigen Frieden geben.“ Doch, so Persikowski weiter: Erinnerung allein sei nicht genug, um den Frieden zu bewahren. Solange Akteure auch militärische Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen nutzten, „müssen wir uns aktiv für dem Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung des Friedens einsetzen.“ Mit Putins Angriff auf die Ukraine sei der Krieg nach Europa zurückge– die Ukraine liege nur knapp 2000 Kilometer entfernt von Niederstetten, so Persikowski weiter. Zwar seien wir hier derzeit keiner direkten militärischen Bedrohung ausgesetzt, aber die Angst vor einer Ausbreitung des Krieges sei bei den befreundeten Nachbarn an der Nato-Ostflanke sehr konkret.

Es gelte also, wachsam zu bleiben. Ganz konkret sind davon Teile seines Regiments im Rahmen der Nato Response Force betroffen, die derzeit in ständiger kurzfristiger Alarmbereitschaft sind – eine zusätzliche Belastung für die Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Familien, die zu der besonderen, aus der deutschen Geschichte erwachsenden Verantwortung stehen.

Pfarrer Roland Silzle wählte für die Schriftlesung aus dem Alten Testament die zu einem Kernsatz der Friedensbewegung gewordene Prophezeiung „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4, 1-4) aus und ergänzte sie um die ganz praktischen Handlungsanweisungen, die Paulus im Römerbrief (Römer 12, 9-21) formulierte.

Mancher Kernsatz scheint speziell für die Gegenwart geprägt: „Übt Gastfreundschaft“ steht da etwa zu lesen; und: „Haltet euch zu den Niedrigen“ sowie: „Überwindet das Böse mit Gutem.“ Seitens der katholischen Kirchengemeinde ergänzte Pfarrer Burkhard Keck die Lesung seines evangelischen Kollegen um die Fürbitten für die Opfer von Krieg und Gewalt, für Frieden und Geschwisterlichkeit sowie – hoch aktuell auch angesichts verbaler wie aktiver Hasskriminalität und Fremdenfeindlichkeit – um Aufmerksamkeit und Zivilcourage.

Die würdige musikalische Gestaltung der rund einstündigen Gedenkfeier mit Ehrenwache der Bundeswehr und feierlicher Niederlegung der Kränze am Denkmal übernahmen Bläserinnen und Bläser der Vorbachtaler Musikanten und Mitglieder des Gesangvereins Liederkranz Niederstetten.

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