Lese im Vorbachtal

1100 Jahre Weinbau – und ein Mann hält die Tradition am Leben

Der letzte Winzer von Niederstetten – geblieben ist von früheren Großflächen nur ein einziger kleiner Weinberg. Ulrich Roth bewahrt das Erbe am Schöntaler Berg.

Von 
Michael Weber-Schwarz
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Mit dem Refraktometer wird der Zuckergehalt des Mostes bei der Weinlese bestimmt. Der Niederstettener vom Schöntaler Berg weist heuer sehr gute Oechsle-Grade auf. © picture alliance/dpa

Niederstetten. Der Weinbau in Niederstetten blickt auf eine über 1100-jährige Tradition zurück – doch heute gibt es im Kernstadtbereich nur noch eine wenige Ar große Fläche im Bereich des Schöntaler Bergs, die von Ulrich Roth bewirtschaftet wird. Weinsteige: Der Name der untern vorbeilaufenden Straße und die bis heute sichtbaren Steinriegel zeigen, dass sich hier einst ein großes, nach Süden ausgerichtetes Weinbergareal befunden hat. „Der Bereich Tauber-Vorbach war früher sogar das größte zusammenhängende Weinbaugebiet in ganz Süddeutschland“, erklärte Michael Schmitt von den Weingärtnern Markelsheim.

Auch Ulrich Roth gehört mit seinem kleinen Weinberg zu den etwa 180 aktiven Weingärtnern in sieben Anbaugemeinden. Eine Rebfläche von insgesamt mehr als 190 Hektar wird von der WG in der Region bewirtschaftet – die von Roth ist dabei nur rund ein Zweitausendstel groß. Ein Liebhaberstück, das sieht der Besitzer selbst auch so. Ein wirkliches Einkommen sei dabei jedenfalls nicht zu erzielen, sagt Roth beim Lesetermin kurz vor dem Niederstettener Herbstfest. Roth wäre übrigens nach den alten Teilnahmeregeln des traditionellen Niederstettener Winzertanzes der einzige rechtmäßige Tänzer – denn in der Gründerzeit vor 100 Jahren musste ein Winzertänzer auch ein richtiger Weinbauer sein.

Oechslegrade verheißen einen guten Jahrgang

Die Traubenlese in Roths Weinberg geht in ein paar Stunden über die Bühne. Einige Freunde helfen mit: Trauben vom Stock in die Eimer zwicken und in die Sammeleimer legen. Roth selbst ist der Buttenträger und verfrachtet die Trauben hinunter zur so genannten Gelte, dem nächstgrößeren Gefäß auf dem Bulldog-Anhänger. Final wird die Fracht dann in dem Bottich nach Markelsheim gefahren. Die Niederstettener Menge reicht für tausend Flaschen plus – doch einen reinen „Steidemer“ gibt es längst nicht mehr. Er wird mit Trauben anderer Weinberge verheiratet und geht damit in einem „größeren“ WG-Wein auf. Aber immerhin: Die Oechslegrade stimmen in diesem Jahr – das wird ein sehr guter Wein werden.

Bereits im 9. Jahrhundert wurde der Ort Niederstetten als „Villa von Stetene“ im Zusammenhang mit dem Weinbau erwähnt. Im 19. Jahrhundert noch erstreckten sich die Rebflächen in Niederstetten über etwa 200 Hektar, also mehr als die ganze WG heute bewirtschaftet. Auch der Ortsteil Oberstetten hatte mit 55 Hektar ein bedeutendes Anbaugebiet. Die Weine des heutigen Südkreises, insbesondere der Niederstettener „Schiller“, erfreute sich großer Beliebtheit und wurde weit über die regionalen Grenzen hinaus geschätzt, das kann man in der Chronik der Weingärtner Markelsheim lesen.

Große Konkurrenz aus Südeuropa

Heute sei „alles sehr stark zusammengeschrumpft“, bedauert Michael Schmitt. Das liege vor allem am generellen Strukturwandel in der Landwirtschaft. Der Weinbau ist arbeitsintensiv, die Rebflächen steil, vieles muss mit der Hand gemacht werden. Früher gehörte der Wein zu den wichtigen Neben-Einkommensquellen der Bauern, heute müssen sie ganz anders wirtschaften. Erst ab fünf Hektar Rebfläche wird es finanziell einigermaßen interessant – und alles ist abhängig von Standort, Weinsorte, Qualität, Marktpreisen und Betriebsführung. Und von der preislichen Konkurrenz aus Südeuropa.

In den 1970er Jahren hat der Rückgang des Weinbaus in Niederstetten begonnen. Eine geplante Neuanlage im Schöntaler Berg scheiterte aufgrund schwieriger Grunderwerbsverhältnisse, was zur Einstellung des Betriebs führte. Daraufhin fusionierte die Weingärtnergenossenschaft Niederstetten mit der Weingärtnergenossenschaft Markelsheim. Heute umfasst die Rebfläche im ganzen Stadtgebiet Niederstetten nur noch etwa 4 bis 5 Hektar, verteilt auf Lagen in Ebertsbronn, Vorbachzimmern und Oberstetten.

Deutsche trinken zu wenig deutschen Wein

Warum war Wein früher ein Niederstettener Exportschlager? In alten Zeiten war der Wein das einzige sterile, sprich haltbare Getränk, das sich in größeren Mengen herstellen ließ. Wein war sauberer als Trinkwasser, war Grundlage und Träger für medizinische Tränke, ein geldwertes exportfähiges Handelsgut. „Der Weinbau hat unsere ganze Region über Jahrhunderte hinweg geprägt“, hält Schmitt fest. Der Niederstettener Winzertanz verweise noch in besonderer Weise auf diese Zeit; er sei ein Teil der kulturellen Identität der Vorbachtalstadt. Doch nicht nur in Niederstetten habe es der Weinbau schwer – der Anteil deutscher Weine am Gesamtkonsum in der Bundesrepublik beträgt nur rund 43 Prozent. Und das obwohl die Deutschen mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 19,2 Litern (2023) zu den größten Weinverbrauchern weltweit gehören.

Kulturlandschaft bringt Geld in die Region

Braucht es eine Renaissance, eine „Rebvolution“ in Deutschland? Für Michael Schmitt ist der Fahrplan klar – und da gehört auch der kleine Weinberg von Ulrich Roth in Niederstetten dazu. „Wir müssen nachhaltig anbauen und auch andere wichtige Punkte stärker betonen“ – denn die Winzer erhalten eine historisch gewachsene Kulturlandschaft, die von Einheimischen und Touristen geschätzt wird. Die Weinberge mit ihren charakteristischen Steinriegeln bilden Naherholungsgebiete, regionale Wanderorte, „sie bringen Geld in die Region“, hält Schmitt fest. Da könne jeder Konsument bei seiner Kaufentscheidung mitmachen: Jede Flasche regionaler Wein mehr im Einkaufswagen unterstütze die Erzeuger vor Ort – inklusive einer lebenswerten Landschaft.

Überhalb der Niederstettener Stadtkerns befindet sich der letzte Weinberg des Altorts: Besitzer Ulrich Roth hat vor wenigen Tagen hier zusammen mit Helfern „gelesen“. © Privat

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