Lauda-Königshofen. Ein neuer Kraftstoff rollt auf Deutschlands Straßen: HVO (Hydrotreated Vegetable Oil), ein hydriertes Pflanzenöl, verspricht als nachhaltiger Dieselkraftstoff eine echte Alternative zu fossilen Brennstoffen zu werden. „Gewonnen aus Rest- und Abfallstoffen wie pflanzlichen und tierischen Fetten, schließt HVO den Kreislauf und reduziert CO2-Emissionen um bis zu 90 Prozent. Was lange im Verborgenen blühte, nimmt nach der offiziellen Freigabe durch die Bundesregierung nun Fahrt auf“, sagen Peter und Gerhard Herm, Geschäftsführer des gleichnamigen Mineralölhandels in Lauda.
Es klingt fast zu einfach, um wahr zu sein
Die HVO-Gewinnung klingt fast zu einfach, um wahr zu sein: Fett aus der Fritteuse, Speiseöle, tierische Fette – all das werde gesammelt, in Spezialraffinerien aufbereitet, destilliert und zu einem hochwertigen, paraffinischen Kraftstoff verarbeitet. „Man kann sich das so vorstellen, das Fett aus der Fritteuse, aus der Pfanne, all das kommt zusammen und wird wiederverwertet zur Gewinnung dieses neuen Kraftstoffs“, erklärt Gabi Wagner, Vertriebsleitung Tankstellen, im Gespräch mit dem FN-Reporter. Im Gegensatz zu Biodiesel, der Ester enthalte, sei HVO ein reiner Paraffinkraftstoff, was ihn sauberer und stabiler mache.
Lange Zeit habe die Politik auf der Bremse gestanden. Unsicherheiten bezüglich der Herkunft der Rohstoffe, vor allem im Hinblick auf Palmöl, verzögerten die Freigabe. Erst als Nachweise vorlagen, dass die Produktion ethisch vertretbar und frei von problematischen Rohstoffen sei, habe man den Weg frei gemacht. „Diese Verzögerungen haben Deutschland im internationalen Vergleich zurückgeworfen. Länder wie Italien haben das Potenzial von HVO früh erkannt und treiben den Aufbau von Produktionsanlagen in schwach besiedelten Regionen voran. Italien ist inzwischen der Vorreiter“, ergänzt Peter Herm. Das Beispiel Apuliens, wo derzeit eine große HVO-Produktionsanlage entstehe, zeige eindeutig, wie Wertschöpfung in ländlichen Gebieten durch innovative Energielösungen geschaffen werden könne.
Seit der offiziellen Freigabe im Mai letzten Jahres beschleunige sich die Verbreitung von HVO deutlich. Immer mehr Tankstellen böten den „grünen Diesel“ an, auch Fahrzeughersteller zögen mit. So befülle BMW bereits alle neuen Dieselfahrzeuge ab Werk mit HVO 100. „Eine Umrüstung ist für die meisten modernen Dieselfahrzeuge nicht notwendig, so lange eine sogenannte ,XTL-Freigabe‘ des Herstellers vorliegt“, lässt Sabine Korb, Vertriebsleitung Mitteldestillate, wissen. Das bedeute: „Mit der Herstellerfreigabe für synthetische Kraftstoffe kann man sofort HVO tanken und damit seinen CO2-Fußabdruck reduzieren. Auch das Mischen von HVO und herkömmlichem Diesel ist problemlos möglich“, sagt ihr Kollege Christian Albrecht, Leiter Einkauf Mitteldestillate.
Trotz der Vorteile sei HVO noch nicht flächendeckend verbreitet. Die Produktionskapazität sei mit rund 5,5 Millionen Tonnen in Europa (im Vergleich zu einem Dieselbedarf von etwa 30 Millionen Tonnen) noch gering - aber steigend. Der Literpreis liege derzeit etwa fünf bis acht Cent über dem von normalem Diesel. „Der Mehrpreis wird von vielen noch gescheut, auch aus Wettbewerbsgründen“, räumt Gerhard Herm ein. Hier könnte die Politik durch eine reduzierte Besteuerung für Preisparität sorgen und so den Markthochlauf massiv beschleunigen.
Ein weiteres Hemmnis seien gegenwärtig die Tankstellen selbst: „Um HVO anzubieten, ist ein freier Lagertank nötig. In Deutschland, wo Tankstellen oft vier verschiedene Ottokraftstoffe vorhalten, sind solche Kapazitäten rar“, weiß Peter Herm. Ein Wegfall der gesetzlich vorgeschriebenen Kraftstoffsorte Super E5 zugunsten von Super E10 könnte hier schnell Abhilfe schaffen, indem ein Lagertank für HVO frei würde.
„Die Erfahrungen mit HVO sind durchweg positiv. Ein regionales Energiehandelsunternehmen hat bereits 70 Prozent seines Fuhrparks auf HVO umgestellt und berichtet von keinen Problemen bei Wartung oder Verbrauch. Auch Unternehmen wie die Firma Konrad Bau aus Gerlachsheim setzen auf HVO um ihre Maschinen und Fahrzeuge mit dem umweltfreundlicheren Kraftstoff zu betanken“, macht Gerhard Herm deutlich.
Das Potenzial von synthetischen Kraftstoffen gehe im Übrigen weit über den Straßenverkehr hinaus. „Es gibt schon Tests als Heizölersatz und in der Luftfahrtindustrie wird bereits sogenanntes SAF (Sustainable Aviation Fuels) aus Abfallkunststoffen eingesetzt“, sagt Gabi Wagner. Die Nutzung von Kunststoffabfällen zur Produktion wäre ohnehin ein weiterer großer Schritt zur Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft. „Man will gezielt auf Abfallstoffe gehen, zum Beispiel auch aus der Kunststoffverarbeitung“, lassen Sabine Korb und Christian Albrecht unisono wissen.
Mischung der Technologien der richtige Weg
Viele Branchen-Experten, darunter auch die Herms, sind sich einig: Es sei die Mischung der Technologien, die zum Erfolg führen werde. „Eine alleinige Fokussierung auf Elektromobilität, obwohl diese ihre Berechtigung hat, reicht nicht aus, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Gerade im Schwerlast- und Schifffahrtsbereich, wo die Elektrifizierung enorme Herausforderungen birgt, bietet HVO eine sofortige und praktikable Lösung zur CO2-Reduktion“, meint Peter Herm. Die Unternehmensgruppe Herm investiere seit Jahren in erneuerbare Energien und habe bereits 2015 die erste Ladesäule an einer Tankstelle investiert. In einem wegweisenden Kooperationsprojekt mit dem Stadtwerk Tauberfranken seien inzwischen an einigen Tankstellenstandorte Schnellladesäulen für Elektromobilität installiert worden. „Die flächendeckende Einführung von HVO Diesel ist ein weiterer Baustein im Zuge der Energiewende.“
„Technologieoffenheit ist der Schlüssel zum Erfolg“, äußert sich Gerhard Herm abschließend. „Wenn wir diesen Kräften etwas Freiraum geben, wird auch etwas passieren.“ Der HVO-Markt stehe am Anfang, aber die Dynamik sei spürbar. „Mit steigender Nachfrage wird auch das Angebot wachsen.“ Und so könnte HVO zu einem wichtigen Baustein für eine nachhaltigere Mobilität werden – zum Wohle der Umwelt und der Wirtschaft.
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