Lauda-Königshofen. Es ist dunkel draußen. Die Türen der Stadtbücherei sind offiziell seit 18 Uhr längst geschlossen. Und es verirrt sich an diesem Freitagabend auch niemand mehr in die Räume. Eigentlich hat Swantje Jas seit einer Viertelstunde Feierabend. Doch sie trägt immer noch Bücherstapel herum. Das Regal muss komplett eingeräumt sein.
Jas ist die Leiterin der städtischen Einrichtung mit den Mitarbeiterinnen Melanie Göldner und Angelika Popp. Mit einem strahlenden Lachen hat sie mich fünf Stunden vorher im ersten Stock empfangen – nicht barrierefrei, aber besonders. Kein Neubau mit viel Glas und Stahl, sondern ein altehrwürdiges Ratsgebäude mit hohen Räumen und Stuckarbeiten an der Decke. An den Wänden im Treppenhaus hängen überall Gemälde, denn auch die Malschule von Rudi Neugebauer ist hier zu Hause.
Im Reich der Bücher
Der Rundgang durch das Reich der Buchstaben macht jeden Bücherfan euphorisch. Nein, es riecht nicht nach muffigen alten Folianten und verstaubten Exemplaren. Dazu haben die rund 10.000 Medien von Büchern über Zeitschriften, Hörbüchern und Spielen in den sechs Räumen gar keine Chance. Sie werden ständig ausgeliehen und dürfen Leseratten abtauchen lassen in fantastische Welten.
In Reih und Glied stehen die Bücher Rücken an Rücken, blitzsauber an der Kante des Regals ausgerichtet. Dazwischen gibt es auch „Frontalpräsentationen statt Büchertapete“, informiert Jas. „Wir wollen die Leser glücklich machen. Sie sollen Lust bekommen auf das Buch. Und das geht besser, wenn man es direkt sieht.“ Das löst sofort Begeisterung in mir aus und ich ziehe unwillkürlich ein Exemplar heraus.
„Wie herrlich muss es also sein, den ganzen Tag nur Lesen zu dürfen“, schwärme ich. Swantje Jas lacht. Den Satz kennt sie schon. „Nein, zum Lesen kommen wir hier nicht.“ Sie räumt gleich mal mit einem Vorurteil auf, das alle Mitarbeitenden in Büchereien und Mediotheken, aber auch in Buchhandlungen kennen. Schließlich suchen sich die meisten den Beruf des Buchhändlers gerade deswegen aus, weil man immer die neueste Lektüre greifbar hat – aber leider während der Arbeitszeit nicht zum Schmökern kommt.
Mittlerweile ist auch Kollegin Melanie Göldner eingetroffen. Die beiden haben heute gemeinsam Dienst. Bevor die ersten Besucher kommen, geht es ans Aufräumen. Alle Medien, die am Vortag von der Ausleihe zurückgebracht wurden, müssen wieder zurück ins Regal. Jas nimmt sich ein paar Romane und geht in die Belletristik-Abteilung, ich schnappe mir ein paar Kinderbücher und verschwinde im „Kinder-Zimmer“. Proppenvoll sind die Borde, kaum eine Lücke vorhanden. Die alphabetische Sortierung der Autoren macht es mir leicht, den richtigen Platz für das Buch zu finden.
Einmal in der Woche werden die zurückgegebenen Medien nach Möglichkeit abgewischt und desinfiziert. Das sei ein Überbleibsel der Pandemie, erzählt Jas. Damals waren sie nicht nur Buchausleiher, sondern oft auch Seelentrösterinnen.
Kurz nach 15 Uhr stehen die Ersten da, mit dick befüllten Taschen in den Händen. Buch für Buch wird ausgepackt und auf den Tresen gelegt. Melanie Göldner scannt bei jedem einzelnen den Barcode auf der Rückseite. Im Computer werden so die Daten beim Benutzerkonto des Lesers ausgebucht. Dann wandern die Medien auf den Stapel hinter den beiden Frauen.
Eine ältere Dame sucht nach etwas „Blutigem“ und wird bei den Krimis schnell fündig. Und zwar auf dem Wunschbuch-Tisch. Dort stehen Neuerscheinungen und Buchtrends, die das Team für die Bücherei gerne hätte, und von den Lesern als Spende gekauft werden können. Natürlich haben sie dann das „Erstleserecht“.
Dazwischen klingelt das Telefon, weil jemand seine Ausleihfrist verlängern will. Während Swantje Jas dessen Kundenkonto aktualisiert, stellt Melanie Göldner einen neuen Büchereiausweis für eine junge Frau aus. Sie ist eine von 120 Neuangemeldeten allein in diesem Jahr. „Büchereien bekommen wieder mehr Zulauf“, freut sich Jas, die die familiäre Atmosphäre ihrer kleinen Einrichtung schätzt. Aber sie weiß auch: „Die Spanne wird immer größer zwischen denen, die kommen, und denen, die nicht kommen.“
Hauptsache lesen
Deshalb unternimmt sie vieles, um die Lust am Lesen und an Medien zu wecken. Jüngste Errungenschaft sind Gesellschaftsspiele. Und auch Comics. Da ist Jas ganz pragmatisch. „Hauptsache es wird gelesen, und wenn es nur Asterix ist.“
Es ist unglaublich ruhig in der Bücherei, kaum wird gesprochen. Die Besucher sind ins Meer der Buchstaben vertieft. Nur das Klackern der Computertastatur ist zu hören. Und das Ratschen von Folie. Die Zeit zwischen den Kundenvorgängen nutzt Melanie Göldner für ein bisschen „Meditation“: Neuerwerbungen einbinden. Dann müssen sie in den Bestand aufgenommen werden. In der Datenbank werden nicht nur Name und Autor eingegeben, sondern auch zu welchem literarischen Bereich sie gehören und zur einfacheren Suche ebenso der Klappentext. Zudem braucht jedes Medium den Barcode zum Scannen und einen „Laufzettel“, auf dem der Tag der Rückgabe per Stempel festgehalten wird. „Es braucht viel Bürokratie, bis ein Medium letztlich im Regal landet“, erklärt die gelernte Buchhändlerin.
Leserwünsche erfüllen
Lange brauchen Belinda Rückert und ihr Sohn nicht, um die nun leere Tasche wieder zu füllen. Der Junge hat sich ein Deutsch-Englisch-Bildwörterbuch ausgesucht. Gefunden hat er es auf dem Tisch im „Kinder-Zimmer“, wo Swantje Jas immer mal wieder plakativ Bücher zum Stöbern hinlegt. Sie macht den Kleinen noch auf den Aktionstisch zu Weihnachten aufmerksam, wo es nicht nur Bilderbücher gibt. Fündig wird auch Julia Schmitke immer, die mit ihrer Tochter eine Tonie-Figur ausleiht. Das sind kleine Figuren, die als Audiosystem auf einem passenden Würfel die Geschichte erzählen – ein Buch zum Hören.
Werden die Mitarbeiterinnen auch nach Tipps gefragt? „Ja, das gibt es sogar oft“, kennen die Frauen die Vorlieben ihrer Kundschaft. Da lege man schon mal ein Buch zurück. Oder man bestellt neue Bücher auf Wunsch. Etwa die „Breaking-Wave“-Romane von Kristina Moninger, die an diesem Nachmittag gleich mehrfach nachgefragt werden. Für ältere Bürger, die die Treppe nicht mehr schaffen, bringt man die Bücher an den Eingang.
Infos zur Buchhändlerin
Die Leiterin der Stadtbücherei in Lauda-Königshofen, Swantje Jas, ist von Beruf Buchhändlerin. Die duale Ausbildung dauert drei Jahre, wobei die Berufsschule meist als Blockunterricht in Frankfurt stattfindet.
Sortimentsbuchhändler/innen handeln mit Büchern, Zeitschriften und elektronischen Medien. Sie beraten Kunden, planen den Einkauf, präsentieren die Produkte im Laden oder im Onlineshop und pflegen den Lagerbestand. Verlagsbuchhändler entwickeln zusammen mit Autoren oder Herausgebern Projekte. Dazu zählt auch die Betreuung bei der Gestaltung und Herstellung der Bücher.
Voraussetzung für die Ausbildung ist die Mittlere Reife, doch haben die meisten Azubis die Hochschulreife. Im ersten Ausbildungsjahr liegt die Vergütung bei 950 Euro, im dritten bei 1175 Euro. Nach der Ausbildung kann berufsbegleitend der Buchhandelsfachwirt erworben werden. Zudem gibt es die Studiengänge Buchwissenschaften oder Medienwirtschaft.
Aktuell gibt es eine offene Stelle als Buchhändler/in im Bereich Odenwald-Tauber zu besetzen, teilt die Arbeitsagentur Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim mit. Im weiteren Umkreis gibt es einige offene Stellen. Infos gibt es bei der Agentur für Arbeit. dib
Zurück im ersten Stock sitzt Jas schnell wieder am Computer. Sie plant für das Frühjahr wieder eine Lesung. Bei der Frankfurter Buchmesse hat sich das Team viele Anregungen geholt, jetzt wird recherchiert. Eher ein ungeliebtes Kind ist für sie die Bürokratie, wie die Jahresstatistik, die außerhalb der Öffnungszeiten auf sie wartet. Die Anfrage einer Erzieherin aus einem Kindergarten im Stadtgebiet, mit der Gruppe vorbei zu schauen, ist da schon eher nach ihrer Vorstellung.
Mit aktuellen Neuerscheinungen ausgestattet zu sein und den Geschmack der Leser zu berücksichtigen, hat für das Team oberste Priorität. Jährlich kommen hunderte neuer Medien in den Bestand, heißt also, ständig auch aussortieren. „Was nicht gut geht, kommt raus. Erst auf den Flohmarkt, dann in die Tonne.“
Bis den Roman-Reihen im Belletristik-Raum dieses Schicksal widerfährt, dauert es noch etwas. Sie sollen sogar prominenter präsentiert werden. Also heißt es, mehrere Meter in einem anderen Regal leerräumen und Platz machen.
Swantje Jas ist zufrieden. Das Verwöhnregal ist fertig, an dem die Leser nun stöbern können. Und wenn am Feierabend ein bisschen Muse ist, greift Swantje Jas dann selbst zum Buch.
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