Igersheim. Aus Anlass des 70. Jahrestages der Deportation jüdischer Mitbürger aus Igersheim hatte die neunte Klasse der Johann-Adam-Möhler-Schule mit ihren Lehrern und Heimathistoriker Ulrich Dallmann zu einem Weg der Erinnerung entlang der Stationen jüdischen Lebens aufgerufen. Die Schüler befassen sich intensiv mit dem Holocaust im Rahmen der Bildungspartnerschaft mit Familie Igersheim aus den USA.
Leider folgten nur sehr wenige Bürger dem Aufruf der Schüler. Vorteil der kleinen Gruppe war, dass die Gedichte und Gebete der Schüler im Freien sehr gut verstanden wurden und eine intensive Atmosphäre entstand, in der spürbar war, wie die jugendlichen und erwachsenen Teilnehmer von dem Geschehen vor 70 Jahren berührt waren.
Diesen letzten Weg gingen Schmay und Sofie Hartheimer mit ihrer Tochter Rosa sowie Max und Gertrud Rosenheimer mit maximal 50 Kilogramm Gepäck, alle Wertsachen mussten sie zuvor abgeben, die Wohnung sauber hinterlassen und die Fahrt selbst bezahlen.
Die Igersheimer Ortspolizei begleitete die Juden zum Bahnhof, wo sie gemeinsam mit 56 weiteren Juden aus dem Kreis bis Niederstetten im extra für diesen Judentransport angehängten Waggon nach Stuttgart verbracht wurden. Von dort ging am 1. Dezember der Zug nach Riga in den Tod. Die Habe der Igersheimer Juden wurde an eindeutschungsfähige Familien verteilt oder auf dem Möhlerplatz versteigert.
Am Abend fand im Musiksaal der JAMS ein öffentlicher Vortrag von Hartwig Behr statt, in dem dieser einen sehr interessanten Bogen zurück spannte von diesem Tag, als alles jüdische Leben in der Region endete, bis zum Beginn der Aufzeichnungen über jüdisches Leben in unserem Gebiet. Die Broschüre "Die Juden in Igersheim" von Elmar Weiß, die der Gemeinderat 1984 in Auftrag gegeben hat, liefert ebenfalls wertvolle Informationen.
Während im 17. Jahrhundert noch 41 Juden in Igersheim lebten, waren am Tag der Deportation lediglich noch fünf Igersheimer Juden hier, den anderen war zuvor die Flucht geglückt oder sie waren weggezogen. Hartwig Behr verlas die Anweisung an die Landkreisverwaltung zur Deportation der Juden. Die Transportnummer begleitete die Mitbürger in den Tod. Was den Menschen in der Region als jüdisches Erbe blieb, ist der jüdische Friedhof in Unterbalbach. Hier ist als letzte jüdische Mitbürgerin Igersheims, Sofie Fechenbach, begraben. Oft sind die Daten auf den verwitternden Grabsteinen die einzigen Dokumente, die noch existieren. Noch sind nicht alle alten Standesregister ausgewertet, hier könnten noch wertvolle Informationen schlummern; dies gilt auch für Igersheim.
Hartwig Behr zeigte die Rolle des Deutschen Ordens für die Juden in seinem Territorium auf, das Schutzjudentum im Mittelalter, er wies nach, warum im hohenlohischen Bereich kaum Juden lebten, während in angrenzenden Gebieten jüdisches Leben stark verbreitet war. Die Gründe, warum Juden nur bestimmte Berufe offen standen; weshalb Juden oft den Ortsnamen ihrer Vorfahren zum Familiennamen machten, als ein Gesetz sie 1828 zwang, die traditionelle jüdische Namensgebung zu ändern. Er ging auf den jahrelangen Twist der Igersheimer und Markelsheimer Juden ein, der mit dem Zwang zur Zusammenlegung der jüdischen Gemeinden aufgrund abnehmender Gemeindemitglieder entstand und differenzierte die historischen Wurzeln von Antijudaismus (religiöse Ablehnung des Judentums) und Antisemitismus (ethnisch-nationalistisch und rassistisch begründete Judenfeindschaft).
Anhand von Artikeln und Fotos belegte Hartwig Behr, wie die rassistische Judenfeindschaft der Nationalsozialisten sich in Schildern wie "Juden sind hier unerwünscht" an öffentlichen Gebäuden zeigte oder an den Rathäusern extra Kästen für das Hetzblatt "Der Stürmer" angebracht wurden. Broschüren wie "Deutsche, kauft nicht bei Juden" hetzten auch die Taubertäler Bevölkerung gegen die Juden auf.
Über die in Igersheim lebenden Juden wurden bei dem vor kurzem aufgefundenen Archivmaterial in Bad Mergentheim wenig gefunden. Lediglich über die hier lebende Frau Klages mit ihrem Manufakturengeschaft gibt es einige Aufzeichnungen und die belegen, dass die Wirtschaftskrise diese jüdischen Geschäfte genauso hart getroffen hat wie alle anderen.
Die Viehhändler - dieser Beruf war seit langem den Juden erlaubt - mussten nach fortgesetzten Schikanen Ende 1938 ihr Geschäft aufgegeben. F. Klages war 1939 noch die Flucht mit ihrer Schwester in den USA gelungen.
Es gelang H. Behr, ein Bild von den Menschen, die man am Tag der Deportation als Mitbürger verloren hat, zu zeichnen. Da bislang immer noch keine Fotos von jüdischen Mitbürgern in Igersheim aufgetaucht sind, war ein Hochzeitsfoto von Max und Gertrud Rosenheimer, das Behr mitgebracht hatte, ein besonderes Geschenk für alle. Endlich können diejenigen, die die Juden nicht als Kinder noch persönlich gekannt haben, zumindest dem Namen Rosenheimer auch Gesichter zuordnen.
Die Rosenheimers waren erst drei Jahre verheiratet, als sie deportiert wurden. Ihre Bibel hatten sie im letzten Moment noch Nachbarn übergeben, die sie dann ins jüdische Museum nach Creglingen gebracht haben, um sie dort aufzubewahren. Fritz Strauß, ein Bruder von Gertrud Rosenheimer, dem die Flucht geglückt ist, hat die Familiengeschichte geschrieben und diese H. Behr mit dem Hochzeitsfoto zur Verfügung gestellt. Während Denunziation in der Region häufig vorkam, gab es vereinzelt Zeichen der Sympathie und Unterstützung. Spruchkammerakten geben hierüber Auskunft.
Hartwig Behr und die ebenfalls anwesenden Kenner der regionalen Geschichte, Schuldekan a.D. Hornig und Heimathistoriker Ulrich Dallmann, beantworteten viele Fragen der Besucher. Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion mit den Besuchern, die die Gelegenheit nutzten, Fragen zu stellen. Nach wie vor hofft man, dass aus den Fotoschätzen der Igersheimer Bürger noch Erinnerungsfotos an jüdisches Leben in Igersheim auftauchen. Sicher sind die ältesten Mitbürger bereit, bei Unklarheit einen Blick auf alte Familienfotos zu werfen, um festzustellen, ob hier jüdische Bürger oder jüdische Kultur abgebildet sind. Für die Bildungspartnerschaft und das Gemeindearchiv wären solche Dokumente sehr wertvoll.
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